Stress und Zeit-Management bei schnellen Tempi

Dieses Thema im Forum "Saxophon spielen" wurde erstellt von GelöschtesMitglied1589, 13.August.2020.

  1. ppue

    ppue Experte

    Das war ironisch gemeint, lieber Paul.

    Zum Artikel: Für mich trifft das nicht das Thema hier.

    Natürlich ist dem einen oder anderen mehr Speed gegeben. Leider unterliegt man in Klassik und Jazz schnell dem Druck, virtuos und/oder schnell spielen zu müssen. Für mich braucht es das nicht, aber ich betreibe die Genre zum Glück auch nicht berufsmäßig.
     
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  2. Rick

    Rick Experte

    Das ist ein interessanter Gedanke!
    Ich habe inzwischen auch noch etwas darüber nachgedacht und meine, dass es wohl beim Schnellspielen, besonders in der Improvisation, um eine Art Trancezustand geht, so im Sinne des Zen: "Es" spielt.

    Ich muss mir ja gar nicht jede einzelne Note bewusst machen, noch nicht mal jede Passage, jeden Akkord usw., ich lasse mich quasi "in die Geschwindigkeit fallen".
    Das bewusste Denken ist immer langsamer, das hilft beim ersten Erarbeiten der Noten, doch dann lasse ich los, der Rest geht automatisch.

    Natürlich habe ich alles, was ich schnell kann, irgendwann in der Vergangenheit erst mal langsam geübt, aber wenn die Abläufe sauber drin sind, steigere ich zügig das Tempo.

    Bei einem Karlsruher Ellington-Projekt, wo eine extra überregional zusammgestellte Big-Band ausschließlich penible Transkriptionen von Ellington-Aufnahmen spielte, sollte ich das legendäre Solo von Ben Webster über "Cotton Tail" vorstellen.
    Das Originaltempo ist für mich eher gemütlich, aber die Sachen, die Webster da gemacht hatte, lagen mir nicht so in den Fingern, also musste ich üben, außerdem wollte ich seinen Sound und sein Timbre treffen.
    Zum Schluss habe ich das Originaltempo gemeistert und konnte den Part fast auswendig, doch die anderen Saxer waren bei den Satzstellen nicht so fleißig gewesen, deshalb wurden für die Aufführung gemächliche 160 bpm gewählt, was mich wieder sehr herausforderte, diesmal jedoch in der anderen Richtung. :-D

    Aber zurück zum Thema: Ich finde, man kann umso schneller spielen, je weniger man dabei bewusst nachdenkt.
     
    Zuletzt bearbeitet: 13.August.2020
  3. Rick

    Rick Experte

    Ja, ich denke, dass dieses "Schnell-Temperament", also die Veranlagung, alles schneller angehen zu wollen, vor allem für die Motivation sorgt, das auch in diese Richtung zu üben.
    Wer eben die Geschwindigkeit nicht fühlt, sie sozusagen "nicht braucht", wie @Dreas schrieb, übt die Sachen nicht so gerne auf Geschwindigkeit, sieht so etwas eher als lästige Aufgabe und nicht als Vergnügen. ;)

    Dass auch langsame Versionen ihren Reiz haben, wurde ja heute von @Hewe bei "Joy Spring" anschaulich präsentiert.
     
  4. GelöschtesMitglied11524

    GelöschtesMitglied11524 Guest

    Dann denk doch mal so.
    Zeit, Geschwindigkeit sind keine absoluten Dinge, sondern (auch) relativ und subjektive Empfindungen.
    Der eine empfindet etwas als rasend schnell, der zweite hat das Gefühl, dabei Blumen pflücken zu können.
    Die Frage ist ob das "genetisch" ist (glaub ich nicht), oder ob sich das mit Übung verändert.
    Wenn man das weiterdenkt könnte man so zu üben versuchen, dass man nicht mit 60, 70 oder 80% spielt und dann in kleinen Schritten auf ein Tempo geht, sondern es so übt, dass man tatsächlich daneben Blumen pflücken könnte. Um mal das Gefühl von Superman zu haben, der die Pistolenkugel mit den Zähnen auffängt, weil für ihn alles so viel langsamer abläuft. Für mich funktioniert diese Methode immer besser, innerhalb kurzer Zeit kann ich 2, 4, 8x so schnell spielen.
     
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  5. Zappalein R.I.P.

    Zappalein R.I.P. Guest

    sehr genau erfasst. das ist gut umschrieben.
     
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  6. Paul2002

    Paul2002 Strebt nach Höherem

    Also für mich ist ''clean'' spielen, wie Parker es so treffend genannt hat das wichtigste überhaupt beim Saxophon. Ich verstehe darunter fehlerfreie Virtuosität und nachvollziehbare Melodien. Trotzdem würde ich nie gezielt auf Tempo üben, weil ich dann das Gefühl hätte, an Präzision zu verlieren.
    In den meisten Dingen außerhalb des Saxophonierens bin ich auch immer auf der Überholspur unterwegs, nur leider desöfteren auch auf der Gegenfahrbahn ;)

    Das halte ich auf für sinnvoller, als beim Üben schrittweise schneller zu werden.
     
  7. ppue

    ppue Experte

    Wie sähe das Üben dann aus?
     
  8. GelöschtesMitglied11524

    GelöschtesMitglied11524 Guest

     
  9. ppue

    ppue Experte

    Wie übt man, so dass man daneben Blumen pflücken kann? Du meinst das als kognitive Übung, denke ich.
     
  10. Rick

    Rick Experte

    Superman ist unter der gelben Sonne unverwundbar, deshalb machen ihm Kugeln nichts aus und er kann sie mit jedem Körperteil fangen.
    Der mit der extremen Zeitverlangsamung ist Flash bei DC, er kann mit fliegenden Kugeln in der "Flash-Zeit" alles anstellen, was er will, umlenken oder ganz woanders hin bringen.
    (Es gibt bei Marvel einen X-Man mit ähnlichen Fähigkeiten, aber da bin ich gerade nicht so drin.)
    :klug:

    Inhaltlich bin ich ich allerdings ganz bei Dir:
    Man muss die Geschwindigkeit fühlen, sonst ist man eben "gestresst", doch Temposicherheit hat auch mit innerer Ruhe zu tun.
     
  11. Paul2002

    Paul2002 Strebt nach Höherem

    Der Trickbetrüger mit. demIch tollen Bart und dem Youtubekanal hat mal gesagt, er übe eine 200bpm passage dann tempo 40bpm.

    Bevor das missverstanden wird: gemeint ist BetterSax
     
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  12. ppue

    ppue Experte

    ich zähle im Sommer beim Autofahren gerne die Latten an den Zäunen, an denen man vorbei fährt. Das geht natürlich eigentlich gar nicht. Wenn man diese flatternden Geräusche allerdings als 16tel auffasst, kann man sie locker zählen und danach die Takte mt 16 multiplizieren.

    Vielleicht meinen wir ja das Gleiche, wenn ich sage, in Einheiten, Modulen üben, auf das ein Modul zu einem zusammen gewachsenen Bewegungsablauf wird.
     
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  13. GelöschtesMitglied11524

    GelöschtesMitglied11524 Guest

    Ich denke, dass die Wahrnehmung der Zeit zwischen den Latten die entscheidende ist, um bei dem Beispiel zu bleiben.
    Verlangsamt man nun,
    in diesem Ausmaß, bekommt "man", also der Normalsterbliche, eine Vorstellung, eine präzisere Wahrnehmung.
    Das ganze dann "Hochzuskalieren" ist der leichtere Teil meiner Erfahrung nach.
     
  14. Rick

    Rick Experte

    Der Witz ist ja, dass man das Tempo so beherrscht, dass man trotzdem präzise ist. Man hört vor, was man gleich spielen wird, und sieht dann zu, dass es genau so klingt.
    Wer aber ab einer bestimmten Geschwindigkeit nur noch "Gehuddel" hört, kann in diesem Tempo auch nicht präzise sein.
    Das kann man allerdings trainieren - die Frage ist nur, ob man dazu auch ausreichend motiviert ist. ;)

    Ich auch - habe mich heute beim Einkaufen beobachtet und mache es da ähnlich, indem ich die Bewegungen der anderen Leute "voraussehe" und entsprechend um sie herum tanze oder auf sie reagiere, ähnlich auf der Autobahn oder gestern im chaotischen Heidelberger Innenstadt-Verkehr.

    Außerdem rede ich gerne sehr schnell, doch das weiß ja jeder, der mich kennt. :rolleyes:
     
  15. Paul2002

    Paul2002 Strebt nach Höherem

    OkI
    So habe ich das noch nicht betrachtet. Also, dass man geistig so schnell denken können muss, wie man spielt. Ich dachte nämlich, das wäre selbstverständlich, wenn man einmal weiß, wie die Phrase geht. Wohl ein Irrtum.

    Ich verbinde ein schnelles Tempo jedoch auch mit Angeberei im Sinne von: 2 Takte Lick, 2 Takte Pause 2 Takte Lick - kein erkennbarer Zusammenhang zwischen den Licks. Natürlich gibt es auch Leute wie Bud Powell, die sehr schnell spielen und trotzdem immer im Fluss bleiben. Solange ich aber eh noch Basics üben muss (was sich so schnell nicht ändern wird) bleibe ich lieber unmotiviert und träge.
     
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  16. Juju

    Juju Strebt nach Höherem

    Ich habe mich darüber etwas länger mit Dave unterhalten, und er sieht ein wesentliches Problem darin, dass "Rhythm" einen so niedrigen Stellenwert in Jazz Education hat. Ein paar seiner Zitate: "All those years we have been sold a lie by jazz education" "Its all about rhythmic placement. The moment students practice a scale without intent (i.e rhythmic placement of the on- and offbeat) it becomes gibberish". Also er sieht ein Problem darin, dass den Schülern eine Chord -Scale Theorie verkauft wird, aber dass das nichts wert ist ohne die Erkenntnis, wie die Tonleiter rhythmisch verwendet werden muss, damit Musik draus wird. Wenn das nicht entsprechend geübt wird, kommt am Ende halt immer nur Kauderwelsch raus. Man muss ja auch gar nicht Notenketten aneinanderreihen, man kann Töne wiederholen, Riffs spielen, Töne aushalten, etc. Aber über diese Obsession mit Skalen ist der Rhythmus irgendwie verloren gegangen.

    Ich kann das Problem durchaus verstehen, ist auch meine Baustelle, ich kriege das, was ich gerne spielen würde, nicht in Echtzeit umgesetzt, oder es kommt nur noch falsch raus, oder kollabiert einfach, aber das sind dann Sachen, die über viele Jahre aufgebaut werden müssen, das funktioniert nicht in wenigen Wochen, da muss man schon diszipliniert üben, aber ich würde schon sagen, das geht auch noch mit fortgeschrittenem Alter, ich habe z.B sehr viel daran gearbeitet in den letzten zehn Jahren, und das trägt jetzt auch Früchte (auch wenn es mir immer noch nicht schnell genug geht mit den Fortschritten).
    Ich merke aber auch den Unterschied zwischen vorgeschriebene Noten bei schnellerem Tempo spielen vs Improvisieren bei schnellerem Tempo. Ersteres kann ich recht zügig einüben, ist je nach Schwierigkeitsgrad einigermaßen umsetzbar, letzteres kann unendlich frustrierend sein.
    Aber mal ehrlich, warum sollte es auch easy sein, da sind Leute, die üben daran ihr Leben lang, Tag und Nacht, die machen nichts anderes, das ist doch logisch, dass die es besser und schneller können, ist alles eine Frage der Routine, ich glaube nicht, dass es da eine bestimmte Teilbegabung geben muss.
    Wie präzise Leute Time empfinden, ist nochmal was anderes, aber das ist für das oben genannte Problem nicht soo relevant.
    LG Juju
     
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  17. Rick

    Rick Experte

    Keine "Begabung", sondern einfach eine besondere Motivation.
    Wer schnell empfindet, will auch schnell spielen können.
    Wer das höhere Tempo nicht fühlt oder überhaupt akustisch "auflösen" kann, hat eine geringere Motivation, so etwas üben zu wollen.
     
  18. Gelöschtes Mitglied 13315

    Gelöschtes Mitglied 13315 Guest

    Annimiert durch Unterhaltungen im Saxunterricht, habe ich versucht, mir "Schnellspieler" in Ruhe anzuhören, um zu sehen, was dabei mit/ in mir passiert.
    War / ist eine interessante Selbsterfahrung. Dieses anfängliche, mich nervös und unruhig machende und nicht verstehende "Geduddle" hat sich teilweise aufgelöst und ich finde einige Stellen nachahmenswert und interessant. Mein Hirn hat / und lernt schneller zu hören und zu denken. Es verändert mich innerlich und mittlerweile höre ich solchen Spieler - je nach persönlicher Tagesform - auch mal gerne zu. Da verändert sich was bei mir im Hirn und ich möchte es irgendwann - zumindesten Passagenweise - nachspielen können (die Finger wissen nur noch nichts davon :D).
     
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  19. ppue

    ppue Experte

    Wir Nordrheinwestfalen sind das unrhythmischste Volk, dass ich kenne. Wir können Halbe und Viertel und wenn's hochkommt auch mal Achtel. Diese miese Grundvorraussetzung ist unser kulturelles Erbe. Dafür aber können wir Harmonie, wie man in vielen Chören des Landes feststellen kann.

    Jedes Kind in Rio de Janeiro hat mehr Rhythmus im Blut als die Studienanfänger an der Musikhochschule. Und so weit muss man gar nicht reisen. Meine Tochter war ein Jahr in Ungarn auf einer Schule für Musik und Kunst. Hatte dann Kurse im Musikbereich und war schnell frustriert: "Boah, die sind so gut!" Da kam sie nicht mit und wechselte flugs in den Kunstbereich. Es ist egal, in welche Himmelsrichtung ich schaue, überall ist mehr los als bei uns: Irische Fiddler, Pariser Musette, Spanischer Tango und eben die heiße Chor-und Instrumentalmusik vom Balkan.

    Ich weiß noch, wie ich früher ackern musste, um auf dem rhythmischen Gebiert fitter zu werden. Ich konnte noch nicht einmal mit beiden Händen gleichmäßig und abwechselnd auf den Tisch klopfen.
    Habe ich dann später mit meinen Kindern extra geübt: Einfach nur den Rhythmus halten: tiketiketiketike ...

    Auf diese, ja, schon genetische Schwäche müssen dann Begabung, Motivation und Lerneifer aufsetzen. Wahre Meister in Sachen Rhythmus wird man aber in unserem Land weiterhin selten finden.
     
  20. Paul2002

    Paul2002 Strebt nach Höherem

    Ich denke nicht, dass das etwas mit Genetik zu tun hat, sondern mit der Musik mit der man aufwächst. Da auch die Musikkultur weitestgehend globalisiert ist, dürfte das kein Problem mehr für uns Deutsche sein (oder wenigstens nicht mehr als für andere).
     
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