Notenlesen vs. Titel nach Gehör spielen / erarbeiten

Dieses Thema im Forum "Saxophon spielen" wurde erstellt von TobiS, 22.August.2020.

  1. TobiS

    TobiS Ist fast schon zuhause hier

    Hallo zusammen,

    jemand erzählt mir folgendes:
    "Ich möchte meine Lieblingslieder nachspielen.
    Weil mir Noten aber zu teuer sind, erarbeite ich mir die Lieder nach Gehör.
    Mein Lehrer sagt, dass das nicht gut sei. Durch das spielen nach Gehör würde mein Spiel unsauber, das Spiel nach Noten würde also dadurch Schaden nehmen."

    Meine Meinung dazu:
    Das Spiel nach Gehör fördert und schult mein Gehör, und bringt mich auf diesem Wege voran.
    Sofern ich des Notenlesens aber noch nicht fähig, oder darin noch nicht sehr sicher bin, könnte das Spiel nach Gehör natürlich meine Ambitionen und meine Präzision beim Spiel nach Noten negativ beeinflussen.
    Also ein klassisches "Jain" zu der These des Lehrers.

    Klar: Wir kennen den konkreten Ansatz des Lehrers nicht, wir kennen den Stand des Schülers nicht, und so weiter...

    Schließt sich jemand der grundsätzlichen These des Lehrers an, oder widerspricht jemand grundsätzlich?
    Stimmt jemand meinem Jain zu?

    Wie seht Ihr das?

    [Ich habe das Thema so konkret nicht gefunden. Sofern ich es übersehen habe, verweist mich gerne auf den Thread.]

    Ein sonniges Wochenende für alle,
    Liebe!

    Tobi
     
    djings, kindofblue und Rick gefällt das.
  2. monaco

    monaco Ist fast schon zuhause hier

    Für mich gibt es kein Entweder Oder. Beide Ansätze sind richtig, wenn sie sich sinnvoll ergänzen.

    Ich komme vom Gehör und habe mich bewusst mit dem Saxophon für das Notenspiel entschieden. In manchen Situationen profitiere ich allerdings sehr von meinem über Jahrzehnte ausgebildeten Gehör.
     
    47tmb, djings, Sax a`la carte und 2 anderen gefällt das.
  3. GelöschtesMitglied11524

    GelöschtesMitglied11524 Guest

    Wir spielen IMMER nach Gehör, auch wenn wir Noten lesen. Hoffentlich.
    Das Saxophon ist ja kein Blaswandler, wenn ich den Ton nicht ungefähr höre, bin ich permanent daneben.
    Natürlich kann ich den Standpunkt des Lehrers verstehen. Ich würde es im Gespräch mit dem Schüler anders ausdrücken und präzisieren. So wie es dasteht, ist es absoluter Müll.
     
    djings, ehopper1, Saxophonia und 9 anderen gefällt das.
  4. Silver

    Silver Strebt nach Höherem

    Ich habe Musik und damit das Saxophon über Notenlesen gelernt. Diesen Fluch trage ich meinen ersten Lehrern bis heute im Zorn nach.

    Drei Viertel der Rockmusiker und bis etwa 1960 die Mehrheit der Jazzmusiker können gar keine Noten und spielen doch ganz erstaunlich gutes Zeug.
    Ich dagegen habe meine liebe Mühe Noten prima Vista vom Blatt zu spielen und genau so viel Mühe, ohne. Sozusagen alles falsch, bei mir.

    So gesehen würde ich aus meiner Erfahrung raten, den Lehrer zu wechseln.

    Profis sollten natürlich beides gut können. Müsste ich mich heute rückwirkend entscheiden, würde ich auf jedes Notenblatt pfeifen.

    LJS
     
    djings, Saxophonia, kindofblue und 6 anderen gefällt das.
  5. Wanze

    Wanze Strebt nach Höherem

    Ich denke es gibt einen Unterschied zwischen "Ich spiele nach Gehör" und "Ich erarbeite mir Stücke nach Gehör".
    Ein einmal gehörtes Stück der Richtung nach nachdudeln oder im Sinne eine Transkription das Stück tausendmal anhören und versuchen, es sich - mit allen Betonungen und Phrasierungen etc. - zu erarbeiten.
    Natürlich kann man auch ersteres mal machen - wenn es das grundlegende Konzept ist, sehe ich es aber eher kritisch. Zweiteres ist bekanntlich ein wertvoller Anteil der musikalischen Ausbildung.
    Grüße,

    Wanze
     
    djings, Kohlertfan, TobiS und 2 anderen gefällt das.
  6. Mini

    Mini Ist fast schon zuhause hier

    Steile These, Belege?
     
    ppue gefällt das.
  7. Gelöschtes Mitglied 5328

    Gelöschtes Mitglied 5328 Guest

    Halte ich für Unsinn Unser wichtigster Sinn beim Musizieren ist das Ohr, nicht das Auge.

    Wenn ich nicht lerne gut zu hören, klingt es nicht gut, selbst wenn ich gut nach Noten spielen kann.

    Nach Gehör Nachspielen schult das Ohr ungemein, also sicher nicht falsch.

    Und ich glaube auch nicht, dass man dadurch schlechter nach Noten spielt, wenn man es richtig lernt.

    CzG

    Dreas
     
  8. GelöschtesMitglied11524

    GelöschtesMitglied11524 Guest

    Für viele der Bank-Noten gibt es keine Belege, und das ist auch gut so, hehe.
    Die Mehrheit ist nicht mit Ohren gesegnet, wo ein Bebop-Tune einmal angehört werden muss, und dann klebt es 1:1.
    Was der Lehrer (nehme ich an) auf dem "Standardniveau" meint ist, dass sich bei den meisten auch das Gehör erst entwickeln muss, im besten Fall Hand in Hand mit der Notenlesefähigkeit.
    Dass auf Gehörbildung allgemein zu wenig Wert gelegt wird unterschreibe ich.
    Solche Leute (die keine Noten wollen) sind dann meist für Bands untauglich, weil Lieder für sie immer nur so funktionieren, wie sie es im Kopf haben. Eine andere Rhythmisierung der Melodie - aus.

    Cheers, Ton
     
    Zuletzt von einem Moderator bearbeitet: 22.August.2020
    djings, ehopper1, Kohlertfan und 5 anderen gefällt das.
  9. Wuffy

    Wuffy Gehört zum Inventar

    Am besten die 3er-Kombination...aus meiner Sicht.

    Noten

    Gehör / Auswendig

    Gefühl / Ausdruck


    Jedenfalls bei solistischem Spiel.

    Bei Orchester, Ensemble etc. sieht das anders aus...Noten und Gehör an erster Stelle.
     
    47tmb, djings, Sax a`la carte und 5 anderen gefällt das.
  10. Florentin

    Florentin Strebt nach Höherem

    Ich verstehe schon, was der Lehrer da meint.

    Unterscheiden würde ich, in welcher Rolle man spielt:

    (A) Ist man Solist, z.B. in einer Combo, kann man ja im Prinzip spielen, was man will. Es muss halt harmonisch dazupassen. Da kann man sicher auch "nach dem Gehör" bzw. aus dem Gedächtnis spielen.

    (B) Spielt man jedoch komplett durcharrangierte Stücke in einem Orchester oder in einer Big Band, führt kein Weg an korrektem und präzisem Spiel nach Noten vorbei. Man muss ja auch völlig unbekannte Stücke spielen, oder die eigene Stimme hat nichts mit der eventuell bekannten Melodie zu tun. Gerade hier stören die Musiker oft total, die "nach Gehör" spielen. Die spielen eben eine Passage so, wie sie es im Gedächtnis haben - und nicht so, wie es der Arrangeur vorgesehen hat. Im besten Fall klingt das dann fürchterlich, im schlechtesten bringen sie die anderen total raus.

    Auch wurde die Notenschrift ja erfunden, um Musik zu dokumentieren. Alles "auswendig" spielen zu wollen (in Orchestern typischerweise weit mehr als 100 Stücke im Repertoire) wäre eine unheimliche Gedächtnisleistung.
     
  11. hanjo

    hanjo Strebt nach Höherem

    Guten Tag zusammen,

    laß doch mal bitte die Kirche im Dorf.

    Ich sage doch auch nicht, daß ein Saxophonspiel ohne Noten, die dilettantische Herangehensweise des Nichtkönners ist. Das wäre nämlich falsch.

    Meiner bescheidenen Meinung nach kann das Auswendigspielen in brenzeligen Situationen ein Segen sein. Ich habe aber auch schon festgestellt, nachdem ich ein Stück auswendig erarbeitet hatte, anschließend wirklich gute! Originalnoten erwischt habe, daß mein Auswendigspiel alles andere als gut war!

    Vielleicht ist auch zu bedenken, daß es gar nicht so unüblich ist mehrere tausend Nummern im Repertoire zu haben.

    Vielleicht sollte man beides können. ABER BITTTTE RICHTIG.

    Ich spiele nach Noten.

    Meine Meinung, jeder darf eine andere haben.

    Gruß
    Hanjo
     
    Zuletzt bearbeitet: 22.August.2020
    djings, TobiS, Rick und einer weiteren Person gefällt das.
  12. Jacqueline

    Jacqueline Strebt nach Höherem

    Schön gesagt. Da spricht jahrelange Unterrichtserfahrung vermute ich. Mein Lehrer formuliert es ähnlich.

    Kann man keine Noten lesen kann es einen genauso einschränken wie nur mit Noten spielen zu können.
    Es geht Hand in Hand und schließt sich nicht aus.
    Deswegen verstehe ich diese Lager Notenlesen vs. Gehörspielen nicht.

    Ich habe im Unterricht beides. Etüden, die ich nach Noten spiele und Skalen, Akkorde, Umkehrungen alle ohne Noten.

    Ich glaube das ist eine ganz gute Mischung.
     
  13. GelöschtesMitglied11524

    GelöschtesMitglied11524 Guest

    Freut mich für Dich :)
    Wenn sich das Gehör mit den Augen nicht mitentwickelt, ist irgendwann bei der Notenlesefähigkeit auch Schicht im Schacht.
     
    djings, ehopper1, TobiS und 2 anderen gefällt das.
  14. ppue

    ppue Mod Experte

    Das glaube ich auch nicht. Schon im Chicago-Jazz der 20er Jahre waren es eher intellektuelle weiße Musiker, die sicherlich Noten lesen konnten. Auch die Bigbandmusiker der Swing-Aera konnten selbstverständlich Noten. Wie wollte man sonst einen Bigband-Satz einüben. Ellington spielt allen ihre Stimme einmal vor? Nee.
    Und damit auch die Beboper, die ja aus den Bigbands kamen. Westcoast-Jazz wurde von den Musikern gespielt, die in Hollywood Filmmusik aufnahmen, alles Profimusiker, wahrscheinlich mit überdurchschnittlichen Fähigkeiten im Notenlesen, war doch jede Aufnahme ein neues Stück und wenig Zeit, das einzustudieren.

    Zum Thema: Nach Gehör sich die Stücke zu erarbeiten, ist goldwert.

    Noten lesen muss man können wollen. Sonst lässt man es. Dass das mal schwierig im Zusammenspiel mit anderen werden kann, wurde schon beschrieben.

    Nach Gehör spielen sollte das nach Noten Spielen nicht stören, so lange man beides nicht an ein und dem selben Stück macht. Dann kann es nämlich sein, dass man sich andere Notenwerte oder andere Verzierungen angwöhnt hat, die im Konflikt mit dem Notentext stehen.

    Ansonsten steht dem getrennten Lernen von Noten und nach Gehör Spielen meines Erachtens nichts im Wege.
     
    djings, TobiS, Rick und einer weiteren Person gefällt das.
  15. altoSaxo

    altoSaxo Strebt nach Höherem

    Ein Stück durch raushören erarbeiten schließt nicht aus, dass man am Ende Noten hat, vgl. Transkription im wörtlichen Sinne.

    Egal wie der Schüler sich etwas erarbeitet, kann und sollte der Lehrer die Ungenauigkeiten angehen.

    Die Quelle für die Erarbeitung sollte natürlich geeignet sein. Ein schlecht gemachtes Youtube Video ist da suboptimal.
     
    TobiS und Rick gefällt das.
  16. altoSaxo

    altoSaxo Strebt nach Höherem

    Ich vermute aber, dass im Kontext der Aussage des Lehrers ein Missverständnis vorliegen könnte:

    wenn der Schüler die Sachen, die im Unterricht auf dem Plan stehen, anhand von Aufnahmen mit Sax Stimme nach Gehör erarbeitet, sollte das funktionieren, z. B. Sachen aus Sax-Schulen (z. B. O‘Neill) oder Etüden-Sammlungen (z. B. Niehaus).

    Wenn der Schüler sich aber ein Rock oder Pop Lied vornimmt und versucht, den Gesang aufs Saxophon zu übertragen, könnte ich mir vorstellen, dass da Fallen für Ungenauigkeiten lauern.

    Ungenau wird es auch, wenn der Schüler nicht versucht, eine Stimme ganz genau nachzuspielen, sondern nur ungefähr, weil er noch nicht so genau hören kann, sich das gehörte nicht merken kann oder zu lange Abschnitte verarbeitet, die ihn überfordern. Das ist aber dann weniger ein (gründliches) Erarbeiten einer bestimmten, genau vorgegebenen Stimme, sondern das Ausprobieren einer eigenen Interpretation nach ungefähren Vorgaben. Das heißt am Ende der „Erarbeitung“ „nach Gehör“ steht dann auch eine ganz andere Stimme als die, die in einer Aufnahme zu hören ist oder die in der Aufnahme zugrunde liegenden Noten vorgegeben ist.

    Die Begriffe „nach Gehör“ und „nach Noten“ werden auch sehr unterschiedlich verwendet.
     
  17. Gelöschtes Mitglied 5328

    Gelöschtes Mitglied 5328 Guest

    Grade bei Rock- oder Popstücken ist das Ergebnis die Gesangsnoten exakt mit dem Sax nachzuspielen meist greulich.

    Um Gesang auf dem Sax anhörbar umzusetzen bedarf es meist eine kreative, notenunabhängige Interpretation.

    CzG

    Dreas
     
  18. altoSaxo

    altoSaxo Strebt nach Höherem

    Es kommt also drauf an, wie sich die Erarbeitung „nach Gehör“ konkret gestaltet, was das Ziel der Erarbeitung ist und ob der Schüler die erforderlichen Kompetenzen dafür bereits besitzt.

    Zu sagen, dass das generell zu Ungenauigkeiten führe, halte ich für falsch. Es kann aber Situationen geben, wo der Schüler damit überfordert ist.
     
    Rick gefällt das.
  19. Silver

    Silver Strebt nach Höherem

    Eigenes Erleben, zumindest, was die Rock-Szene in den 1990er und 2000er angeht. Und durchaus „große Namen“ dabei ... Sänger, Gitarristen, die nur ihre Chords und Riffs kennen, Basser, Drummer... nur die Keys waren meist Notensicher.

    Beim Jazz meinte ich eher „bis in die 1930er“ - also sowas wie New Orleans. Swing Ära und (weiße) Adaptionen wie Rag Time kommen natürlich nicht ohne Noten aus. My bad.

    Und natürlich ist es besser, beides Hand in Hand zu lernen, genau, wie @Ton Scott schreibt.
    Bei mir war es nur so, dass ich Buchstaben geübt habe, bevor ich ein ganzes Wort sprechen konnte. Argumente übrigens wie oben.

    Deshalb lasse ich, @hanjo die Kirche nicht im Dorf. Erstens ist es mein Dorf, von dem ich schrieb und zweitens eine persönliche Erfahrung - wünsche jedem, eine andere zu haben.

    Letztlich war meine Formulierung „müsste ich mich entscheiden“. Muss ich nicht.
    Ich mache beides, so gut oder eben schlecht es mir gelingt.
    Wie wird Volker Kriegel zitiert? „Jazz vom Zettel ist voll Grütze.“
     
    djings und Rick gefällt das.
  20. Gelöschtes Mitglied 13399

    Gelöschtes Mitglied 13399 Guest

    Notenlesen lernt man sehr schnell (außer es soll so elegant laufen wie bei den Klassikern). Daher würde ich mehr Zeit ins Spielen nach Gehör investieren.
     
    djings und Rick gefällt das.
  1. Diese Seite verwendet Cookies, um Inhalte zu personalisieren, diese deiner Erfahrung anzupassen und dich nach der Registrierung angemeldet zu halten.
    Wenn du dich weiterhin auf dieser Seite aufhältst, akzeptierst du unseren Einsatz von Cookies.
    Information ausblenden