Notenlesen vs. Titel nach Gehör spielen / erarbeiten

Dieses Thema im Forum "Saxophon spielen" wurde erstellt von TobiS, 22.August.2020.

  1. Claus

    Claus Mod Emeritus

    Das kommt darauf an, was man unter „Notenlesen“ versteht.
     
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  2. ppue

    ppue Mod Experte

    Noten sind in der Regel ungenauer als das Herausgehörte (wenn es gut gemacht ist), zumindest in Klassik, Jazz und Rock.
     
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  3. Rick

    Rick Experte

    Dafür sehe ich keinen Grund, denn gerade das Gehör sagt mir doch, ob ich richtig oder falsch spiele.
    Im Unterricht muss ich ständig die Schüler ermahnen, doch mehr zuzuhören, gerade auch, was den Rhythmus angeht, und natürlich auch bei den Vorzeichen - ich spiele ihnen oft schwierige Passagen vor bzw. mit ihnen zusammen, damit sie HÖREN, wie es klingen soll. Wenn sie nach Noten falsch spielen, dann deshalb, weil eben die Kopplung Noten-Spielen-Kontrollhören noch nicht entwickelt ist.

    Daher meine These: Präzision erreicht man NUR durchs Hören. Auch im Zusammenspiel in einem Ensemble, da muss man ja hören, was die anderen machen.

    Richtig, aber vor Erfindung der Notenschrift hat man eben prinzipiell nach Gehör gespielt, das ist in anderen Musikkulturen auch bis heute so üblich. Indische Musiker beispielsweise lernen von ihren Lehrern die ganze Fülle der Ragas und Talas nach Gehör auswendig.
    Das menschliche Gedächtnis ist sehr machtvoll, wir trainieren es vielleicht aufgrund unserer Schriftkultur nicht genügend, denn man kann ja alles irgendwo nachlesen. ;)

    Doch, genau so war das in den Anfängen der Big-Bands. Wenn Count Basie beispielsweise ein neues Stück "geschrieben" hat, dann hat er die jeweiligen Bläserparts seinen Musikern vorgespielt, diese mussten sie auswendig lernen. Der "One O Clock Jump" wurde erst Jahre später in Noten fixiert!
    Noten haben sich nur deswegen durchgesetzt, weil mit ihnen Zeit gespart werden konnte, denn dieser Prozess des Vorspielens und Auswendiglernens war natürlich aufwendiger, als wenn man einfach allen Notenblätter vorlegt, die ein Musiker in seiner Freizeit geschrieben hat.
     
  4. Claus

    Claus Mod Emeritus

    Von vielen berühmten Musikern wird berichtet, dass sie keine Noten lesen konnten, wie z.B. Paul McCartney, Django Reinhardt oder Michael Jackson.

    Ob sie es nicht vielleicht gerne gekonnt hätten, steht auf einem anderen Blatt...
     
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  5. TobiS

    TobiS Ist fast schon zuhause hier


    Um diesen Fall geht es
     
  6. Rick

    Rick Experte

    Tatsächlich sind in diesem Bereich viele erhältliche Noten extrem ungenau, deshalb würde ich da das eigene Heraushören immer bevorzugen.
    Mache ich bei Bedarf auch öfter im Unterricht:
    Schüler will ein Stück von YouTube gern auf dem Sax spielen, wir hören es gemeinsam raus, ich schreibe ihm die Noten auf - und rate dazu, es nicht nur nach unseren Noten, sondern auch anhand der Aufnahme nach Gehör zu üben.
    Im Idealfall lernt er es später auswendig, das empfehle ich sowieso bei allen Stücken, allein schon zur Gedächtnisschulung und für die Unabhängigkeit vom Notenblatt. ;)
     
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  7. altoSaxo

    altoSaxo Strebt nach Höherem

    Das erklärt einiges und relativiert die Aussage des Lehrers für mich.
     
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  8. monaco

    monaco Ist fast schon zuhause hier

    Ein weiteres sehr prominentes Beispiel ist übrigens Wes Montgomery. Allerdings entwickeln Musiker, die keine Noten lesen können oder wollen, gerne ein alternatives Ordnungssystem. Bei der Gitarre wären das z.B. Tabulaturen.
     
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  9. JES

    JES Gehört zum Inventar

    Nach Gehör spielen hat mehrere Aspekte.
    Das mitdudeln zu einem Stück.... bringt nichts. Die Fehler, die man dabei macht, werden nicht gehört und daher nicht korrigiert. Man verbessert eher fingertechnik und Ansatz, aber nicht die Fähigkeit das gehorte korrekt umzusetzen.
    Das heraushören von Stücken.... sehr gutes Training. Für eigentlich alles
    Der Vergleich zwischen notenbild und gespielten Stück.... aufschlussreich und hilfreich, wenn man selbst nicht weiter kommt.
     
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  10. HanZZ

    HanZZ Ist fast schon zuhause hier

    Mit "gut" meinst du in dem Fall sicher "akkurat nach der Notierung". Ich habe ja nicht gehört, was Du stattdessen gespielt hast, aber wenn ich exakt das hören möchte, was z.B. von einem bekannten Spieler auf Platte gepresst / kopiert wurde, höre ich mir die Platte an, und warte nicht, ob es irgendjemand exakt so nachspielen kann.

    Wenn Joe Cocker "With A Little Help From My Friends" nach Noten der Beatles nachgespielt/-gesungen hätte, würde die Version heute sicher niemand mehr kennen.

    Ich finde es wichtig, dass man zwar Noten liest (fällt mir nach vielen Jahren ohne Noten zugegenermaßen immer noch schwer) aber Töne spielt.

    Auswendig Spielen ist Kommunizieren, Erzählen. Nach Noten spielen ist Vorlesen.
    Beide Methoden haben ihren Platz, sind aber unterschiedliche Dinge.

    Cheers
    HanZZ
     
  11. Gelöschtes Mitglied 13399

    Gelöschtes Mitglied 13399 Guest


    In den Biographien, die ich bisher so über Jazzmusiker gelesen habe, wurde immer das Notenlesen betont.
    Der Klarinettist, der bei den Charlie Parker Vocalese-Aufnahmen dabei war und den schwierigen Bläsersatz von Gil Evans spielen musste, meinte in einem Interview dazu : '' Rehearse? No. You never rehearsed for a record date back then. You were hired because you could sight-read charts cold and play them perfectly the first time. If you look at the personnel, you had the best session musicians on that date. These guys didn’t make mistakes.''

    https://www.jazzwax.com/2008/01/charlie-parker-and-voices-part-two.html
     
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  12. altoSaxo

    altoSaxo Strebt nach Höherem

    Um gut erzählen zu können, muss man die Sprache beherrschen.

    Die großen Jazzer haben durch Raushören und genaues Imitieren gelernt, wie ihre Vorbilder zu spielen. Das gehört (beim Üben jedenfalls) dazu, wenn man selbst gut und stilgerecht interpretieren oder improvisieren können möchte.
     
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  13. altoSaxo

    altoSaxo Strebt nach Höherem

    Wenn ich einen neuen Jazz-Standard anhand eines Lead-Sheets spiele, benutze ich Noten. Ich spiele aber nicht genau das, was da notiert ist. Spiele ich nach Noten?
     
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  14. Gelöschtes Mitglied 13399

    Gelöschtes Mitglied 13399 Guest

    Ja, weil du das, was du spielst vorher noch nicht im Gedächtnis hast und dich daher mehr auf deine Augen als auf deine Ohren stützt
     
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  15. Gelöschtes Mitglied 5328

    Gelöschtes Mitglied 5328 Guest

    Sehe ich differenzierter. Das Leadsheet ist wie Stichworte bei einer Rede. Man hat Leitplanken, an denen man sich orientieren kann.

    Nach Noten spielen ist es m. E. nicht. Das wäre vergleichbar mit einer abgelesenen Rede.

    Nach Gehör spielen wäre dann vergleichbar mit einer freien Rede aus dem Gedächtnis.

    CzG

    Dreas
     
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  16. altoSaxo

    altoSaxo Strebt nach Höherem

    Schöner Vergleich
     
  17. JES

    JES Gehört zum Inventar

    Sprache beherrschen ja, eine Geschichte damit 1:1 nacherzählen, nein.

    Vielleicht will man ja gar nicht wie ein Vorbild klingen? Nur damit, dass ich der Struktur eines Webster - Stückes folge, klinge ich noch lange nicht wie er. Will ich das? Oder will ich ev sogar nicht wie er klingen?
    Die interessante Frage ist dann eher, warum klinge ich anders?
     
  18. GelöschtesMitglied11073

    GelöschtesMitglied11073 Guest

    Sein wir mal ehrlich ,keins von beiden (Notenlesen/Raushören) ist ein unbedingtes Muß,aber beides zusammen können vereinfacht jede Form von Musikmachen ungemein
     
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  19. altoSaxo

    altoSaxo Strebt nach Höherem

    Ein absolutes MUSS für gutes Musizieren ist hingegen der Einsart des Ohres als höchste und entscheidende Instanz, die Entwicklung des „Klangwillens“ (kurz bevor man Töne spielt, stellt man sich vor, wie das klingen soll) und die Etablierung eines Regelkreislaufs, bei dem das Ohr überprüft, ob das, was beim Instrument rauskommt, dem Klangwillen entspricht.

    Die Gefahr beim ausschließlich exaktem Spiel nach Noten ist, dass man ein „c“ liest, die passende Klappe drückt und ohne genaue Vorstellung darauf wartet, was beim Reinpusten passiert. Klanggestaltung, Ausdruck, Phrasierung und ggf. Intonation bleiben so hinter den Möglichkeiten zurück und das Spiel bleibt mechanisch.
     
  20. Silver

    Silver Strebt nach Höherem

    Ich kenne eine sehr gute Jazz- und Soul-Sängerin, die ist schwerste Noten-Legasthenikerin und hat keine Lust, das zu ändern. Notierte Stücke will sie immer Tage vor einem Gig auf Papier haben - oder es spielt ihr jemand kurz vor dem Auftritt die Melodie vor...
    Wenn Du der ein Stück in einer anderen Tonart oder anders rhythmisiert als Notenblatt vorlegst, ist die total verloren.
    Wenn Du Ihr aber sagst "Lass uns das statt in Eb in Bb und statt 4/4 im 6/8-Feel spielen" ist die Antwort "Oh, prima - Bb liegt mir besser und meinst Du die 6/8 so: DabudabaDadi bida...?" und Du kannst sehen, wie Du mit Deinem Vorschlag selbst so schnell zurecht kommst.

    Es kommt immer darauf an, wie man "sozialisiert" ist.
     
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