Absteigendes Kulturgut?

Dieses Thema im Forum "Saxophon spielen" wurde erstellt von Blofeld, 12.März.2023.

  1. GelöschtesMitglied725

    GelöschtesMitglied725 Guest

    Nein, habe das schon länger vor Corona so erlebt, deckt sich mit Erfahrung von rdur.
     
    Rick und Bereckis gefällt das.
  2. altblase

    altblase Strebt nach Höherem

    Mmhh, denkt man sich zunächst, dass man damit das Problem lösen könnte...Die Realität erlebe ich anders.

    Unsere Schüler aus sozial benachteiligten Sozialschichten haben bei uns die Möglichkeit per Teilhabepaket und Bildungsgutscheine Unterricht an der Musikschule zu bekommen.

    Auch die Instrumente könnten die betreffenden Schüler kostenlos ausleihen. Mein Gott, was hat die Musikschule da werbemäßig einen Aufwand gemacht, ebenso die Musikkollegen an unserer Schule.

    Resultat? Fast null. Kein Bedürfnis und Interesse.

    Wir müssen das zur Kenntnis nehmen und es zähneknirschend akzeptieren.

    Apropos Werbung: Als ich Anfang der 1970er als Sextaner das Gymnasium besuchte, ging der Kapellmeister unseres Schülerblasorchesters durch die Unterstufenstufenklassen und verkündete in nur einer Minute kurz und lapidar, dass noch Instrumente frei wären. Am Montag darauf war der Musiksaal brechend voll, die Instrumente schnell vergeben und etliche Schüler mussten ohne Instrument nach Hause gehen.

    Heute Werbekampagnen und musikpädagogische PR-Shows bis der Arzt kommt und dafür sehr, sehr wenige interessierte Schüler, von denen dann noch der größte Teil das Handtuch wirft, sobald die geringste Anstrengung eingefordert wird.:cool:
     
  3. Jacqueline

    Jacqueline Strebt nach Höherem

    Ich frag mich woran das liegt.
    Ich vermute daran, dass es zu viele schnell verfügbare und lohnenswerte Möglichkeiten der Zerstreuung gibt..vor allem digitaler Natur.
    Und wenn die Kids das nicht machen, dann werden so von einer Aktivität zur nächsten geschubst oder kommen erst um 17 Uhr von der Schule heim.

    Vllt haben die Kinder einfach keine Langeweile mehr und somit keine Zeit, um auf die Idee zu kommen, dass ihnen ein bestimmtes Hobby evtl Spaß machen würde.
     
    bluemike, Rick, Blofeld und 4 anderen gefällt das.
  4. MathieuR

    MathieuR Kann einfach nicht wegbleiben

    Ich denke auch, dass das zum einen mit dem sehr viel breiteren Freizeitangebot zu tun hat, gepaart mit dem Thema Individualisierung und der Hartnäckigkeit der Eltern!
    Zumindest in meinem persönlichen Umfeld herrscht unter den auf politische Korrektheit bedachten, oftmals in meinen Augen vollkommen weichgespülten Eltern der Tenor, dass sich die Ihre Kinder frei nach ihren Interessen entfalten sollten. Versteht mich nicht falsch, ich sehe das genau so und ich bin ganz weit von „alten Erziehungsmethoden“ entfernt. Das führt dazu, dass das Kind vom Fußball, über Musik, Judo, Feuerwehr, THW bis hin zum Pfadfinder alles ausprobiert aber eben nur für 4 Wochen. Das Angebot ist mittlerweile riesig und es ist den Kids ja nicht mal zu verdenken, dass sie dann auch alles ausprobieren möchten. Das führt aber eben häufig dazu, dass sie alles machen aber nichts richtig. Ich durfte mich in meiner Kindheit auch frei entfalten, habe auch Fußball gespielt und eben auch Musik! Ich wollte sehr oft mit dem Sax aufhören weil mir der Unterricht kein Spaß gemacht hat und ich lieber mit meinen Jungs zum Fußball wollte anstatt zu üben.
    Genau da waren meine Eltern aber sehr hartnäckig, so nach dem Motto, du bleibst dabei und musst dich auch mal durchbeißen. Das hat mir in vielerlei Hinsicht geholfen und ich bin heute sehr dankbar dafür! Aber genau diese Konsequenz lassen viele Eltern heute bei ihren Kids vermissen - mit, meiner Meinung nach, negativem Einfluss auf den Musikernachwuchs
     
    saxchrisp, Rick, Livia und 5 anderen gefällt das.
  5. saxfax

    saxfax Strebt nach Höherem

    Vielleicht macht es Sinn, die Schuld nicht nur an den bösen Zeitumständen und den dauerabgelenkten Kindern zu suchen. Kinder übernehmen in vielen Dingen die Werte und Verhaltensweisen der Eltern - wenn die Eltern selber aktiv musizieren färbt das häufig ab. Das gilt für viele andere Verhaltensweisen auch, sei es kochen oder Sport etc. Umgekehrt auch, wenn die Eltern Ballerspiele spielen oder nur vor der Glotze hängen, Bildung keinen Wert hat oder nur was "für die da oben" ist. Ja, ich weiß, eben auch ein gesellschaftliches und soziales Problen, aber nichts neues.

    Jedenfalls ist hier die städtische Musikschule nach wie vor überlaufen, sehr aktiv mit Konzerten und Vorspielen. Ganz bange ist mir also nicht.
     
    Zuletzt bearbeitet: 20.März.2023
    Rick, Gerrie, Livia und 4 anderen gefällt das.
  6. altblase

    altblase Strebt nach Höherem

    Wenn es so wäre, dürfte sich die Quantität an musizierenden Kindern im Vergleich zu früher nicht verändert haben.

    Aus der musizierenden Elterngeneration A resultiert die musizierende Kindergeneration B, die später als Elterngeneration B die musizierende Kindergeneration C hervorbringt...


    Aber irgendwie scheint die Nachfolgekette irgendwo unterbrochen worden zu sein. Oder unterliege ich einem Denkfehler?:cool:
     
  7. rbur

    rbur Mod

    Musikschule hört für Jugendliche gerne mit dem Schulabschluss auf. Musikverein nicht unbedingt, aber da ziehen viele irgendwohin zum Studieren.

    Was ich mich frage, wo sind die denn alle? Auch als die Musikschulen noch überlaufen waren, waren die Ausgebildeten irgendwann einfach weg. Eigentlich müssten doch Vereine und Orchester überlaufen von Musikern die ihre Kenntnisse einsetzen wollen? Spielen die alle nur der Oma unterm Weihnachtsbaum was vor?

    Wahrscheinlich ist Musikmachen für die einfach nur 1 nice Freizeitbeschäftigung, die man dann einfach aufhören kann.

    Für mich war von Anfang an klar, dass ich das nicht lerne um einfach aufzuhören, wenn ich es dann kann.
     
    Rick, Thomas und altblase gefällt das.
  8. rbur

    rbur Mod

    Aufgehört wurde auch früher schon, ist ja nicht so.
    Von den 30 die mit mir angefangen haben sind nach 45 Jahren noch vier übrig. Aber wir haben lebenslänglich.
     
    Rick und giuseppe gefällt das.
  9. altblase

    altblase Strebt nach Höherem

    Und dann noch die Schüler der Bläserklassen, die in sehr vielen Schulen inflationsartig entstanden sind. Wo sind sie hin?:cool:
     
    Rick gefällt das.
  10. saxfax

    saxfax Strebt nach Höherem

    Abwarten. Die tauchen dann in 20-30 Jahren hier im Saxophonforum als Wiedereinsteiger auf. ;)
     
    quax, Rick, giuseppe und 4 anderen gefällt das.
  11. Gelöschtes Mitglied 5328

    Gelöschtes Mitglied 5328 Guest

    Haben wieder aufgehört. Hier im Forum erleben wir es doch auch immer wieder.

    Wenn ich mal überlege was ich alles in meiner Jugend alles gemacht habe:

    Schwimmen, Klavier, Akkordeon, Judo, Mobilfunk, Modellflug, Modellbau, Modelleisenbahn, Carrerabahn, Fotografieren, Tennis, HiFi, Dunkelkammer, Windsurfen, Rennrad, Ski fahren…

    Was ist davon geblieben? HiFi und Musikinstrument (über Umwegen und Jahrzehnte Pause zum Sax)

    CzG

    Dreas
     
  12. Thomas

    Thomas Strebt nach Höherem

    ich denke schon, dass ich aufhören werde, wenn ich es dann kann… erleben werde ich das eher nicht mehr … :)
     
  13. gaga

    gaga Gehört zum Inventar

    Ich auch. Unter widrigsten Umständen mit 13 angefangen - bettelarm, natürlich ohne Unterricht, den Vorwurf der "Negermusik" und der "brotlosen Kunst" immer im Nacken. Aber ich war nicht ganz allein und der viele Gegenwind schweißte zusammen und machte uns umso entschlossener.

    Nein - m.E. ist das keine monokausale Angelegenheit, was aus Kindern Musiker in einem der verschiedenen Genres macht - es ist eine wilde Mischung aus Zeitgeist, Gelegenheiten, Elternhaus, Clique, Region u.a., .
     
  14. Thomas

    Thomas Strebt nach Höherem

    Ich habe anfangs der 70er in einem Musikverein mit Klarinette begonnen. Da unten in Südbaden hat(te) sowas schon Bedeutung. Nach einem Intermezzo in einem Musikverein der größten deutschen Trachtengruppe und dem Studium habe ich hier in Rheinhessen auch u.a. In einem Musikverein mitgespielt, wo kann man besser Leute kennenlernen und Kontakte knüpfen ? Aber ehrlich gesagt seit einigen Jahren mach ich an dieser Ecke nix mehr, weil ich es so leid bin das Thema mit der Jugend… ja, das fängt gut an, die hängen sich rein, dann kommen sie irgendwann ins Orchester, werden sowas von hintenrum gehoben damit sie überhaupt kommen, und bei der Stange bleiben, die Konkurrenz anderer Angebote ist groß…wenn sie dann in der Probe hocken, nicht zuhören, am Handy rumdaddeln oder rumquasseln muss man sie mit Glacéhandschuhen anfassen damit sie überhaupt nochmal kommen und nicht lieber irgendwo chillen in der nahen großen Stadt gehen… da sieht man dann ein Talent nach dem anderen das einfach keinen Bock hat mal sich mit üben ein wenig reinzuhängen …es dreht sich viel um die Förderung der Jugend in den Vereinen und ja… nach dem Abi sind sie spätestens weg…
     
  15. GelöschtesMitglied725

    GelöschtesMitglied725 Guest

    Das erlebe ich im musikalischen Bereich bei vielen Erwachsenen genauso. Es ist keine Sache der Kinder und Jugend. Man will unbedingt in Band xy dabei sein. Ist toll. Aber wenn was geübt werden muss, oder aus irgendwelchen Gründen Sonderprobe, oder Terminverschiebung oder ähnliches kommt:" ich hab morgen Reitunterricht, geht nicht, Übermorgen Kegelabend, dann Chorprobe, dann ist Diaabend, Wochenende Ruderclub. Auftritt war doch gut, wozu üben........
    Feuer und Begeisterung für solche schönen musikalischen Möglichkeiten vermisse ich hier schmerzlich, erlebe das fast nur noch bei beruflichen Musikern.
     
    Ôkami84 und Thomas gefällt das.
  16. Gelöschtes Mitglied 1142

    Gelöschtes Mitglied 1142 Guest

    Mir fällt gerade ein, wie mein ehemaliger Saxophonlehrer im Juni 2018 einmal eine spontane Aktion gestartet hat.
    Er bot einen kostenlosen Saxophonworkshop an. (Siehe Facebook-Post)
    4BFE65C2-94B1-436B-B46C-CC5D065477CF.jpeg
    Workshop am Samstag, Abschlusskonzert einen Tag später am Sonntag.
    Im Vorfeld hatte er ehemalige und aktuelle Schüler informiert und eingeladen. Die Gemeinde Deckenpfronn stellte für diesen Zweck die Zehntscheuer https://www.deckenpfronn.de/de/freizeit-kultur/museen-kultur/zehntscheuer zur Verfügung.

    Zu dem Workshop reisten ehemalige Schüler teilweise hunderte Kilometer an. So saß ich während des Workshops und Konzerts neben einer ehemaligen Schülerin, die vom Bodensee aus angereist war.

    Ich schätze, dass es damals ca. 45 oder 50 Saxophonisten und Saxophonistinnen waren, die der Einladung gefolgt sind.

    Während des Workshops wurden Stücke für ca. 2 Stunden Konzert eingeprobt.
    Es wurde darauf geachtet, dass schwächere Spieler neben erfahrene Spieler gesetzt wurden, an denen die sich orientieren konnten. Alle waren begeistert!

    Das Abschlusskonzert war ausverkauft. Über den Erlös freute sich ein gemeinnütziger Verein.

    Zumindest 2018 war hier in der Region nichts von einem „absteigenden Kulturgut Saxophon“ zu spüren.
     
    Ôkami84 und Rick gefällt das.
  17. Gelöschtes Mitglied 1142

    Gelöschtes Mitglied 1142 Guest

    Rick gefällt das.
  18. ilikestitt

    ilikestitt Strebt nach Höherem

    Ich erlebe bei Kindern und Jugendlichen immer wieder, daß sie gerne ein Instrument spielen können wollen mit Auftritten (wo ihnen möglichst viele Menschen Zujubeln und Aplaudieren sollen), dafür aber nicht so wirklich was tun wollen. Üben und sich was erarbeiten ist das was viele abschreckt. Das Konzentrationsvermögen ist oft eingeschränkt und die Fingerfertigkeit ist auch meist im Keller (kein Wunder wenn die als Kinder nie was mit den Händen machen mussten, meist sind die beiden Daumen gut ausgebildet dank dem Handy). Da fällt das Lernen eines Instruments noch schwerer. Andere ballern sich in punkto Freizeit mit so vielen Dingen zu, daß sie gar nicht üben können.
    Was alle dann eint ist der Frust über die mangelnde Entwicklung wenn das dann noch gepaart wird mit der Unlust zu üben......
    Ich erlebe auch oft, daß Kinder wirklich glauben sie müssten nur mal kurz ein bisschen reinblasen, dann läuft das schon und sie können sofort sonst was alles spielen, wenn dann die Realität aber einsetzt wird dann gerne das nächste Ding gesucht, wo man mit weniger Aufwand vielleicht was reissen kann.
    Zusätzlich gibt es auch immer weniger Lehrer, die Schüler an den Schulen mit Bläserklassen und AG's unterstützen wollen und können (das ist, wenn man es gut machen will, viel Arbeit für eine einzelne Person) bzw. Lehrer, die sich da sehr engagiert haben in Pension gehen und es keinen Nachfolger gibt, der das übernimmt. Auch passiert es mal, daß der Musikunterricht von einem komplett fachfremden Lehrer der Schule gegeben wird, nur damit der Unterricht stattfindet und ja kein Musiklehrer verfügbar ist. Gerade die Schule (auch schon die Grundschule) ist neben dem Elternhaus aber mit der wichtigste erste Ort wo Kontakt mit Musik stattfindet und das Interesse geweckt werden kann.
     
  19. Rick

    Rick Experte

    Nach meiner Erfahrung geht es bei Kindern und Jugendlichen auch sehr stark um den Freundeskreis, also die "Peer Group": Wenn die Freunde in einem Ensemble spielen und das als attraktiv vermitteln, haben die anderen auch Interesse.
    Wenn man da aber als Einzelperson hinschlurfen muss, womöglich sogar noch deswegen in der Clique verlacht wird, tendiert das Interesse gegen Null.

    Mein Sohn hatte als Jugendlicher durchaus Interesse, irgendwo am Schlagzeug mitzuspielen, aber es fanden sich keine Freunde, die mitmachen wollten, und die Bands, die es gab, hatten bereits Drummer. Also engagierte er sich im Sportverein, wo seine Clique war.

    Ich hatte mit 13 das Glück, meine "Fahrradgang" dazu überreden zu können, gemeinsam eine Jazzband zu gründen. Das waren damals alles Akademikerkinder, die von zu Hause aus Instrumente spielten, allerdings nur mit klassischer Musik, deshalb fanden sie das irgendwie "cool und abgefahren".
    Ohne diese Clique und dieses Projekt wäre mein Leben wahrscheinlich völlig anders verlaufen...

    Damals waren Bands mit echten Instrumenten "in", heute versteht man unter einer "Band" eher eine Gruppe Vokalisten mit Playback. Dementsprechend sind viele Gesangslehrende fast schon überlaufen mit lauter zukünftigen "Voices of Germany", aber der Instrumentalunterricht stagniert.

    Aber kaum ist mal wieder ein Song mit Saxofon in den Charts, schon gibt es wieder Unterrichtsanfragen... :-D

    Also ich sehe das alles nicht so düster, doch die Welt ist im Wandel, stets entsteht Neues, im Gegenzug wird auch wieder Altes hervorgekramt. Und das Interesse von jungen Leuten am Swingtanz kann ich bestätigen! :thumbsup:
     
  20. altblase

    altblase Strebt nach Höherem

    Diese Menschen betrachten Musik nur als Hobby. Musik ist aber kein Hobby, sondern eine Lebenseinstellung, egal ob als Amateur oder Profi.:cool:
     
    Ernie123, Rick und Thomas gefällt das.
  1. Diese Seite verwendet Cookies, um Inhalte zu personalisieren, diese deiner Erfahrung anzupassen und dich nach der Registrierung angemeldet zu halten.
    Wenn du dich weiterhin auf dieser Seite aufhältst, akzeptierst du unseren Einsatz von Cookies.
    Information ausblenden