Lehrer und Schüler, wie weit geht ihr mit den Etüden?

Dieses Thema im Forum "Saxophon spielen" wurde erstellt von giuseppe, 14.Juni.2025.

  1. giuseppe

    giuseppe Gehört zum Inventar

    Sehr schön, danke fürs teilen!
    Es gibt mir zu denken. Ich glaube immer noch, dass ich (persönlich) als trainierter Notenleser ein Bird-Solo schneller lerne, wenn ich mit dem Omnibook anfange, anstatt nur mit der Platte. Ich denke es ist aber wichtig, dass die „Endstrecke“ ohne Noten, mit der Platte stattfindet. Am Ende muss man es alleine aus dem Ohr spielen, ohne Noten. Das wäre dann auch in etwa der Punkt, auf den ich ursprünglich hinaus wollte.
     
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  2. giuseppe

    giuseppe Gehört zum Inventar

    Nein, vielen Dank! Es war nur nicht mein Thema hier. Ich habe nicht nach Tipps gesucht wie ich mein Inneres musikalisch auslebe. Da fällt mir einiges ein! ;)
    Ich wollte tatsächlich wissen, wie (und wofür) verschiedene Leute Jazz-Etüden nutzen und mit ihnen üben. Ich denke auch nicht, dass es da nur eine richtige Antwort gibt.
     
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  3. bthebob

    bthebob Strebt nach Höherem

    @giuseppe
    Volle Zustimmung !

    An dieser Stelle mal wieder meine Empfehlung an alle Sax-Einsteiger:

    "Legt euch ein kleines, tragbares Tasteninstrument zu (61 Tasten reichen)
    und die Welt der Musiktheorie wird sich euch leichter erschließen"

    VG
     
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  4. Rick

    Rick Experte

    Mal eine Antwort aus dem Unterrichtsalltag:

    Einige Schüler kaufen sich (meistens ohne meine Empfehlung) irgendwelche Etüden Sammlungen, weil sie gut aussehen. Die gehen wir dann gemeinsam durch - aber ohne, dass sie daraus etwas machen. Einfach als Leseübung und für Phrasierung, Rhythmik, Artikulation.
    Leider herrscht bei vielen die Meinung vor, sie könnten sich damit die praktische Arbeit an der Improvisation und am genauen Hören sowie Analysieren von Aufnahmen ersparen - was natürlich ein Fehlschluss ist.

    Die Etüden bringen ihnen schon was, wenn auch nicht das, was sie sich erhoffen.

    Ich selbst bin kein großer Fan von solchen Etüden, schon allein deshalb, weil es Derartiges früher, als ich angefangen habe, noch gar nicht gab.

    Wir haben gehört und viel gemeinsam gejammt, so hat meine Generation zu jazzen gelernt - vor allem Interaktion und das spontane Reagieren auf die Mitspielenden. Da hilft keine Etüde. ;)

    Mir waren bei komplexeren Stilen Solo-Transkriptionen hilfreich; vorwiegend, um zu verstehen, was bestimmte Musiker gemacht haben, wie sie gedacht haben, wie zum Beispiel Michael Brecker: Was macht er, dass es so klingt?

    Wenn mir oder meinen Schülern etwas technisch schwer fällt, dann wird genau DAS speziell geübt. Überhaupt finde ich, gerade mit Ziel Improvisation, dass man sich Übungen, Variationen, "Inflections" usw. am besten selbst ausdenkt und dann gleich auswendig übt.

    Diese Etüden sind ja ganz nett, aber im Endeffekt nur eine Möglichkeit für die Verfasser, etwas zusätzliches Geld zu verdienen.
     
    Zuletzt bearbeitet: 15.Juni.2025
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  5. Juju

    Juju Strebt nach Höherem

    Puh, das ist unmöglich zu sagen- sagen wir mal, ein Chorus Dexter oder Mobley geht in einer halben bis einer Stunde, ein Chorus Brecker geht gerne ein paar Monate, und dann kann ich es noch immer nicht im Originaltempo, aber bin schon froh, wenn es bei 70-80% läuft… kommt ja immer drauf an, was ich erreichen will. Es kann ja auch eine Phrase sein, die zwei oder drei Takte oder so lang ist, die geht in wenigen Minuten, und die dann durch alle Tonarten geht in der Regel recht schnell. Aber wenn es eine Phrase ist, die ich so vom Tonmaterial her normalerweise nicht selbst spielen würde, mit seltsamen Intervallen etc, kann es auch mal Stunden dauern, die durch die Tonarten zu kriegen. Oder ich merke irgendwann, dass ich es zwar ‚down in tones‘ abspulen kann, aber nicht, wenn ich die entsprechende Akkordfolge vor mir habe und die Phrase da anbringen will, da gebe ich mich dann oft geschlagen- bis so eine Phrase Monate später evtl in meine Improvisation hüpft und ich oft so schockiert darüber bin, dass ich direkt danach aus der Kurve fliege!
    LG Juju
     
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  6. Nemo

    Nemo Ist fast schon zuhause hier

    Dankeschön!
     
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  7. IngoK

    IngoK Kann einfach nicht wegbleiben

    Ich habe vor fast einem Jahr und nach langer Pause wieder angefangen Unterricht zu nehmen, nach kurzer Zeit war das Unterrichtsmaterial ausgewählt, den Niehaus Basic Jazz Nummer 2 und Lacour das erste Heft. Der Unterrichtsteil mit den Etüden läuft meist so ab dass wir je eine Etüde aus beiden Heften durchspielen (die wir in der Vorwoche angespielt haben) ggf. Korrigieren und die folgenden Etüden angespielt und durchgesprochen werden (Hinweise, Fallstricke) so dass ich die für den nächsten Unterricht vorbereiten kann. Manchmal brauche ich auch zwei oder drei Wochen bis eine Etüde passt oder ich sie "sauber" ins geforderte Tempo bringe.
    Ich habe den Eindruck dass die Etüden mir unbekannte Schwachpunkte doch deutlich schneller und deutlicher offenlegen als Spielstücke. Da ist aber auch das Feedback durch den Lehrer sehr wertvoll.
     
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  8. bthebob

    bthebob Strebt nach Höherem

    @Juju
    Aber du freust dich doch sicher auch, das die Phrase spontan reingehüpft ist ?! :)

    Weil, nach meinem Dafürhalten macht das einen Großteil des Spaßes
    und den tieferen Sinn des Übens von Etüden aus.

    Das Tonfolgen und Variationen uns so in "Fleisch und Blut" übergehen,
    das sie irgendwann sich von selbst melden.:D

    VG
     
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  9. Saxoryx

    Saxoryx Strebt nach Höherem

    Und das langweilt dich nicht, so etwas nachzuspielen? Ich meine, ich weiß, dass du großartig spielen kannst, ungefähr 1 oder 10 Millionen mal besser, als ich es je können werde, aber so Sachen von anderen Leuten zu spielen, die die erfunden haben und die du so auch selbst nie spielen würdest, was empfindest du dabei? Nur eine Etüde? Oder was ist das, was du damit erreichen willst? Besser werden, klar. Mehr Möglichkeiten, denke ich mir, mehr Erfahrung, mehr Variation usw. Als tolle Musikerin, die du bist, ist das ja alles ganz anders als bei einer Ameise auf dem Saxophon wie mir, aber ich frage mich immer, warum Leute das tun.

    Wenn etwas nicht von mir stammt, kann ich mich nicht damit identifizieren und eigentlich auch nichts davon lernen. Weil mein innerer Widerstand immer mehr wächst, mir das überhaupt aneignen zu wollen, was die Persönlichkeit eines anderen ist, was die Persönlichkeit eines anderen Menschen ausgedrückt hat und was nicht meine Persönlichkeit ist, nicht zu mir passt. Dieser innere Widerstand tritt bei mir sehr schnell auf und dann will ich das einfach nicht mehr. Ich will etwas, das aus mir kommt. Ist einfach so. Vielleicht bin ich da einfach komisch. Aber ich würde mich echt mal dafür interessieren, rein psychologisch - weil meine Ablehnung dagegen so stark ist -, wie das Leute empfinden, die sich so den Anzug eines anderen, ihnen vielleicht auch völlig fremden Menschen überziehen, damit etwas anfangen können.

    Der Anzug passt doch wahrscheinlich nirgendwo richtig, man muss immer daran rumzippeln. Die Beine sind zu kurz, die Arme zu lang, die Taille zu weit oder zu eng. Da fühlt man sich doch nicht wohl. Oder doch? Das ist mir wirklich ein Anliegen, da mal hinterzusteigen, was da die Faszination ausmacht, sich so einen Anzug überzuziehen. Das ist jetzt absolut nicht ironisch gemeint, sondern absolut ehrlich. Das treibt mich schon um, seit ich angefangen habe, Saxophon zu spielen und mir gesagt wurde, ich sollte irgendwelche Solos nachspielen. Dann habe ich mir das angehört und abgesehen davon, dass ich das natürlich am Anfang nicht im Mindesten konnte, habe ich auch gehört, dass das ja nicht mein Solo ist, dass ich damit nie das ausdrücken könnte, was ich ausdrücken will. Dass mir das einfach nichts bringt. Ja, ich weiß, ich bin komisch. :rolleyes:
     
    Zuletzt bearbeitet: 24.Oktober.2025
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  10. slowjoe

    slowjoe Strebt nach Höherem

    Du spielst nur selbstgeschriebenes?

    SlowJoe
     
  11. ppue

    ppue Mod Experte

    Na, zum einen sucht man sich ja aus, welches Material man sich anschauen möchte. Tendiert man zum Zweireier, dann hat man schon eine gute Vorauswahl getroffen und muss nicht alle Anzüge durchtesten. Zum anderen studiert man ja in gewisser Weise die Kunstrichtung Musik, macht sich mit ihrer Geschichte vertraut, schaut darauf, wie andere Kulturen damit umgehen und mit welchen Methoden welche Ergebnisse erzielt werden.

    Das verdirbt bestimmt nicht den eigenen Charakter oder Ausdruck, sondern gibt dem eigenen musikalischen Schaffen eher mehr Raum, mehr Möglichkeiten, sich auszudrücken.

    Ein weiteres will ich aus meiner eigenen Perspektive hinzufügen. Für mich ist Musik nicht in erster Linie da, mich selber auszudrücken. Mir kommt es in erster Linie auf das gemeinsame Musizieren an. Da ist gar nicht so viel Platz für den Persönlichkeitskult, der im Jazz so hoch gehalten und angestrebt wird.
     
    Zuletzt bearbeitet: 24.Oktober.2025
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  12. Juju

    Juju Strebt nach Höherem

    Wenn ich es langweilig finden würde, warum sollte ich mir das antun? Ich liebe es, und würde am liebsten gar nicht aufhören, habe gerade drei Stunden mit einem Solo von Eric Alexander verbracht und musste nur deswegen aufhören, weil mein Ansatz sich verabschiedet hat. Wenn Du die großen Spieler fragst, wie sie zu ihrem Sound und ihrer Art der Improvisation gekommen sind, wirst Du die eine Aussage immer wieder finden: Sie haben ihre Vorbilder bis zum gehtnichtmehr kopiert. Und weil so ziemlich jeder seine "eigene Kombination" von Vorbildern hat, entsteht auch irgenwann ein ganz persönlicher Sound. Wenn vielleicht mal ein klein wenig Dexter Gordon oder Eric Alexander in meinem Spiel nachvollziehbar sind, dann ist das ein großes Kompliment für mich. Und das ist doch gerade das Schöne, dass ich mir das Beste von allen diesen tollen Spielern erarbeiten kann. Wie gut, dass die alle so verschieden sind und ich mir heute was von Eric Alexander erarbeiten kann und morgen von Dexter oder Coltrane. So erweitert sich mein Horizont. Und gerade wenn ich mir mal was vornehme, was so gar nicht in meiner Comfort Zone liegt (aber was mir trotzdem sehr gefällt), habe ich oft etwas später einen Durchbruch.
    Du lernst diese Solos ja im Detail oder übernimmst Aspekte davon, die Dir gefallen, um eben hoffentlich zu irgendeinem späteren Zeitpunkt so flexibel zu sein, dass Du selbst genau das ausdrücken kannst was Du in Deinem eigenen Solo ausdrücken willst. Aber wenn nichts auf Deiner Festplatte abrufbereit ist, wird dieser Erfolg nicht eintreten. Jazz language ist nicht im leeren Raum entstanden, entweder Du erlernst die Sprache, und dann hast Du Dich darauf eingelassen und sie von irgend jemandem gelernt. Aber ohne Assimilierung in irgendwelcher Form sprichst Du Kauderwelsch ohne Kontext, ist ja letztendlich jedem seine eigene Sache, und wenn man am liebsten mit sich selbst redet und nur von sich selbst verstanden werden will, why not... whatever floats your boat, life is too short....
    LG Juju
     
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  13. Bereckis

    Bereckis Gehört zum Inventar

    Hallo @Juju ,

    wenn du zum Beispiel ein Solo bzw. Teile von Eric Alexander “erlernst”, wie weit hörst du die Harmonien?

    Oder hast du die Harmonien notiert vor dir liegen?

    Vielen Dank.

    Michael
     
  14. giuseppe

    giuseppe Gehört zum Inventar

    Du sprichst etwas an, was ich nicht nur in der Musik sehe. Sondern zum Beispiel auch im Beruf. Ich sehe immer wieder Menschen, die da aus meiner Sicht etwas verwechseln, sie setzen die vermeintliche Selbstverwirklichung ganz oben auf die Liste und übersehen, dass Verwirklichung doch meist mehr mit Arbeit, Entwicklung, Reife und ganz stark mit Anpassung zu tun hat als man meinen möchte.

    Ein Bauingenieur, der am liebsten Schifffahrtskanäle baut, aber im Gebirge lebt und leben will, wird sich dort vielleicht eher verwirklichen, wenn er doch bereit ist, auch Brücken, Bahnstrecken, Passstraßen und Gebäude am Hang zu bauen. Vieleicht baut er mal die tollsten Talbrücken, ohne sich selbst aufzugeben. Vieleicht findet er da sogar was. Auf dem Weg dorthin kommt er aber nicht drum herum zu lernen, wie man das macht, d.h. sich damit zu beschäftigen, wie die Könner so erwas machen, vielleicht auch, wie es früher gemacht wurde. Somit steht für mich das Studium einer Selbstverwirklichung weniger im Weg, als der Verzicht darauf bzw. seine Ablehnung.

    „Selbstbeschäftigung“ kann auch was wichtiges sein, kann einem Energie geben, hat vielleicht etwas introspektives, was zu „Selbstfindung“ beitragen kann.
    Für mich ist das aber eher das Auftanken. Zum Gefühl der „Selbstverwirklichung“ fehlt mir da die „Selbstwirksamkeit“ im Kontext anderer Menschen. Ich will etwas bewegen können, will sehen dass ich das kann und will auch sehen, dass andere das sehen.

    Das gilt sicher nicht für alle Menschen, ich glaub aber schon, dass die meisten ein bisschen Interaktion brauchen um zu spüren, wer sie sind.

    Passenderweise gefällt mir die Sorte Musik am besten, bei der man den springenden Funken zwischen den Musikern hört. Jazz, in dem der Persönlichkeitskult ganz klar im Vordergrund steht, in dem das Ensemble zu hierarchisch ist, ist für mich oft weniger interessant anzuhören.
     
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  15. Juju

    Juju Strebt nach Höherem

    Hi Michael, das sind ja meistens Stücke, die ich kenne und an denen ich arbeite, also Standards, Rhythm Changes, Blues und Ähnliches. Da höre ich ja, was die Rhythmusgruppe von den Harmonien her macht...
    LG Juju
     
  16. bthebob

    bthebob Strebt nach Höherem

    @giuseppe
    Schwieriges Thema.

    Wer sollen die Anderen denn sein ?
    Ich kenn' die doch gar nicht, kann sie mir als Musizierender nicht aussuchen,
    werde sie im Normalfall auch nie kennenlernen.

    Beispiel:
    Wenn ich in meinem Proberaum lautstark übe, denken die anderen Musiker (Rock und Pop u.ä.)
    im Haus garantiert:
    "Wann ist der endlich fertig mit seinen Saxophon-Jazz-Zeugs ?
    Ist ja nicht auszuhalten"

    Und, darf mich das tangieren in meinem Tun?
    Nein.

    Nach meiner eigenen Philosophie, warum Menschen aktiv Klänge erzeugen,
    gibt es drei Kategorien.
    (passiv Musik hören ist nochmal ein andere Geschichte)

    #1 um Zuhörer zu unterhalten, um im weitesten Sinne Anderen Freude zu bereiten.
    #2 um im Zusammenspiel mit Anderen sich selbst Freude zu bereiten.
    #3 um sich selbst " Aufgehoben zu fühlen im Klang"

    BTW:
    #3 ist ein Zitat.
    Ist die Antwort eines Musikers (Klassiker)
    auf die Journalisten-Frage: "Was bedeutet ihnen Musik ?"

    Ich favorisiere für mich #3

    So ist es.
    Ein Eckpunkt für unser mentales Wohlfühlen:
    Im Gleichgewicht sein zwischen Autonomie und Verbundenheit.

    VG
     
  17. Bb7

    Bb7 Ist fast schon zuhause hier

    Na, immerhin...:) ich bekam vor Jahren meist Zuspruch im Proberaumbunker und wurde oft gefragt, ob ich nicht usw. ich wollte aber fast nie.

    Ansonsten bei mir auch : ganz klar # 3 liegt sicherlich auch am Alter, mit 20 würde ich da vielleicht anders denken
     
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