Oberton-Qualität vs. Oberton-Pitch (bzw. -Matching

Dieses Thema im Forum "Saxophon spielen" wurde erstellt von giuseppe, 8.Oktober.2020.

  1. giuseppe

    giuseppe Strebt nach Höherem

    "... Tuning the voiced note to match the pitch and timbre of the regular fingering often requires adjustments as a lowered jaw and the feeling of an enlargened or 'open' throat. The overtone pitches tend to be sharp and demand an exaggerated oral manipulation for a correct match with traditional fingerings. These exercises will aid in voicing control as well as the potential for timbre variety and sub-tone skill development. Attempt to master with increasing speed."
    aus D. Sinta "Voicing", über Matching Exercises

    Manchmal muss man doch nur bisserl recherchieren. Zumindest sind die unwillkürlichen Oberton-Hochdrücker wie ich offenbar in guter Gesellschaft. Sinta schreibt im Prinzip, dass das Anpassen des zu hohen Obertons an den gegriffenen Ton quasi der Sinn der Übung ist (nicht andersurm!) - und würde sogar soweit gehen, den Kiefer zu bewegen (obwohl er ja ein Teal-Schüler ist, das spricht für hartnäckige Ausreißer nach Oben).
    Das ist ziemlich das Gegenteil von dem, was z.B. die Allard-Schüler David Liebmann oder Harvey Pittel erzählen. Laut dem Altmeister Allard sei der Oberton der Ton mit dem reinsten Klang und der besten Intonation und der gegriffene müsse angepasst werden. Das klingt viel besser, deswegen hat es mich auch so umgetrieben. Es entspricht aber nicht meiner Übungsrealität. Ich kann meinen Oberton schon in die Stimmung bringen, aber von selber sind die meisten nicht im perfekten Pitch. Sinta ist da deutlich näher an meiner Realität, für mich pragmatischer und greifbarer.

    Ich frage mich jetzt, ob ich anders funktioniere als die meisten und ein Randgruppenproblem habe, oder ob der perfekt intonierende Oberton einfach nur ein Dogma einer mündlich überlieferten Lehrtradition ist. Joe Allard hat ja jede Menge Saxophongötter, aber leider keine Lehrwerke hinterlassen - da bleibt schon Raum für Esoterik.
     
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  2. Dsharlz

    Dsharlz Ist fast schon zuhause hier

    laienhafte Zwischenfrage:
    könnte das damit zusammenhängen, daß der Oberton (meines Wissens nach) rein intoniert / gestimmt ist und
    der gegriffene Ton bzw das dazugehörige Sax aber gleichschwebend temperiert konstruiert ist und dadurch die Intervalle etwas verkleinert / verkürzt?
    Oder wirkt sich das erst bei größeren Intervallen (über mehrere Oktaven) aus?
    fragliche Grüße
    Dsharlz
     
  3. giuseppe

    giuseppe Strebt nach Höherem

    Das ist eher nicht der vorwiegende Mechanismus. Die Obertöne bzw. reine Stimmung sind mit ganzzahligen Frequenzverhältnissen aufgebaut (1:2, 2:3, 3:4, etc.). Bei der gleichstufigen Stimmung ist die Oktave ebenfalls eine Frequenzverdopplung (1:2), nur die anderen Intervalle sind quasi gleichmäßig in diese reingerechnet. Die Tendenz der Obertöne nach oben geht aber schon bei den Oktaven (1. und 3. OT) los. Ich führe es darauf zurück, dass die Ansatz-Mund-Konstellation, die ich zum Obertonerzeugen nehme, die Stimmung nach oben drückt. Und der Oberton an sich OK ist. Scheint mir die plausibelste Erklärung.

    Beweisen kann ich das allerdings nicht - da müsste man mal die Obertöne des gespielten Grundtons analysieren. Bei Saiteninstrumenten gibt es nämlich "Inharmonizitäten", d.h. durch physikalische Eigenschaften des schwingenden Materials bedingte Abweichungen der Obertöne nach oben, die dem Klavierstimmer bisweilen die Arbeit versüßen. Ob des Saxophonblatt bzw. die Röhre das auch kann, ist mir aber nicht bekannt, da fehlt mir das akkustische Grundwissen.
     
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  4. Otfried

    Otfried Gehört zum Inventar

    Mal unabhängig von den verschiedenen Meistern und Lehrmeinungen, die sich ja durchaus verschiedentlich nicht so ganz einig sind.

    Ich bin der festen Überzeugung, dass, wenn die Oktave vom tiefen Bb nicht stimmt, macht man was falsch. Meist drückt man zu sehr mit dem Kiefer, auf diese Weise ist es ganz leicht, die Oktave hoch zu drücken.

    Wie aber auch immer, wenn es eh das Ziel ist, die Oktave richtig zu intonieren, dann bleibt am Ende die gleiche Übung.

    Bei meinem Alt ( Buffet Prestige) mit Senzo S-Bogen habe ich übrigens noch ein besonderes Phänomen entdeckt. Wenn ich das Mundstück so weit wie möglich herausziehe, dann oktaviert zwar das tiefe Bb nach wie vor sauber, wie beim Tenor auch. Der erste Oberton vom kurzen Bb hingegen ist zu tief. Das liegt vermutlich an der Besonderheit des S-Bogens, der eine signifikante Mensurerweiterung auf den letzten zwei cm vor der Hülse zum Einschub in den Korpus hat.

    Das werde ich bei Gelegenheit mal mit dem normalen S-Bogen vergleichen.

    Gruß,
    Otfried
     
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  5. ppue

    ppue Mod Experte

    Beides nicht.

    Kammervolumen, Mundstückposition und pitch center sind meines Erachtens immer noch die entscheidenden Parameter für ein Überblasen in eine reine Oktave. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich die Oktave bei deinem Instrument mittels dieser Variablen einstellen könnte.
     
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  6. quanty37

    quanty37 Nicht zu schüchtern zum Reden

    Meinem naiven Verständnis nach sind diese Parameter vor allem wichtig für die reine Oktave zwischen kurzem und langem Bb. Kann mir jemand physikalisch erklären warum abgesehen von Veränderungen im Ansatz (inkl. Mund-/Rachenraum) beim Überblasen nicht exakt der erste Oberton, d.h. die reine Oktave erklingt?
     
  7. ppue

    ppue Mod Experte

    Weil die Parameter Kammervolumen, Mundstückposition und pitch center nicht richtig aufeinander abgestimmt sind.
     
  8. ppue

    ppue Mod Experte

    Andere Möglichkeit ist, dass der Korpus, also dessen Konus nicht die richtige Aufweitung hat. Mein Püton überbläst in die übermäßige Oktave, Moment ...

    Mist, das Filmchen finde ich gerade nicht. Dafür ein anderes. Ist der Konus zu weit, dann überbläst er in weniger als eine Oktave. Hier in eine kleine Septime:



    Doch noch gefunden. Hier der zu enge Konus:

     
  9. giuseppe

    giuseppe Strebt nach Höherem

    Denkst du dann, dass bei einer beispielsweise zu langen Röhre oder zu kleiner Kammer auch im Grundton die Partiale zu hoch mitschwingen? Im Sinne einer echten Inharmonizität. Das wäre ja die Konsequenz deiner Erklärung - mit beträchtlicher Auswirkung auf den Klang. Sowohl alleine als auch beim musizieren mit anderen.
     
  10. giuseppe

    giuseppe Strebt nach Höherem

    Ich hab mich jetzt nicht getraut, den Film beim fast schlafenden Kind im Bett anzuklicken :)
    Werde aber nachher den Becher vom Conn etwas aufdengeln!!!
     
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  11. ppue

    ppue Mod Experte

    Zu lange Röhre bei gleichem Enddurchmesser oder zu große Kammer oder Mundstück zu weit heraus gezogen ergeben eine zu große Oktave beim Überblasen.

    Zu kurze Röhre bei gleichem Enddurchmesser oder zu kleine Kammer oder Mundstück zu weit drauf ergeben eine zu kleine Oktave beim Überblasen,
     
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  12. giuseppe

    giuseppe Strebt nach Höherem

    Ganz nebenbei, ich denke die Klarinette überbläst nicht in die Duodezime, weil sie zu lang ist, sondern lässt die ungeraden Obertöne aus, weil ihr der Konus fehlt, aufgrund irgendeiner rätselhaften Absurdität des Universums, deren vordergründige Erklärung nicht in meinem Gehirn bleiben will.
     
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  13. giuseppe

    giuseppe Strebt nach Höherem

    Oh nein, eine kleinere Mundstückkammer will ich aber nicht. Weiter drauf komme ich für den Moment wirklich nicht. Dann üb ich halt doch weiter...
     
  14. giuseppe

    giuseppe Strebt nach Höherem

    Nochmal liken kann ich ja nicht. Ich hab’s angehört. Phantastisch!
    Ich hab jetzt aber am Klang nicht rausgehört, ob die mitklingenden Obertöne ebenfalls einer Inharmonizität unterliegen. Liegt wahrscheinlich an den Kopfhörern. Ich wette, du hast Software für eine Fourieranalyse? :)
     
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  15. giuseppe

    giuseppe Strebt nach Höherem

    Das war auch meine Erklärung, dass ich meinen Ansatz als Gewohnheitstier beim Überblasen nach oben drücke. @ppue ‘s Zweit- und Drittinstrument sind aber doch ziemlich überzeugende Argumente für seine Erklärung. Wenn der Beweis erbracht werden kann, dass die mitschwingenden Obertöne gleichsam flat oder sharp sind, bin ich dabei und schieb das Mundstück noch weiter rauf! Ansonsten übe ich weiter fallenlassen.

    Übrigens vertritt Kynaston im vielleicht dem ein oder anderen bekannten Saxophon Intonation Workbook die These, das man das Saxophon so stimmen muss, dass die untere Oktave stimmt und man die zweite und dritte Oktave runtervoicen muss. Klingt so, als ob seine Röhre funktionell auch eher zu lang ist (not intended).
    Lustig ist, dass mir diese Unstimmigkeiten mit einem höheren pitch Center in der Vergangenheit nie aufgefallen sind. Da waren alle Kompensationen so einprogrammiert...
     
  16. ppue

    ppue Mod Experte

    Korrekt. Man muss aber nicht runtervoicen, sondern den Ansatz fallen lassen. Das wiederum braucht viel Kraft in einer stabilen Unterlippe, die man nur bekommt, wenn man viel, viel spielt.
     
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  17. Jacqueline

    Jacqueline Strebt nach Höherem

    :lol::hammer:

    Kannst du das mal ausführen, was damit gemeint ist?
    Diesen Tipp bekommt man ja hier ziemlich oft.
    So auch ich zu Beginn.
    Resultat ist nun, dass ich meinen Kiefer beim Spielen nach unten ziehe. So hab ich Ansatz fallen lassen eben verstanden...
    Das kostet mich viel Kraft in der Lippe und ich bin nach kurzer Zeit platt.
    Nun muss ich mir das wieder abgewöhnen.
    Ansatz fallen lassen ist sehr vage formuliert und ein unschuldiger Anfänger macht halt sonst was draus.
     
  18. giuseppe

    giuseppe Strebt nach Höherem

    Ist das relevant, wie ich den Ton runterdrücke, ob mit Zunge und Rachen, Lippe oder Kiefer? Oder einer Kombination... und wenn ja, warum?

    Und wenn Kynaston Oktave 2 und 3 runterstimmen muss wirst du mir recht geben, dass auch seine Obertöne nach oben zunehmend “Sharp” sein werden, oder?
     
  19. GelöschtesMitglied11524

    GelöschtesMitglied11524 Guest

    So muss man es auch nicht sagen.
    Aber das dreht sich seit Jahren so im Kreis.
    Dein Lehrer vor Ort sollte Dir da helfen können.
     
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  20. Jacqueline

    Jacqueline Strebt nach Höherem

    Ja, wir sind dran.
    Es ist aber schon mühsam sich das abzugewöhnen.
    Aber es wird, habe Übungen dafür bekommen. Mal wieder Geduld haben.

    To make it short:
    vorsichtig mit gut gemeinten Ratschlägen aus dem Internet, das kann nach Hinten losgehen. Besonders was Ansatz, Atmung angeht.
    Besonders für Anfänger.
     
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