Wie lernt man am besten die Jazz Charakteristik beim spielen?

Dieses Thema im Forum "Saxophon spielen" wurde erstellt von saxbasti, 7.Januar.2020.

  1. saxbasti

    saxbasti Kann einfach nicht wegbleiben

    Hallo Leute,

    ich weiß das ich noch neu in dem Thema bin und auch noch am lernen bin.
    Aber ich höre sehr viel Jazz in letzter Zeit und frage mich was macht es aus das ein Stück sich nach Jazz anhören kann obwohl es im Original keine Jazz Charakteristik hat?
    Kann man das lernen und gibt es eine Möglichkeit sich dieses an zu eignen?
    Habt ihr ein paar Tipps?

    Gruß Basti
     
  2. gaga

    gaga Gehört zum Inventar

    Latürnich! Am ehesten geht das durch Hören und Nachahmen. Besondere Tonbildung, und vor allem besondere Phrasierung, Artikulation. Jazz ist vor allem ein Gefühl.

    Bei Sängern ist der Unterschied besonders ohrenfällig: gib Frank Sinatra irgendein Kinderlied und er macht ganz aus Versehen und beiläufig Jazz draus. Er kann gar nicht anders. Gib einem Blasorchester ein Arrangement von In The Mood und es ist (normalerweise) kein Jazz.

    Wenn du anfängst, Jazznummern zu spielen, wird ein kundiger Zuhörer vielleicht sagen, es klänge "zickig". Nimm es als Aufforderung, noch mehr Jazz zu hören, weicher zu spielen - "dad" zu spielen und nicht "tat" - und Swing statt Mazurka hören zu lassen.
     
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  3. bebob99

    bebob99 Strebt nach Höherem

    Um beispielsweise aus einem Barock Werk von Bach oder Händel ein veritables Jazz Stück zu machen, reichen relativ kleine Veränderungen mit zunehmender Wirkung.
    • Die Betonung der Achtelnoten wird von "straight" auf "swing" geändert
    • Die Bass Begleitung ändert sich von Streichbass auf Zupfbass
    • Leichtes Schlagzeug und akzenzuiertes Klavier
    • Die vorhandenen Harmonien in den Akkorden werden verbreitert und mit leiterfremden "Reibungstönen" angereichert
    • Die Harmonien werden solistisch frei interpretiert.
    Gute und hörbare Beispiele für solche spielerischen Übergänge sind die Veröffentlichungen vom Tim Hardin Trio. Da kann man teilweise direkt den Überhang von der klassischen Spielweise zum Jazz Stück für Stück nachvollziehen.
     
  4. bebob99

    bebob99 Strebt nach Höherem

    Noch ein Beispiel von der hörbaren Verschiebung von "klassisch" auf "Jazz": Clair de Lune



    Es liegt an der Betonung. Eine Verschiebung der Perspektive.
     
  5. Rick

    Rick Experte

    WAS für Jazz?
    Das mag jetzt spitzfindig wirken, aber ich finde es sehr wichtig festzustellen, dass es DEN Jazz nicht gibt, wie wir vor einigen Wochen in der Diskussion über "Definition des Jazz" festgestellt haben, denn jeder versteht etwas anderes darunter.

    Der Begriff "Jazz" war offenbar sogar ursprünglich für eine Art des Tanzes verwendet und dann auf die Musik übertragen worden, zu der man vorwiegend so "afro-amerikanisch" getanzt hat, diese war einfach nordamerikanische Unterhaltungsmusik "hot" interpretiert, also improvisatorisch und mit vielen Variationen. Später wurde diese Musik "New Orleans Style" genannt.
    Dann, in den 1920ern, entwickelten sich daraus größere Ensembles, für die auch arrangiert wurde, das hieß dann später "Kansas City-", "Chicago-" oder "New York-Style".
    In den 1930ern entstand daraus eine weltweit sehr populäre Richtung, genannt "Swing".
    In den 1940ern kam "Bebop" auf, in den 1950ern haben wir mehr oder weniger parallel "Cool Jazz" und "Hard Bop", in den 1960ern wurden "Soul Jazz", "Bossa Nova" und "Free Jazz" erfunden, in den 1970ern haben wir "Jazz-Rock" bzw. "Fusion", es gab auch immer wieder mal Revivals von dem "Traditional Jazz" vor 1930, genannt "Dixieland".
    In den 1980ern schließlich "Acid Jazz" neben "Jazz Funk" und dem völlig andersartigen "New Bop", in den 1990ern vermehrt eine wirklich ernsthafte Revival des "New Orleans Jazz" sowie des "Swing", weltweit entwickelte sich der "Ethno Jazz" als Spielart der "Weltmusik".

    Allen gemein ist die Wichtigkeit der Improvisation, der "eigenen Variation" und insgesamt der Spontanität, doch abgesehen davon gibt es zwischen den Stilen, besonders zwischen dem "Traditional Jazz", dem "Modern Jazz" und dem "Contemporary Jazz", kaum musikalische Gemeinsamkeiten.

    Im Grunde genommen geht es beim Jazz also um Folgendes: Du machst, was Du willst, und wenn es genügend Leuten gefällt, wirst Du bekannt und kreierst eventuell einen eigenen Stil. ;)

    Aber da Du das ja offenbar nicht zum Ziel hast, frage ich einfach noch mal: Was hörst Du, wie möchtest Du klingen angesichts all dieser unterschiedlichen Stile?
     
  6. saxbasti

    saxbasti Kann einfach nicht wegbleiben

    @Rick
    Vielen Dank für die Ausführliche Erklärung sehr interessant.
    Was höre ich also Dexter Gordon oder John Coltrane diese beiden finde ich schon sehr gut. Mein Ziel ist es erstmal zu verstehen wie sie spielen und später Mal einen eigenen zu entwickeln um vielleicht mit anderen Mal zusammen zu spielen.

    Gruß
     
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  7. saxhornet

    saxhornet Experte

    • Da geht es nicht um die Betonung, sondern um die Länge der gespielten Achteln.
     
  8. Rick

    Rick Experte

    Danke! Könnte man unter "Hard Bop" subsumieren, wobei Gordon ursprünglich vom Bebop kam und Coltrane sich später zum Free Jazz hin entwickelte. Manche sagen dazu auch "Modern Mainstream" und meinen vor allem den Jazz im New York der späten 1950er bis frühen 1960er Jahre.
    Dann kannst Du schon mal alles, was mit Swing und überhaupt traditionellem Jazz zu tun hat, außen vor lassen und Dich auf "Modern Jazz" konzentrieren. :)
     
  9. GelöschtesMitglied11524

    GelöschtesMitglied11524 Guest

    Anticipation und Delayed attack.
    Und nicht zu gut stimmen.
     
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  10. JES

    JES Gehört zum Inventar

    Wenn du unter Jazz im ersten Schritt meinst, dass es sich nach swing anhört, dann hat saxhornet die Antwort gegeben. Die achtelnoten werden nicht gleich gespielt. Die auf dem Schlag ist länger als die auf Und. Wie bei einer triole, wenn du die ersten beiden zu einer Note zusammengefasst.

    Dann lebt der swing noch von ausschmückungen, Vorschlag und wie das alles heisst. Also schlüsselnoten im Stück werden nicht zielstrebig direkt an- sonder umspielt.
    Wenn du das schon mal anwenden kannst und beherrscht, dann bist du auf dem Weg.
     
  11. saxbasti

    saxbasti Kann einfach nicht wegbleiben

    Mmmmmm OK..... Theoretisch verstehe ich das schon soweit, aber es fehlt mir der Aha Effekt hat einer ein Praktisches Beispiel oder kennt ein YouTube Link der das gut beschreibt?
    Danke

    Gruß Basti
     
  12. CBlues

    CBlues Strebt nach Höherem

    Da kann ich Dir den Channel von Jeff Antoniuk empfehlen.

    Gerade die neueste Folge (134 !) finde ich sehr passend zu deinem Thema..



    LG Lothar
     
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  13. Gelöschtes Mitglied 11184

    Gelöschtes Mitglied 11184 Guest

  14. saxbasti

    saxbasti Kann einfach nicht wegbleiben

    Ich hab ja einen Lehrer aber dort lerne ich das Klassische spielen eines Saxophone. Um später in einem Orchester zu spielen. Ich möchte halt gerne später nicht nur Klassisch spielen.

    Danke schonmal
     
    Rick gefällt das.
  15. Rick

    Rick Experte

    Hm, also nach meiner Wahrnehmung haben weder Dexter Gordon noch John Coltrane wirklich extrem "geswingt", stattdessen war und ist die unterschiedliche Betonung der Achtel von großer Wichtigkeit im Hard Bop. Und diese war auch nicht starr auf den Off-Beat beschränkt, sondern eher im Sinn des späten Swing und Bop von der Melodiebewegung abhängig, mit mehr Leichtigkeit.

    Klassik ist eine wichtige Grundvoraussetzung zum Erlernen der Technik und des Notenlesens. Meines Wissens haben die meisten großen Modern Jazzer mit Klassik begonnen, im Gegensatz zu den meisten Traditional Jazzern. Es stellt also kein Hindernis dar, sich erst mal mit Klassik zu beschäftigen und sich später dem Modern Jazz zuzuwenden, nur für Blues und New Orleans Style wäre das eine größere Umstellung.
    Meiner Erinnerung nach haben sowohl Gordon als auch Coltrane ihre ersten musikalischen Erfahrungen in eher europäisch orientierten Blaskapellen gesammelt. Das "Verjazzen" von klassischer Musik war aber eher eine Domäne von weißen Musikern, vorwiegend Pianisten, wie Dave Brubeck oder Jacques Loussier. Doch auch das Modern Jazz Quartet (alles Afro-Amerikaner) ging gelegentlich in diese Richtung.
     
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  16. saxhornet

    saxhornet Experte

    Der Swingfaktor ist nie bei allen Spielern gleich und zusätzlich noch Tempoabhängig.
     
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  17. Florentin

    Florentin Strebt nach Höherem

    Besser als den Rizzo finde ich die 3 Hefte von Lennie Niehaus.
     
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  18. JES

    JES Gehört zum Inventar

    Das mag jetzt etwas platt klingen und die Lehrer hier sehen das ev anders. Meine Meinung.
    Bevor man über Stile nachdenkt sollte man erst mal die grundtechnik beherrschen. Eine klassische Ausbildung ist nicht falsch. Was nutzen dir die besten Ideen, wenn du diese spieltechnisch nicht umsetzen kannst. Tonarten sollte man auch können, sowohl dur wie Moll. Danach würde ich mir typische Stücke anhören. Also nicht als hintergrundgedudel sondern bewusst takt für takt. Was hat der jazzer gemacht? Stil bestimmen und das Tonmaterial. Danach versuchen zu kopieren, ev mit selbstaufnahme. Wenn das klappt, dann kreativ selbst versuchen etwas zu improvisieren.
    Bei meinem Lehrern kam das Hören meistens zu kurz. Call and Response ist m. E. auch eine gute Übung.
     
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  19. Jazzica

    Jazzica Ist fast schon zuhause hier

    Hallo Basti,

    Mir hat es geholfen, Originalaufnahmen zu transkribieren. Anfangs gar nicht unbedingt gleich die Soli, sondern erst mal ein Thema (z.B. „Stockholm Sweetnin‘“ von Scott Hamilton - stattdessen könntest Du z.B. ein Thema von Dexter Gordon aufschreiben). Ich habe es genau so in Noten aufgeschrieben, wie es von dem Jazz-Saxophonisten gespielt wurde, also auch seine ganze Phrasierung notiert, so wie ich sie gehört habe (lange / kurze Noten, Vibrato, Ghosten, welche Noten gebunden, welche Noten mit der Zunge gestoppt etc.). Dann bin ich die Transkription mit meinem Lehrer durchgegangen, und er hat mir Hinweise gegeben, wie der Saxophonist die Phrasierung hingekriegt hat, d.h. was er konkret an welcher Stelle mit Atem / Zunge / Fingern gemacht hat, um so zu klingen. Dann habe ich das Stück oder das Thema genau so geübt wie eine Jazz-Etüde, indem ich zum Original mitgespielt habe und versucht habe, mit Hilfe der Hinweise meines Lehrers die Phrasierung so originalgetreu wie möglich zu imitieren. Noch einen Schritt aufwärts ging es, als ich die Transkription (nach sehr häufigem Üben) auswendig konnte und dann auch auswendig zum Original mitgespielt habe.

    Ich gebe zu, dass das eine ziemlich zeitintensive Methode ist, aber das hat bei mir einen großen Fortschritt gebracht. Ich bin seit meiner Jugend Jazz-affin und habe seit meinem 16. Lebensjahr selten andere Musik als Jazz gehört, trotzdem war es für mich notwendig, mich so intensiv mit der Phrasierung zu beschäftigen, um halbwegs „jazzig“ zu klingen. Nicht dass ich mit meiner Jazz-Phrasierung jetzt zufrieden wäre, aber ich fühle mich auf dem richtigen Weg.

    Gutes Gelingen und viele Grüße von

    Jazzica
     
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  20. GelöschtesMitglied11524

    GelöschtesMitglied11524 Guest

    Warum?
    In dem Buch vom Rizzo kommen so viele Sachen vor, die in anderen Büchern nicht mal erwähnt werden, die man aber in der Praxis wissen sollte (z.B. was heißt das, wenn lange Bögen über Noten stehen, wo in der Section normalerweise geatmet wird etc.)
    Außerdem Phrasierung im Jazzrock, Latin usw.
     
    Zuletzt von einem Moderator bearbeitet: 8.Januar.2020
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