Tempowahrnehmung

Dieses Thema im Forum "Saxophon spielen" wurde erstellt von Jacqueline, 27.Juli.2021.

  1. giuseppe

    giuseppe Strebt nach Höherem

    Der Gedanke war eigentlich, genauso laid back wie sie zu spielen, ohne den Spannungsbogen zu verlieren, was gaaaanz schööön schwieerig ist. Aber so ist es ein sehr gutes Anschauungsobjekt geworden.
    Für mich gibt es keinen qualitativen Unterschied zwischen dem "normalen" Laid-Back-Spielen und dem was sie macht, außer der Ausprägung, d.h. quantitativ. Die Schwierigkeit beim Laid-Back-Spielen ist für mich zumindest der Stress, der durch das Wissen entsteht, dass man spät ist und ausrutschen könnte. So wie sie das macht geht es nur, wenn man die Time und die Form so sicher im Hirnstamm hat, dass man nie wieder drüber nachdenken muss. Denn plötzlich ist sie wieder in Time und es hat sich nie so angefühlt als würde sie einen Schalter umlegen. So eine Meisterschaft ist auf die gleiche Weise attraktiv wie es ein besonderer Intellekt sein kann - kein Wunder das Pres auf sie stand :).
    Jepp.

    Jazz ohne Sängerin ist wie Fußballtraining, Fußballschauen, Schach, Stammtisch, Playstation zocken mit den Jungs im Keller (selbst wenn Frauen dabei sind).
    Jazz mit Sängerin ist wie Tanzstunde. Ist viel schwieriger, kann peinlich werden oder auch aufregend im positiven Sinne.
     
  2. GelöschtesMitglied14341

    GelöschtesMitglied14341 Guest

    Ich habe es vielleicht falsch ausgedrückt: auch männlichen Jazzgesang finde ich unschön (Chet Baker hier eine der wenigen Ausnahmen).
    Allerdings sind Jazzsänger in Berlin nicht so omnipräsent.
     
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  3. Jacqueline

    Jacqueline Strebt nach Höherem

    :-D
     
  4. altoSaxo

    altoSaxo Strebt nach Höherem

    Ich es finde es auch in Anlehnung an den Beitrag von @ppue oben für die Kommunikation wichtig zu unterscheiden, ob man etwas rhythmisch frei und damit abweichend von notierten Notenwerten gestaltet, was beim Vortrag eines Jazz-Themas oft vorkommt, oder ob man bestimmte Notenwerte etwa einer Etüde oder einer Satz-Stimme auf den Punkt, Laid Back oder Nach Vorne spielt, weil das unterschiedliche Dinge sind und man sonst aneinander vorbei spricht.

    Um jetzt doch scheinbar noch etwas für Verwirrung zu sorgen: ein frei gestalteter Rhythmus kann natürlich auch auf den Punkt oder Laid Back oder nach vorne gespielt werden. :cool:
     
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  5. giuseppe

    giuseppe Strebt nach Höherem

    Das seh ich nicht so (was aber natürlich eine sehr subjektive Meinung ist).
    Unter frei verstehe ich das klassische Rubato, bei dem der Instrumentalist z.B. in der Kadenz oder im Solostück nach Gusto akzelerieren und dezelerieren kann (meist verbunden mit dem Zeichnen großer Nullen oder Achten in die Luft mit dem Instrument). Beim Jazz ist es so, dass der Puls unaufhörlich weiterläuft, d.h. egal wie frei du spielst, du musst die Form im Ohr oder in den Beinen behalten und jederzeit wieder auf ihr landen können. Erheblich anspruchsvoller, erfordert ein zusätzliches Skillset, das parallel läuft. Wenn jemand ein Jazzthema frei spielt, ohne in Gedanken in der Form zu sein, hört man das sofort. Es klingt orientierungslos. Oft kommen dann auch Leittonwechsel vor dem Schlag, was in den meisten Stilistiken auch gewissermaßend "entlarvend" ist.
     
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  6. ppue

    ppue Mod Experte

    Ich bin da eher bei @altoSaxo. Laid-Back-Spielen ist eine Art zeitlicher Mikrokosmos und eher so, wie wenn du deine Aufnahmespur gegenüber deinem Play Along etwas nach rechts verschiebst. Will heißen, die Verspätung bleibt immer gleich groß.

    Was Frau Holiday da macht, ist ein temporäres Paralleluniversum, dass keiner von uns je betreten wird. Meist stimmt es nicht, dass die ganz Großen keine Noten lesen konnten, hier trifft es zu und hat sicher dazu beigetragen, dass Billie Holiday diesen eigenen Kosmos erschaffen konnte.

    Bezeichnend ist ja, dass sie nicht alles verzögert singt, sondern manchmal ganz nah an der time singt (Takt 5 des Themas). In der ersten wie auch in der zweiten Strophe. Dadurch zieht sie uns Hörer regelrecht hin und her, hat sich ein ganz eigenes Spannungselement erfunden
     
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  7. giuseppe

    giuseppe Strebt nach Höherem

    Die verschobene Aufnahmespur hat ihre eigene Time, die läuft auch wenn du den Rhythm-Track mutest. Beim Laid-Back-Spielen ist das Rhythmusgefühl aber bei mir schon eher In-Time, wobei ich jetzt verstehe, was ihr meint. Ich glaube Billie hört auch die ganze Zeit die Band und ist vom Gefühl in jedem Moment bei der Band. Für mich ist das minimale Laid-Back spielen ein Regler der bisschen nach links gedreht wird, manchmal auch wieder auf Null gedreht wird. Billie spielt halt die ganze Zeit am Regler.

    Ja, genau daran merkt man meines Erachtens, dass Sie mit dem inneren Ohr die Time nie verlässt. Sie weiß genau wo die Form das Rubato nicht zulässt. Wäre es eine fixe Verzögerung oder ein freies Rubato, wäre es nicht so stark in der Wirkung.
     
  8. GelöschtesMitglied11524

    GelöschtesMitglied11524 Guest

    Moin,
    ich versteh ja nicht viel davon, aber für mich ist das Phrasierung, von dem ihr redet.
    Timefeel, Tempowahrnehmung ist z.B. das - extrem laid back:



    Phrasierung (für mich) im Vergleich Pop und Jazz (Jimmy Scott IMHO mehr als genial):

    und hier "einfacher" aber völlig wertfrei, ist eben andere Musik:


    Also z.B. die Bennett Platten mit Bill Evans - ja doch! :)

    Cheers, Ton
     
    Zuletzt von einem Moderator bearbeitet: 27.Juli.2021
  9. altoSaxo

    altoSaxo Strebt nach Höherem

    Missverständnis: mit frei meinte ich nicht rubato, wo sich das Tempo verändert, sondern die Notenwerte und Zeitpunkte sind freier bestimmt, aber schon in time. Die Begriffe kommen von meinen Lehrern und einer davon, erklärte mir ebenfalls, das nicht Rubato gemeint ist, an das ich ebenfalls sofort dachte, als er von freier sprach. Einfach freier in dem Sinne, wie Miles Davis z. B. ein Thema spielt, der gewöhnlich nicht so stark verschiebt wie die gute Billie Holiday.
     
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  10. giuseppe

    giuseppe Strebt nach Höherem

    Das deckt sich mit der Wahrnehmung von @ppue und @altoSaxo, auch wenn jeder andere Begriffe gebraucht. Und wahrscheinlich ist Time Feel ein guter Begriff für das.
    Bei mir ist das gefühlt derselbe Regler an dem ich dreh für dein "time feel" und "Phrasierung", aber vielleicht ist das auch eine verzerrte Wahrnehmung. Es sind wohl schon unterschiedliche Dinge, hängen aber eng zusammen und die Grenze ist fließend.

    Phrasierung habe ich bislang für mich eigentlich etwas enger definiert, eher in dem Sinne wo ich im Satz die Interpunktion setze und weniger wie arg ich die Notenwerte herumschiebe. Aber auch das mag nicht der gängigen Definition entsprechen. Vielleicht ist es ganz gut, wenn ich gelegentlich die Begrifflichkeiten eiche. Geh jetzt mal was essen und dann was laid back spielen und phrasiere weit über die Taktgrenzen hinaus.
    Schönen Abend allen!
     
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  11. GelöschtesMitglied11524

    GelöschtesMitglied11524 Guest

    Ich möchte mich überhaupt nicht auf bestimmte Begriffe kaprizieren.
    Für mich wäre das, was @Jacqueline angesprochen hat, rhythmisch das Gleiche vor, auf oder hinter dem Beat der Rhythm Section zu spielen/singen.
    Das andere wäre für mich Phrasierung, wo mehr oder wenig extrem verzögert/komprimiert wird, Rhythmen sich verändern und sich daher auch die Betonungen verschieben können.
    Aber: siehe oben.
     
  12. ppue

    ppue Mod Experte

    Ups, ich weiß, was du meinst, aber der Begriff Phrasierung ist doch sehr eng mit der Art und Weise der Tonerzeugung und -behandlung verknüpft. Phrasierungsbegriffe sind legato, staccato, sforzato etc. sind eher unabhängig vom Timing.

    Dein 1. Beispiel ist laid back, Beispiel 2 eher frei. Beim 2. Beispiel könnte ich nicht sagen, nach welchen Kriterien wann der nächste Ton gesungen wird. Man kann nicht mitspielen, wie @giuseppe schon bei Billie Holiday sagte. Beim Ersten kann man sich auf die Verspätung einstellen und mitspielen.
     
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  13. monaco

    monaco Ist fast schon zuhause hier

    Ein wahrer Meister des Laid Back war Stan Getz bei den Bossa Nova Aufnahmen.

     
  14. altoSaxo

    altoSaxo Strebt nach Höherem

    Ein Beispiel zur Verdeutlichung, wie ich das meine:

    Bei All The Things You Are fallen die ersten beiden Töne lt. Lead Sheet jeweils auf die 1 der Takte 1 und 2. Wenn ich den ersten Ton nun auf die 3 - und zwar genau auf die 3 - in Takt 1 und den zweiten Ton auf die 2 in Takt 2 spiele, ist das nicht laid back, obwohl die Töne später kommen. Es ist aber frei interpretiert.
     
  15. giuseppe

    giuseppe Strebt nach Höherem

    Ich hab dich schon verstanden und nur festgestellt, dass ihr alle drei zwischen den beiden Varianten, wie auch immer man sie nennt, eine klarere Trennung wahrnehmt, als ich. Und nochmal drüber nachgedacht, ob es bei mir wirklich so ist, wie ich behauptet hab.

    Ich will auch nicht über Begriffe diskutieren, ist halt hilfreich fürs gegenseitige Verständnis, wenn die einigermaßen angeglichen sind.
     
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  16. Witte

    Witte Ist fast schon zuhause hier

    Mir hatt da entschieden richtiges Atmen geholfen…, seitdem Ick da bspw. Luft hole, bin ich besser im Timing…:) Mach mit oft Zeichen zum Atmen rein in die Stücke, die den rhythmischen Fluss unterstützen…

    Und die Tendenz zu schnell zu sein, vor dem Beat kenn Ick sehr gut.., hab da so nen paar Stücke wo ich vorher in mich gehe, und kurz an Balou der Bär, denke…, was mich daran erinnert den Beat locker, flockig grooven zu lassen…, funktioniert erstaunlich gut und ist schon nen Running Gag…;)

    Sonst halt einzelne rhythmische Figuren, Passagen mit Metronom erarbeiten kann auch hilfreich sein…

    Sich selbst locker zu machen iss auch mehr als förderlich…:)
     
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  17. giuseppe

    giuseppe Strebt nach Höherem

    Das Beispiel ist in der Tat gut. Ich glaube nämlich schon, dass so eine typische Interpretation eben davon lebt, dass wir die Originalmelodie kennen, und gegen die ist es vom feel extrem laid back, selbst wenn es Zählzeiten trifft. So funktioniert für mich der Effekt. Vor der Zeit funktioniert nämlich nicht annähernd so gut.
     
  18. ilikestitt

    ilikestitt Strebt nach Höherem

    Da war er angeblich auch betrunken.
     
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  19. TSax80

    TSax80 Ist fast schon zuhause hier

    Ich bin musikalisch eher mit Rock als mit Jazz groß geworden. Da gilt.
    Eine Band ist nie besser als der Schlagzeuger.
    Wenn Schlagzeug und Bass gut sind, ist der Rest fast egal, Hauptsache die Show stimmt.
    Bläser haben kein timing.

    Die 2 und und 4 können etwas vor, auf oder hinter den beat fallen. Das ist microtiming. Wenn das in der Rhythmusgruppe passt, dann klingt es. Darum klangen die alten midifiles alle so langweilig, alles ´drauf.

    Schönes Beispiel für microtiming:
    Hier kommen 2 und 4 minimal spät, darum stampft es so schön. Und weil die so eine fantastische Rhythmustruppe hatten, finden die fast alle gut.
     
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  20. TSax80

    TSax80 Ist fast schon zuhause hier

    Auch ganz erhellend:
     
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