Absteigendes Kulturgut?

Dieses Thema im Forum "Saxophon spielen" wurde erstellt von Blofeld, 12.März.2023.

  1. Gelöschtes Mitglied 5328

    Gelöschtes Mitglied 5328 Guest

    Das ist so.
    (Habe einige Jahre u. a. Lobbyarbeit gemacht als Geschäftsführer eines Verbands.)

    CzG

    Dreas
     
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  2. rbur

    rbur Mod

    Speziell mein Verein hat auch gar keine Finanzprobleme. Wir können sogar eine neue Tuba kaufen.
    Wir haben ein Personalproblem. Es kommt einfach kaum jemand nach, weder Jugendliche noch Erwachsene.

    Und das liegt nicht daran, dass die Ausbildung so teuer ist. Wir haben hier Neubaugebiete mit Quadrameterpreisen von 600 Euro und mehr. Und die meisten Kinder dort sind in der Musikschule oder im music-lab.
    Die haben nur keine Lust auf Verein.

    Das hier ist ein Schlaf- und Wohndorf für Leute, die wegen der tollen Lage und der Nähe zu Freiburg hierhergezogen sind.
    Wir paar Hundert verbliebenen Eingeborenen reichen nicht aus, um einen nennenswerte Menge an Vereinen am Leben zu erhalten
     
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  3. JazzPlayer

    JazzPlayer Ist fast schon zuhause hier

    Ich würde mal versuchen, ggfls. gemeinsam mit anderen ansässigen Vereinen, die ein ähnliches Problem haben, genau das in der Lokalpresse zu thematisieren. Im allerbesten Fall mit der Ankündigung einer Art Tag der offenen Tür oder Kennenlernveranstaltung. Quasi ein Weckruf, bevor es zu spät ist.

    Wenn dann immer noch keiner kommt, ist es eben so. Nur nicht, dass es hinterher heißt: hätten wir das gewusst, hätt' sich der Jupp 'nen Ruck gegeben und die alte Posaune aus'm Keller gekramt. Kann doch nicht sein, wenn es theoretisch genügend Musikschüler gibt, dass dann praktisch keiner nachkommt. Möglicherweise gibt es ja den ein oder anderen, der die Vereine und deren Arbeit schätzt und glaubt, ein eigener Beitrag dazu wäre nicht nötig, um den Laden am Laufen zu halten.

    Ich finde jedenfalls, wenn man als (Musik-)Verein der Allgemeinheit einen Dienst erbringt, sei es durch öffentliche Veranstaltungen, Pflege und Bewahrung von Kulturgut oder schlicht eine bereichernde Beschäftigung seiner Mitglieder, damit keiner an Einsamkeit stirbt oder Amok läuft, darf man auch mal öffentlich und laut Probleme beklagen und um Hilfe bitten.
     
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  4. MathieuR

    MathieuR Kann einfach nicht wegbleiben

    Es gibt auch noch positive Beispiele :) wenngleich mir auch die Probleme (insbesondere mit dem Nachwuchs) bestens bekannt sind und diese sicherlich auf einen Großteil der Musikvereine zutreffen.
    Ich lebe in einem sehr kleinen Ort mit guten 500 Einwohnern. Wir haben diverse Vereine (u.a. Sportverein, Musikverein, gemischter Chor, Karnevalsverein, etc.). Unser Musikverein hat knapp über 50 aktive Musiker (aus dem eigenen Ort / sehr gut durchmischte Altersstruktur), was also ca 10% der Einwohnerzahl entspricht. Ok, wirklich regelmäßig da sind ca. 40 Musiker, was aber immer noch circa 8% entspricht. Wir sind offensichtlich ein sehr musikalischer Ort! :)

    Wir haben im Jahr 2020 in neue Uniformen (keine Trachten) investiert und haben dafür (Achtung, man staune) sogar eine Spende über 1.000€ vom heimischen Jugendclub bekommen obwohl der Musikverein finanziell sehr gut aufgestellt ist.

    Aber auch wir stellen fest, dass das Thema Nachwuchs immer wichtiger wird, so dass wir vor 3 Jahren eine Kooperation mit der Grundschule im Nachbarort initiiert haben. So werden schon die Kleinsten ab der 3. Schulklasse an die Musik herangeführt.
    Mit unseren Jugendlichen machen wir alle 3-4 Jahre mehrtägige Reisen, zuletzt beispielsweise nach Berlin.
    Im Mai fahren wir mit 72 Leuten für 4 Tage nach München (die 72 Plätze waren innerhalb von 14 Tagen vergeben). Es ist eben auch eine Frage dessen, wie gut und motiviert der Verein aufgestellt ist. Klar, man kann meckern und dem Untergang zusehen aber man kann auch versuchen proaktiv zu handeln.

    Mir ist natürlich durchaus bewusst, dass es in Großstädten anders ist. Und möglicherweise erfüllt das beschriebene auch das ein oder andere Dorfklischee aber ich bin dennoch froh, in einem so gut aufgestellten Verein aktiv zu sein.
     
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  5. Thomas

    Thomas Strebt nach Höherem

    Für mich klingt die ganze Diskussion hier gerade ein wenig selbstmitleidig. Gerade Musikvereine haben doch alle Möglichkeiten für sich zu werben. In meiner Jungend in meiner Heimat ( Südbaden) hatten Musikvereine eine recht bedeutende Stellung, aber auch hier und heute gibt es doch unzählige Möglichkeiten bei "der Politik" zu punkten. Was habe ich in meinem Leben nicht schon alles an Auftritten gespielt, die eigentlich nur zu dem Zweck angenommen wurden: Musik auch evt. nur einzelner Ensembles bei Veranstaltungen lokaler Politiker, Parteien oder Verbände... musikalische Umrahmung von Gemeindeveranstaltungen, Bierfesten, Feierlichkeiten der Gemeinde, lecker Egerland mit Kaffee und Kuchen für die Älteren nach dem Gottesdienst.... Mitwirkung bei Gottesdiensten....Benefizveranstaltungen begleiten..... da setzt man sich doch in den Köpfen fest ... da MUSS doch was gehen ....wenn man will..... ich weiss allerdings schon auch, dass ein gewisser Hang dazu besteht, 2 tolle Konzerte im Jahr zu machen, sich super zu präsentieren , aber die Bedeutung solcher Auftritte nicht wirklich erkannt wird dementsprechend oft auch schwer zu besetzen /durchzuführen sind .
    LG
    Thomas
     
  6. Gerrie

    Gerrie Strebt nach Höherem

    Verschiedene Darstellungen sind ja recht interessant.

    Wir sollten nicht auf andere schauen um zu behaupten die haben mehr Lobby und daher ist es leicht.

    Mein Sohn spielt Fußball. Auch die haben Nachwuchs Probleme.
    Wenn man über Sport spricht denken die meisten am Fußball. Frag mal einen Leichtathleten, Tischtennisspieler oder Gymnastikverein wer unterstützt. Nicht besser als bei der Musik.

    Vielleicht muss man einen gewissen Rückgang einfach akzeptieren, sich der neuen Situation anzupassen und mal überlegen wo ich heute stehe , wo evtl. Morgen und Übermorgen.
    Auf Politik und Medien zu schimpfen wird uns nicht weiter bringen.
    Das junge Menschen nicht mehr belastbar sind und alles ankratzen ohne es zu Ende bringen ist mir auch zu einfach. Dann liegt es nicht an mir alter Sack und ich kann alles lassen wie es ist.

    Ich habe mehrere gute Jungmusiker erlebt die Leistungsabzeichen in Bronze und Silber erreicht haben. Soll mir niemand erzählen die haben keine Interesse bzw. Kein Durchhaltevermögen. Nach wenigen Monaten hat man es geschafft das man sie los wird.
    Danach gab es tausend Gründe warum es so ist. Vom Elternhaus, Schule , Smartphone über Medien war alles dabei.
    Erklärungen statt Lösungen.

    Aus meiner Sicht bedarf es mehr Kreativität. Die Entwicklung ist teilweise wie sie ist und nicht aufzuhalten.
    Vielleicht muss man sich darauf einstellen das eine Kapelle nicht aus einer Orchesterbsetzung besteht.
    Satznoten statt Orchesternoten. Dann ist man auch mit 10 bis 15 Musiker spielfähig.

    Grüße Gerrie
     
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  7. rbur

    rbur Mod

    Es scheint also weder mit Trachten noch mit musikalischem Repertoire zu tun zu haben. Gegen den Zeitgeist ankämpfen kann man nur, wenn man jemanden hat, der mit vollem Engagement die Jugendarbeit an sich zieht. Manche Vereine haben sowas, wie von @MathieuR beschrieben, aber bei uns hat schlichtweg keiner die Zeit, sowas noch zusätzlich zu machen

    Wir haben schonmal mit 15 Leuten einen halben Nachmittag komplett mit Originalwerken für Blasorchester bestritten (Unterhaltungsmusik). Kein Abba Gold, kein Cream of Clapton, kein gar nix in dieser Richtung.

    Eben. Mal ehrlich. Orginalwerke für Blasorchester sind die Art Musik. die ich machen will. Ausnahmen sind der Spielbarkeit in kleinen Besetzungen geschuldet und bestätigen die Regel. Aber es ist nicht die Literatur, die man auf jedem Fest und auf jedem Umzug von vier verschiedenen Kapellen hintereinander hört (San Carlo und Abba Gold, die Eingeweihten wissen Bescheid)

    Aus meinem Zweitverein weiß ich, dass die Jugendlichen aber eher auf diesen ganzen Popbearbeitungskram stehen. Die Jugendlichen im Erstverein aber eher nicht.
    Sollen wir jetzt (im Erstverein) das Repertoire ändern um Leute anzulocken, hin zu etwas was uns dann selber nicht mehr gefällt? Oder soll ich mich in die Jugendarbeit stürzen, dass mir hinterher keine Zeit mehr zum Spielen bleibt? Ich hab diese Woche vier Proben, ein Konzert und eine Verbandssitzung, einen Aufbau, einen Abbau für das Konzert. Üben sollte man angeblich auch noch. More goes not.

    Ich habe genug Baustellen, wo ich die Welt retten muss. Wenn die Welt das gar nicht will und das Zeitalter der Vereine irgendwann zu Ende ist, dann ist das halt so.
     
  8. Ginos

    Ginos Strebt nach Höherem

  9. Rick

    Rick Experte

    Wenn man über Nachwuchsmangel klagt, darf man die Überalterung der gesamten Gesellschaft nicht vergessen:
    Ich gehöre, wie wohl sehr viele hier, zu der Generation der "Babyboomer'. Als wir jung waren, gab es unglaublich viele junge Leute.
    Heute leben wir in einer Zeit, wo überall der Nachwuchs fehlt, nicht nur in der Musik.

    Wahrscheinlich ist der Prozentsatz der Musizierenden gleich geblieben, allerdings bei sinkenden Bezugsmengen.
     
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  10. Ginos

    Ginos Strebt nach Höherem

    Du hast mich verstanden, das ist genau das was ich auch sehe.
     
  11. rbur

    rbur Mod

    Gut, vielleicht gelingt es dir ja, die Topics noch auf die richtige Schiene zu bringen. Nachhaken, fragen. Alles was wir nicht selber machen macht keiner für uns.
     
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  12. Gelöschtes Mitglied 1142

    Gelöschtes Mitglied 1142 Guest

    Warum muss es immer ein Verein sein? „Kultur“ geht auch ganz ohne Verein. Hier in Bad Herrenalb gibt’s z.B seit über 20 Jahren die Schreibwerkstatt und seit 1999 das Sommernachtstheater https://www.badherrenalb.de/de/kultur/sommernachtstheater/

    Die Schreibenden treffen sich ein Mal pro Monat, um sich gegenseitig die „Hausaufgaben“ vorzulesen und jeden ersten Mittwoch im Monat findet eine öffentliche Lesung statt. Im Sommer bei schönem Wetter im Freien die Lesung „von der Rolle“ im Kurpark. Im Winter und bei schlechtem Wetter im Kurhaus. Meistens sind es ca. 10 Schreibende, die ihre Gedichte und/oder Kurzgeschichten öffentlich vortragen. Manchmal auch Buchautor*innen, die aus ihren Veröffentlichungen lesen.
    https://www.badherrenalb.de/de/kult...n-der-rolle-mit-autorin-susanne-jabs-id_4932/

    Zwei Beispiele, die mir spontan einfallen, wie Kultur ganz ohne Verein funktioniert. Seit letzten Herbst auch das von mir initiierte „Boule für Jedermann auf der Schweizerwiese“. Hierbei habe ich ganz bewusst darauf verzichtet, einen Verein zu gründen. Das hat jetzt zwar nichts mit Kultur zu tun, zeigt aber, wie soziale Integration ganz ohne Vereinsstrukturen funktionieren kann.
     
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  13. rbur

    rbur Mod

    Natürlich muss es nicht immer ein Verein sein. Meine vier Kumpels und ich in unserem Guggechor sind auch kein Verein

    Aber ein Schreibclub macht nunmal keine Jugendausbildung und gibt keine Konzerte gegen Eintritt. Er kauft auch keine Pauken und keine Tuba und bezahlt keinen Dirigenten. Sobald es in größeren Gruppen um Geld geht ist eine Vereinsgründung schon alleine zum Schutz der Verantwortlichen unbedingt anzuraten.
     
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  14. Gerrie

    Gerrie Strebt nach Höherem

    Du bist eine extreme Ausnahme im positiven Sinne.

    Wenn wir noch ein paar hätten die 30 % von Deinem Engagement bringen würden hätten wir genug Ressourcen um das zu stemmen.

    Grüße Gerrie
     
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  15. rbur

    rbur Mod

    Wenn der kaufmännische Teil vom Tourismusbüro der Stadt abgewickelt wird braucht man tatsächlich keinen Verein. Trotzdem würde ich das anders ansehen als Leute wie die Schreibwerkstatt oder die Boulespieler.

    Es gibt bei uns auch Blasorchester die Stadtkapellen ohne Verein sind. Aber das ist eher selten. Aber eine Vereinsstruktur haben die trotzdem. Der Vorstand ist halt nicht im Vereinsregister eingetragen, es ist ein Verein, aber kein eingetragener Verein (e.V.).
     
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  16. Gelöschtes Mitglied 1142

    Gelöschtes Mitglied 1142 Guest

    Das ist richtig, es gibt weder bei der Schreibwerkstatt noch beim Theater eine Jugendausbildung.

    Die Aufführungen des Sommernachtstheaters sind jedoch nicht gratis.
    Karten für die Aufführungen gibt’s ab 23 €. Die Stadt stellt für die Arbeit der Regisseure, Requisiten, Kostüme etc. ca. 30.000 € zur Verfügung. Ob sich die Kosten wieder hereinspielen lassen, ist sehr vom Wetter abhängig, da die Aufführungen im Freien stattfinden.
     
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  17. Gelöschtes Mitglied 5328

    Gelöschtes Mitglied 5328 Guest

    Also, Lobbyarbeit funktioniert immer dann, wenn es einheitliche Botschaften an die Politik gibt, wenn es gelingt einen Konsens gemeinsamer Interessen zu finden und diese zu kommunizieren.

    So lange man sich untereinander nicht grün ist….wie @ilikestitt aufzeigte…Pop gegen Jazz gegen Klassik gegen Volksmusik, etc. wird das nix.

    Könnt ihr euch abstrampeln wir ihr wollt, das wird nix.

    CzG

    Dreas
     
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  18. ppue

    ppue Mod Experte

    Das wird auch nichts, wenn man sich grün ist.
     
  19. Gelöschtes Mitglied 5328

    Gelöschtes Mitglied 5328 Guest

    Na ja, wenn man ein übergeordnetes Ziel definiert, was alle mittragen können, funktioniert es schon.

    CzG

    Dreas
     
  20. ppue

    ppue Mod Experte

    Und das wäre? Insbesondere in der Jugendarbeit.
     
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