Wo atmet Anders Paulsson?

Dieses Thema im Forum "Saxophon spielen" wurde erstellt von slowchange, 6.Dezember.2025 um 08:35 Uhr.

  1. slowchange

    slowchange Kann einfach nicht wegbleiben

    Ich bin in letzter Zeit wieder deutlich häufiger hier im Forum, weil ich in ein Kanninchenloch gefallen bin. Nämlich Klassik. Mir war gar nicht klar, was es da für Saxophon für tolle Sachen gibt!

    Ich habe mir ein neues Mundstück gekauft und stümpere mich durch die großen Klassiker fürs Instrument und da bin ich zwangsläufig auch an der Bach-Partita für Flöte vorbeigekommen. Ich habe schon gesehen, dass es dazu hier im Forum eine Menge Threads gibt, in denen darüber diskutiert wird, aber ich bin immer noch nicht ganz raus, wie man da atmen kann. Ich meine - Zirkularatmung kommt mir für dieses Stück blöd vor (und außerdem kann ichs nicht). So richtige Atempausen, bei denen auch das Tempo gebrochen wird, finde ich aber auch nicht schön. Am überzeugendsten finde ich das bisher bei der Aufnahme von Anders Paulsson, aber ich höre auf der Aufnahme wirklich nur ganz selten mal ein vorsichtiges Zeichen darauf, dass er atmet. Wie macht er das? Ich merke schon, dass er manchmal etwas freier mit dem Rhythmus umgeht, da entstehen dann vielleicht Gelegenheiten, aber hören tut man das kaum.
     
  2. JES

    JES Gehört zum Inventar



    Das ist zwar nicht Anders Paulsson, aber auch ein Profi, Marten Root.
    Und du kannst hier sehen, wann er Luft holt...
     
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  3. Paco_de_Lucia

    Paco_de_Lucia Ist fast schon zuhause hier

    @slowchange
    ich hab mir gerade mal →die Allemande aus der G-min. Partita von besagtem Spieler angehört.
    Es ist schon zu hören, wo der atmet, aber es wurde retuschiert,
    eine beliebte Technik bei Bläser-Aufnahmen im Studio.
    Ich pers. finde das etwas altväterisch, weil - wie der Star-Flötist Emmanuel Pahud mal so schön sagte:
    "It's a windinstrument, you have to breath!".
    Bei ihm hört man es auch schön, wie der Luft holt.
    Ich würde Dir da eh als Referenz das jeweilige Instrument immer empfehlen, für welches das Stück geschrieben worden ist.
    btw. das Sopran verbraucht nicht so viel Energie, wie bsp. ein Bariton,
    hießt: Du kannst schon sehr weit die Phrasen spielen, ehe die Luft knapp wird.
    Das ist aber keine Challange.
    Dein Gehirn braucht ständig frischen Sauerstoff, daher lieber öfters mal atmen,
    gerade in der Barockmusik gibts gute Richtlinien für.
    Was das Ganze auch etwas erschwert, viel Musik wurde eben für "Nicht-Wind-Instrumente" geschrieben und dann transkripiert.
    Ich muss als Bläser aber atmen, wo der Streicher nur den Strich wechselt oder noch länger mit einem Barockbogen spielt.
    Flötensonaten sind ein "Special", da wird bis heute unter Flötisten gestritten, wie das zu spielen ist,
    weil die Barockflöten waren viel dünner im Durchmesser, auch eklatant leiser, als die heutige moderne Böhm-Konzertflöte.
    Da konntest extrem lange Phrasen mit spielen (gibts ja heute noch, Original-Aufführungspraxis...ist eben sehr leise - oder unser Ohr ist nur noch den Lärm gewohnt).
    Die moderne Konzertflöte hat einen großen Durchmesser, ist viel lauter, da ist die Luft auch schneller aus. Musste eben in einer typischen Phrase leider zwischenatmen.
    (es sind schon Flötisten*innen auf der Bühne umgefallen, weil sie nicht atmen wollten).
    Also - don't forget: you have to breath!!!
    Gute Erfolge mit dem Barock
    Paco
     
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  4. slowchange

    slowchange Kann einfach nicht wegbleiben

    Ok. Ich habe das verstanden. Bläser müssen atmen. Da hilft wohl nur radikale Akzeptanz. Und es stimmt schon, wenn ich mich durch Youtube klicke, dann hört man bei den meisten Aufnahmen ganz gut, wo die atmen. Dass die Atemgeräusche in der Paulsson Aufnahme retouchiert sind, das habe ich mir schon gedacht. Aber er bleibt da schon recht konsequent im Tempo und das finde ich ein bisschen beneidenswert. Schnappt der zwischendurch immer kurz Luft, oder wie macht der das? Oder sind am Ende sogar die Atempausen weggeschnitten?

    Ich kenne Leute, die Streichinstrumente spielen und die sagen mir auch immer, sogar bei denen ginge es darum, eher sanglich zu spielen und nicht in einem durchzubrettern. Das gehöre sich so und ich glaube das sogar. Aber ich bin ein Kind der 80er, da war Glenn Gould ganz groß. Und ich kann mir nicht helfen, vielleicht höre ich das auch nicht so richtig, aber für mein Gefühl brettert der einfach durch und betont eher die mathematisch exakte Grundanlage (zB bei den Goldberg Variationen oder beim wohltemperierten Klavier). Das hat mich beeindruckt und geprägt. 85 ist in Deutschland "Gödel, Escher, Bach" erschienen und war voll das Kultbuch. Ich habe das nicht gelesen, aber auch da geht es viel um mathematische Hintergründe, glaube ich.

    Von daher würde ich diese Atempausen nicht stolz herausstellen wollen. Aber atmen muss ich natürlich. Da führt kein Weg dran vorbei. Das ist jetzt ganz schön tiefsinnig. :woot:
     
  5. Paco_de_Lucia

    Paco_de_Lucia Ist fast schon zuhause hier

    @slowchange
    alles cool, genau so isses.
    Ja, der könnte möglicherweise zirkular atemen, ich pers. glaube das weniger,
    Zirkularatmer, gerade auf der Flöte, klingen gern wie ein alter Dampfkessel, das lässt sich nicht wegleugnen;
    im Studio schon eher retouschieren.
    Das bringt aber meines erachtens wenig...
    und wie Du richtig erkannt hast, selbst gute Streicher spielen "singend", und da muss geatmet werden.
    Du kannst die Atempausen auch ganz bewusst benutzen und schick hinstellen. Mut zur Sache.

    Gödel/Escher/Bach ist noch immer Kult...
    und Glenn Gould bleibt unerreicht ;-)
     
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  6. gaga

    gaga Gehört zum Inventar

    Warum macht man es nicht wie bei langen Achtelketten im Jazz? An geeigneten Stellen streicht man die 4+ und die 1 und spielt auf 1+ weiter. Wenn man's geschickt anstellt, bleibt der Fluss erhalten.
     
  7. slowchange

    slowchange Kann einfach nicht wegbleiben

    Auf die Idee, einfach die ein oder andere Note wegzulassen, bin ich natürlich auch schon gekommen. Ich kann aber die 1 nicht weglassen, wenn da gerade eine wichtige Note gespielt wird. Und welche Noten da "wichtig" sind, das erschließt sich mir gerade erst nach und nach.

    Diese Partita ist ja inzwischen 300 Jahre alt und es gibt eine detaillierte Auslegungsgeschichte dazu. Ich möchte halt einfach wissen, wie die Profis das angehen und empfehlen. In der Klassik scheint mir das ein Stück verbindlicher als im Jazz, wo man das einfach grundsätzlich immer selber entscheidet.

    Außerdem habe ich mir die besagte Aufnahme nochmal angehört. Es gibt schon die ein oder andere Stelle, an der man deutlich hört, dass Paulsson da absetzt und atmet. Nur halt so selten. Ich rätsele noch herum.
     
  8. Sebastian

    Sebastian Ist fast schon zuhause hier

    Dieser Profi hier setzt die Phrasen sehr bewusst ab und versucht gar nicht erst, es einem Streicher gleich zu tun:
     
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  9. Analysis Paralysis

    Analysis Paralysis Ist fast schon zuhause hier

    Ich glaube auch, dass man richiges Atmen kaum hört. Und was man davon hört fällt vielleicht nicht auf oder wird tatsächlich technisch unter den Tisch gekehrt.
    Es atmen aber auch manchmal Meister "falsch". Amateure sowieso.

    https://billplakemusic.org/2019/08/...our-lungs-to-help-you-breathe-more-optimally/
     
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  10. Tafkah

    Tafkah Ist fast schon zuhause hier

    Als ich den Thread-Titel las, dachte ich zunächst, es gäbe eine posthume Veröffentlichung eines Werkes von Astrid Lindgren oder einen neuen Krimi von Hakan Nesser (fast noch passender.

    Humor aus.

    Einspruch Euer Ehren. Gould brettert absolut nicht, sondern nutzt die für eine barocke Interpretation eher "zarte Agogik". Wer barocke Werke mit romantischem Ausdruck spielt, darf das gerne machen, verlässt aber die Aufführungspraxis der Zeit, darf das aber natürlich im Rahmen der künstlerischen Freiheit gerne tun. Bestes Beispiel ist für mich das Violinkonzert d-moll für zwei Violingen von J.S. Bach. Ich lernte dieses Konzert mit 21 kennen und war hin und weg von der Interpretation der Oestrachs (David und Igor):

    Hier der Mittelsatz (4:11), später auch mit "Die Engel steigen vom Himmel herab" betitelt, aber wahrscheinlich auch im 19. Jahrhundert.



    Dazu zum Vergleich die Netherlands Bach Society (3:51)



    Viel weniger Vibrato, viel weniger "Schmalz und Schmelz". Es ist und bleibt Geschmacksache. Für Piano wechsle ich zwischen Glenn Gould, Andrès Schiff und Vikingur Olafsson hin und her. Auf jeden Fall bin ich unbarmherzig, wenn ich z.B. die h-moll Messe oder Kantaten von Bach mit Opernstimmen höre. Da schalte ich sofort ab. Das geht für mich überhaupt nicht mehr. Hier meine momentane Lieblingsfassung vom Monteverdi Choir und John Eliot Gardiner:



    Als ich noch regelmäßig spielte, habe ich übrigens die Eingangsmelodie aus dem 1. Satz oft durch alle zwölf Tonarten geübt auf dem Tenor. Much fun.

    Zum Atmen: der Meister Emmanuel Pahud macht hier im Gassenhauer ("Badinerie bei 0:30) vor, wie's geht. Nur beim Hören fällt nicht auf, dass er atmet. Beim gleichzeitigen Anschauen sieht man es deutlich. Sicherlich ist es eine Frage der Übung und Erfahrung. Klar ist, das Atmen schon beim Einüben eines Stückes auf der "to do" Liste steht mit entsprechenden Eintragungen in der Partitur.



    Grottige Akustik und ebenso grottige Aufnahme, aber was soll's.
     
    Zuletzt bearbeitet: 8.Dezember.2025 um 14:06 Uhr
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  11. ppue

    ppue Mod Experte

    Wer verbindlicht? Kunst ist frei. Entscheide selber.
     
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  12. slowchange

    slowchange Kann einfach nicht wegbleiben

    Das klingt, als hättest du da mehr Ahnung als ich, ich würde da gern dazulernen. Wie muss ich das verstehen?




    Ich finde das schnell und in einem durch. Da bleibt keine Zeit zu "atmen" (auch wenn das natürlich Quatsch ist, weil er ja Klavier spielt). Aber damit ich nicht falsch verstanden werde - ich finde die Aufnahme toll und würde gerne sowas auf dem Sax machen können. Ich will ja gerade kein "Schmalz und Schmelz", wo ich mit einer dramatischen Bewegung tief Luft holen könnte. Aber ohne Luft geht es halt nicht.

    Ja eben. Das habe ich bei Jazz nie gemacht. Aber es ist halt doch ein ziemlich spannendes Thema.
     
  13. gaga

    gaga Gehört zum Inventar

    So isset. Ich hatte zu einer Prüfung (vor 55 Jahren) mal ein Solostück für Altsax, wo der Komponist (modern, den Namen hab ich vergessen) ausdrücklich darauf hinwies, dass man angesichts ellenlanger Achtelreihungen selber Atempausen setzen sollte, ohne den Melodiefluss zu stören.
     
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  14. slowchange

    slowchange Kann einfach nicht wegbleiben

    Muss ich eh. Aber mich interessiert, was andere Leute, die sich in den letzten paar hundert Jahren mit dem gleichen Stück beschäftigt haben, dazu sagen.
     
  15. khhs

    khhs Nicht zu schüchtern zum Reden

    Ich bin ja ein großer Fan der Bach-Solo-Aufnahmen von Raaf Hekkema. Er macht viel Zirkuläratmung. Das passt m.E. zu Bach, wo die rhythmische, eher "mathematische" Struktur nicht durch (willkürliche) Pausen zerdehnt werden sollte (wie gesagt, nach meinem Empfinden). Es ist ja keine Romantik...
    Hier z.B. gut zu sehen:
     
    khayman und slowchange gefällt das.
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