Extrem penibles Üben

Dieses Thema im Forum "Saxophon spielen" wurde erstellt von Gelöschtes Mitglied 13399, 2.Dezember.2023.

  1. Gelöschtes Mitglied 13399

    Gelöschtes Mitglied 13399 Guest

    Mich interessiert einmal folgendes:

    Wenn ich mal eine Stunde lang eine Folge von zwei oder drei Tönen (bspw. G#, A, B) spiele, empfinde ich das als beeindruckendes Erlebnis, allein schon wegen der Konzentration, die es erfordert.
    Soweit ich weiß, gilt es allerdings als deutlich effektiver, nach einer Zeit von 10-20 Minuten eine andere Tonfolge zu üben, oder wenigstens die selbe Tonfolge auf andere Art.

    Kennt jemand von euch Untersuchungen zu solch trance-artigem Üben? Mich würde interessiert, wie effektiv oder ineffektiv es ist und, falls es dazu Informationen gibt, warum es einen solch eigenartigen Effekt auf die Psyche hat.

    Ich meine, ich hätte mal gelesen, Charlie Parker hätte während seiner Zeit bei McShann teilweise tatsächlich einen einzelnen Lick den ganzen Abend lang geübt, dafür aber keine Überoutine gehabt.

    Das fand ich damals beim Lesen schon interessant, weil meine Annahme war, es sei am effektivsten, längere Zeit täglich dasselbe zu üben, dafür aber verschiedenes in kürzeren Einheiten, also bspw. täglich 20 Minuten D-Dur-Tonleiter, 20 Minuten Es-Dur-Tonleiter usw. anstatt einen Tag 2 Stunden lang D-Dur-Tonleiter, den nächsten Tag stundne lang Es-Dur usw.

    Ich finde gerade das penible Üben mit Metronom unfassbar spannend, weil ich auf dem Saxophon wirklich nichts so gut spielen kann, dass ich mich recht wohl dabei fühle. Jede noch so kleine Tonfolge könnte ich wohl eine Million mal spielen und sie klänge nicht ,,richtig".
    Und das, obwohl es mir möglich ist, ein paar Takte zu improvisieren und mir dabei zu denken, ich hätte es akzeptabel angestellt. Dann übe ich aber nicht, sondern bemesse meine Zufriedenheit daran, wie gut ich meine Gefühle gerade musikalisch ausdrücken kann.
     
  2. altblase

    altblase Strebt nach Höherem

    Du machst Dir zu viel Gedanken! Höre auf Deinen Bauch!:cool:
     
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  3. _Eb

    _Eb Ist fast schon zuhause hier

    Ich wollte es gerade mal fragen wie @altblase
    Kann es sein das du Musik etwas sehr verkopft angehst?
    Sicher gibt es Grundlagen und Methodik , aber wenn du gut üben willst, solltest du dich dabei wohl fühlen..
    Verkrampftes Hirn lernt nicht gut
     
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  4. antonio

    antonio Gehört zum Inventar

    Interessante Frage...für Hirnforscher :)
    Wenn bei mir eine gewisse Abfolge sehr hakt, habe ich auch schon endlos lange genau diese 3, 4 Töne gespielt und nur die. Allerdings nicht ein Stunde lang. Einen wirklichen Lerneffekt konnte ich so aber nicht feststellen. Ich denke, dass sich das dann im Ablauf halt anders anfühlt- allein wegen der (unbewussten) Erwartungshaltung: Uah, achtung, diese Stelle kommt gleich...

    Aber so wie ich dich verstehe stellst du die Frage ja eher "akademisch" und nicht unbedingt auf die reale Spielpraxis bezogen, also an einen verwertbaren Lerneffekt.
     
  5. mato

    mato Strebt nach Höherem

    Ich denke, dass es effektiv wird, wenn es für das Gehirn einen Sinn ergibt, was man da macht. Übe ich etwas, was für mich keine Relevanz hat, dann sortiert mein Kopf das schnell wieder aus. Die besten Lernerfolge habe ich, wenn ich ein sehr konkretes Ziel vor Augen, oder besser in den Ohren habe.
     
  6. giuseppe

    giuseppe Strebt nach Höherem

    Ich kann dein Empfinden super nachvollziehen, dass
    1. gefühlt keine noch so kleine Tonfolge „perfekt“ zu meistern ist - auf der Klarinette z.B. leichter, da der ton „stabiler“ ist.
    2. das beim improvisieren überhaupt nicht relevant ist.

    Deine Methode stellt für mich nicht zwingend eine Annäherung an das Problem von 1. dar, bzw, solltest du es selber am besten beurteilen können. Denn wenn es dir hilft, dann sollte genau dieser Punkt (1.) nach so einer Stunde besser sein, oder am nächsten Tag.

    Was den Effekt von solchen Übungen auf Hirn und Geist betrifft, könnten neben Erkenntnissen aus der Psychologie und Physiologie des Lernens auch die alten Zen-Buddhisten (positives Samadi) oder andere Meditationstraditionen (von Mantrasingen bis Rosenkranzbeten) interessant für dich sein.
     
  7. Wanze

    Wanze Strebt nach Höherem

    Es gibt Erkenntnisse aus der Gehirnforschung, dass man tatsächlich Dinge immer besser kann, je mehr man sie übt. Dass es also nicht den Punkt gibt, wo man etwas 'perfekt' kann und nicht mehr weiterüben muss.
    Von Manfred Spitzer wurden Untersuchungen an Angestellten in ein Zigarrenfabrik beschrieben, die sich über Jahrzehnte hinzogen. Die Geschwindigkeit, mit der Zigarren gerollt werden können (ein relativ komplexer Vorgang!) steigt bei erfahrenen Arbeiterinnen immer weiter an, auch noch nach Jahrzehnten.
    (Bei Bedarf findest Du das bei Guugel mit den Suchbegriffen 'Spitzer Hirnforscher "Zigarren" ' ... da ich nicht weiß, ob die pdfs nicht Copyright unterliegen, poste ich sie hier nicht).
    Also macht fortwährendes Lernen der gleichen monotonen Dinge durchaus Sinn - wenn man genau diese Dinge lernen will. (Gut, für Saxophonisten ist es sowieso klar, dass es 'perfekt' nicht gibt.. ;))

    Aber Deine Frage war ja:
    Das ist nochmal etwas anderes: "Effektiv" bedeutet ja "Zielführend". Also ist die Frage, was ist eigentlich Dein Ziel? Willst Du die drei Töne (mit Metronom) genau auf den Schlag spielen? Willst Du die Intonation dieser drei Töne perfekt beherrschen?
    Ich bin ja - wie ich schon öfter geschrieben habe - der Ansicht: Man lernt genau das, was man übt! Wenn man schnelle Läufe übt, dann lernt man eben nicht Intonation sondern schnelle Läufe. Longtones üben nicht Deine Geschwindigkeit. usw.
    Also wenn Du stundenlang die drei Töne spielst, dann lernst Du genau diese drei Töne. Wenn Du die z.B. sehr gut auf den Schlag spielen kannst (hätte fast 'perfekt' geschrieben - aber das gibt es ja nur als hypothetisches Ideal!), dann kannst Du noch lange kein C genau so gut, weil ja die Mechanik, Ansprechverhalten etc. doch einen Ticken anders ist.

    Aus meiner Sicht also die klare Antwort: Effektiv mag es sein, für genau das Ziel das Du Dir dabei vorgenommen hast. Effizient ist es sicher nicht - Du brauchst einen grossen Teil Deiner Übungszeit, um drei Töne zu lernen - es gibt aber nicht sehr viele Stücke, die nur diese drei Töne benötigen. Ich nehme einfach mal an, Du willst auch andere Stücke spielen. Dann könnte eine andere Übung effizienter sein!

    Und nachdem ich das jetzt alles geschrieben habe, sehe ich, dass ich das alles auf das Ziel 'Saxophon spielen lernen' bezogen habe.
    Jetzt lösche ich das ganze nicht wieder - aber wenn Dein Ziel "einen Marder aus dem Dachgeschoss zu vertreiben" ist - dafür kann so eine Übung durchaus effizient sein, wenn Marder genau auf diese Töne empfindlich sein sollten.
    Als "stundenlange Entspannungsübung mit Saxophon" kann es natürlich auch effizient sein.

    Wenn Du weißt, wozu Du diese Übung machst, dann kannst Du - so wie ich Dich einschätze - Dir die Frage selbst beantworten.
    Und - sorry, bin neugierig - vielleicht kannst Du mir ja auch sagen, was eigentlich Dein Ziel mit der Übung ist. Gerne auch per PM.

    Grüße,

    Wanze
     
  8. altoSaxo

    altoSaxo Strebt nach Höherem

    Professor Altenmüller, zu dem hier schon oft Videos verlinkt wurden, betonte, dass zu viele Wiederholungen einer Stelle am Stück für die geübte Stelle nichts bringen. Stattdessen sollte man dann lieber etwas anderes üben und die Stelle bei der nächsten Übeeinheit wieder üben. Ob stundenlanges Üben einer Stelle sich auf einer Metaebene wie Konzentrationsfähigkeit oder Sound effektiver auswirkt als andere Übungen während dieser Zeit wäre eine andere Frage.
     
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  9. giuseppe

    giuseppe Strebt nach Höherem

    Ne, nicht gerne per PM. Gerne hier. ;)
     
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  10. giuseppe

    giuseppe Strebt nach Höherem

    Irgendwann habe ich mal was über Dirk Nowitzki gelesen, und da berichtete er, dass er als Jugendlicher täglich über Stunden den Korbwurf im Rückwärtsfallen übte, den “Fadeaway”. Immer wieder und wieder, bis er die so sicher versenken konnte, dass es ein Signature Move von ihm wurde.

    Natürlich hatte Nowitzki als einer der besten Spieler der Welt auch alles andere drauf, was zum Basketballspielen gehört, aber vielleicht war die extreme Konzentration auf diesen Wurf für einen Zeitraum besonders hilfreich und die Wahl der Technik war eine gute.

    Der Wurf ist schwer zu verteidigen, und wenn man ihn kann, sichert einem das die Punkte die man braucht, um vielleicht in anderen Bereichen Spielraum zum üben, probieren (und auch mal scheitern) zu haben, ohne dass die gesamte Performance leidet.

    Die Frage ist also, bevor du etwas 3000 Stunden übst, was dein persönlicher Fadeaway ist, damit sich das rentiert!
     
  11. Gelöschtes Mitglied 5328

    Gelöschtes Mitglied 5328 Guest

    Nun, für Jemanden, der Musik studieren will, halte ich solche Fragen schon für zielführend.

    CzG

    Dreas
     
  12. altblase

    altblase Strebt nach Höherem

    Nicht, dass Ihr denkt, dass ich neugierig wäre: Was macht @Paul2002 jetzt eigentlich? Abitur hat er doch schon längst, wenn ich das richtig mitbekommen habe. Zum Barras eingezogen wie dunsemal wird man ja schon lange nicht mehr. Jetzt im Musikstudium? Oder erstmal anderes Studium/Berufsausbildung?:cool:
     
  13. Gelöschtes Mitglied 13399

    Gelöschtes Mitglied 13399 Guest

    Mit letzterem Satz hast du sicher Recht, aber ich glaube nicht, dass ich zu verkopft an die Musik herangehe. Früher war das sicher so, aber ich verbringe inzwischen auch viel Zeit mit Singen, spiele als Warmup Soli zu Aufnahmen usw. Ich habe schon wirklich viel Spaß mit der Musik (-:

    Genau, ich stelle die Frage tatsächlich mit dem Interesse eines Hirnforschers, der ich nicht bin. Für das praktische Üben ist mir die Antwort nicht allzu wichtig.

    Sehr gut auf den Punkt gebracht!

    Ich habe eigentlich kein konkretes Ziel mit der Übung, ich höre es nur bei Beethoven oder Chopin sehr gerne, wenn Töne umspielt werden und würde gern einmal derart Jazz improvisieren können, dass ich dabei sehr viele Töne umspiele. Umso schneller man einen Ton umspielen kann, desto flexibler kann dieses Stilmittel einsetzen, da dann die tonleiterfremden Töne der Umspielung weniger Reibung erzeugen. Ich spiele also G# A B und stelle mir vor, das ganze wäre über D-Dur, dann über F#-Moll, A-Moll, C-Dur usw.

    Außerdem hat das längere monotone Üben kleiner Tonfolgen auf mich einen beruhigenden Effekt, erdet mich, vertreibt manche Sorgen, so dass das weitere Üben anderer Dinge dann mehr Spaß macht und einfacher geht.


    Danke auch dir für deinen umfassenden und erhellenden Beitrag (-:


    Vorbereitung auf ein Musikstudium nächstes Jahr und gelegentlicher Besuch der geisteswissenschaftlichen Fakultät als Teil meines Parkstudiums.
     
  14. bthebob

    bthebob Strebt nach Höherem

    @Paul2002

    Meine Empfehlung, was deine Fragen betrifft:

    Sonny Rollins

    Die Interviews, seine Selbst-Auskünfte, seine Workshops usw.

    Da ist viel im www zu finden.
    Sätze wie ....

    - "play one note, only one note" ;)

    - "Ich denke nicht, wenn ich spiele.
    Dafür ist keine Zeit"

    - "Ja, Musizieren ist für mich Meditation"

    - "Üben zu Hause oder Spielen vor Publikum macht für mich
    kaum einen Unterschied. Vor Publikum ist der Spaß größer"

    VG
     
  15. quax

    quax Gehört zum Inventar

    Wie haben wir das Schreiben gelernt?
     
  16. bthebob

    bthebob Strebt nach Höherem

    @mato
    OK ... einverstanden.

    Aber "wer oder was" oder welche Ecke im Gehirn entscheidet über Sinn oder Unsinn ?

    Und über Relevanz ?

    Als Ensemblemitglied oder vortragender Einzelkünstler ist die Frage
    nach Relevanz schnell geklärt.
    Da gibt's ein Repertoire, da muss geliefert werden. :D

    Aber was macht der einzig im Proberaum Reüssierende ?;)

    VG
     
  17. Wanze

    Wanze Strebt nach Höherem

    Ja, genau das meinte ich. Wenn man besonders schön Schreiben können möchte, dann ist es nicht effizient, die Buchstaben g, a und b zu üben - und alles andere ist noch ein Gekritzel. Nur ein paar intensiv geübte Töne eines Licks sind halt noch keine Musik.
    Ich erinnere mich noch, als ich Lesen gelernt habe, war die ganzheitliche Methode modern. Man hat also keine Buchstaben gelernt sondern Wörter. Ob das jetzt besonders effizient ist, weiß ich nicht - bin aber bis heute noch ein schneller Leser. Wie es mit dem Schreiben war, weiß ich nicht mehr so genau.
     
  18. Livia

    Livia Ist fast schon zuhause hier

    Das ist ein sehr komplexes Thema, deswegen von mir erstmal in aller Kürze:

    Grundsätzlich sollte Lernen (also auch Üben) bewusst geschehen. Nicht nur die Bewegung sollte ausgeführt werden, sondern auch der Geist bewusst dabei sein. Wenn du also eine Bewegungsfolge (Klangfolge oder Intonationsfolge) trainieren möchtest, solltest du immer bewusst wahrnehmen, woran genau du bei dieser Tonfolge gerade arbeitest, was dir daran noch nicht gefällt, und auf welche Weise du dich verbessern möchtest.
    Verbessert sich nach ein paar Wiederholungen nichts, sollte die Methode geändert werden. Klassische Änderungen wären beispielsweise das langsamer Spielen und beim Üben von Griffverbindungen das rhythmisierte Üben (die Tonfolge also in unterschiedlichen Rhythmen üben).

    Der zweite Aspekt, der zu beachten ist, ist, dass sich die falsch ausgeführte Version einer Tonfolge genau so stark im Gedächtnis einprägt wie die richtige. Das Gehirn unterscheidet nicht zwischen falsch und richtig. Es verstärken sich nur die neuronalen Bahnen von häufig ausgeführten Versionen. Der Umkehrschluss ist, dass "falsche Versionen" mit sehr häufigen Wiederholungen von "richtigen Versionen" überschrieben werden müssen.

    Der dritte Aspekt, der mir dazu einfällt, ist, dass Erlerntes im Gehirn besser abgespeichert wird, wenn es auf unterschiedliche Weise und aus unterschiedlichen Betrachtungsweisen gelernt wurde. (Siehe oben - das rhythmisierte Üben)

    Und schlussendlich der letzte Aspekt: Die Konzentrationsfähigkeit lässt beim monotonen Erarbeiten einer Tätigkeit (ohne unterschiedliche Betrachtungswinkel) schnell nach, womit das Bewusstsein nach einigen Wiederholungen nicht mehr beteiligt ist und man in den Automatismus-Modus wechselt.

    Dies alles spricht dafür, dass das häufige Wiederholen einer Übung kontraproduktiv ist was die Effektivität angeht. Noch schlimmer ist, dass man sich Fehler bzw. kleine Unsauberkeiten einüben kann, weil man sie im quasi "Trance-Modus" nicht mehr bemerkt.
    Einige erzählen ja, dass sie bspw. beim Zeitungslesen oder Fernsehen Tonleitern üben. Das würde ich nie machen.

    Wenn sich jemand mehr für Hirnforschung und die Schlussfolgerungen für das Üben interessiert, dem sei folgende Literatur ans Herz gelegt:
    Renate Klöppel und Eckart Altenmüller: Die Kunst des Musizierens - stark bezogen auf das Üben
    Manfred Spitzer: Musik im Kopf - nicht nur auf das Üben bezogen, umfangreicher
     
    Zuletzt bearbeitet: 2.Dezember.2023
    LacySax, Earlybird, Saxax und 12 anderen gefällt das.
  19. quax

    quax Gehört zum Inventar

    Wobei Schreiben und Lesen schon verschiedene Dinge sind.
     
    _Eb und Gelöschtes Mitglied 13399 gefällt das.
  20. Gelöschtes Mitglied 11989

    Gelöschtes Mitglied 11989 Guest

    "extrem" ist irgendwie nie gut. ;)
     
    _Eb und Livia gefällt das.
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