Beim Improvisieren aktuelle Gefühle ausdrücken?

Dieses Thema im Forum "Saxophon spielen" wurde erstellt von Raggae, 22.November.2011.

  1. Raggae

    Raggae Ist fast schon zuhause hier

    Aus meiner Frage zum Komponieren vs. Improvisieren in einem anderen Thread hat sich das spannende Thema über den Ausdruck von Gefühlen beim Improvisieren ergeben.

    Ich glaube kaum, dass ein Musiker beim Improvisieren regelmäßig seine aktuellen Gefühle ausdrückt, und dafür habe ich folgende Gründe:

    1. bei Anfängern: Die meisten, von denen ich nach dem Improvisieren bisher eine Äußerung über die Gefühle beim Improvisieren gehört habe, haben gesagt, dass sie sich dabei ängstlich und unsicher gefühlt haben oder einfach gar nichts gefühlt haben, weil sie viel zu sehr mit dem Instrument und den Noten beschäftigt waren. Diese Gefühle kamen aber in aller Regel nicht rüber.

    2. bei Könnern: Auch ein Könner möchte natürlich dem Publikum gefallen. Wenn jemand nun z.B. gerade ein geiles happy Funk-Stück spielt (spielen muss), selbst aber gerade völlig scheiße drauf ist, wird er doch wohl kaum auf die Idee kommen, das bei einem improvisierten Solo auch rauszulassen. Als Publikum würde auch ich da erwarten, dass die Impro dem Gefühl des Stückes angepasst ist und nicht der gerade vorherrschenden Laune des Solisten.

    Nur mal so zwei spontane Ideen. Was meint Ihr dazu?

    LG,
    Raggae
     
  2. HanZZ

    HanZZ Ist fast schon zuhause hier

    1. ist logisch. Der Anfänger versucht so zu improvisieren, dass möglich alle gespielten Töne harmonisch einigermassen zum Stück passen.

    2. Dafür ist mancher ja Tanzmusiker. Der muss sich halt als lebende Musikbox hinstellen und sein Publikum gut draufbringen, ohne Rücksicht auf sich selbst. Die Möglichkeiten, die eigene Stimmung in der Improvisiation auszudrücken, sind dann halt auf ein Mindestmaß beschränkt.

    Wenn's mir z.B. nicht gut geht, kann ich mich aber in eine Improvisation (und ich rede jetzt mehr vom Gitarrespielen, beim Sax gehöre ich noch eher zum Typ 1) trotzdem 'reinsteigern, und allein damit meine Stimmung wieder deutlich heben.

    Cheers
    HanZZ
     
  3. Gelöschtes Mitglied 5328

    Gelöschtes Mitglied 5328 Guest

    Hey Raggea,

    Du hast ja gerade tolle Threads am Start! Alles Themen, die mich auch beschäftigen.

    Hmmmh...für mich ist es ein Unterschied "wie" ich mich gefühlt habe und "was" ich (bei der Musik) gefühlt habe.

    Klar habe ich auch diese gewisse Unsicherheit, wenn ich als kleines Licht in eine Impro einsteige, aber wenn ich spiele konzentriere ich mich doch auf die Musik, versuche zu hören was da passiert, nachzufühlen was es bei mir auslöst und dann entsprechend Ideen zu finden, passende Phrasen, etc. die dem entsprechen, was bei mir emotional, bezogen auf die Musik, passiert.

    Klar ist dann der Output (noch) nicht das was ich mir so als Input vorstelle, aber das "was fühle ich" steht im Vordergrund und nicht "wie fühle ich mich".

    LG

    Dreas
     
  4. lee

    lee Ist fast schon zuhause hier

    hi reggae, hier drückt jemand seine aktuellen gefühle, ja seine lebenssituation am sax aus, lässt jeden teilhaben-das ist schon sehr bewegend:
    http://www.youtube.com/watch?v=oNL30u1jbDM

    so möchte ich spielen können, aber nicht spielen müssen.
     
  5. Otfried

    Otfried Gehört zum Inventar

    Moin,

    es ist m.E. immer ein Mischmasch von Kopf und Bauch.

    Auf der einen Seite der eigene Anspruch, auch das Gefühl, den Leuten, die u.U. Geld bezahlt haben etwas zu bieten, und auf der anderen Seite die momentane Stimmung, die Reflektion auf die Musik und das Umfeld.

    Wie sich das dann zusammen mischt, das ist individuell völlig verschieden, und auch von der jeweiligen Situation abhängig, ja manchmal ändert es sich von jetzt auf sofort grundlegend.

    Wir sind ja keine Maschinen, die auf Knopfdruck ein vorgefertigtes "Programm" abspulen.

    Ich frag mich immer, wie die Klassiker das machen, die mit einem durchdachten Konzept an ein Stück heran gehen, und für die es genau die Eine Interpretation eines Stückes gibt. Ich könnte das nicht, da wäre mir zu wenig spontanes Gefühl dabei.

    Gruß,
    xcielo
     
  6. Gelöschtes Mitglied 5328

    Gelöschtes Mitglied 5328 Guest

    @ lee

    Schönes Beispiel!

    Boah, wenn ich so hinter meinem Sax stehen würde, Schultern hochgezogen, vorgebeugt....mein Lehrer würde mir die Ohren lang ziehen...da kann man doch gar nicht atmen und Stütze geht auch nicht...gut ich bin ja auch nicht Charlie Parker:cool:

    LG

    Dreas
     
  7. Otfried

    Otfried Gehört zum Inventar

    Der Schauspieler war es auch nicht ;-)
     
  8. Gelöschtes Mitglied 5328

    Gelöschtes Mitglied 5328 Guest

    @ xcielo

    Ja, nee, schon klar. Aber er dürfte ja versucht haben wie Charlie Parker rüberzukommen....

    Wenn ich das so versuchen würde käme bei der Haltung kein Ton aus der Kanne. (Gut ob der Schauspieler wirklich gespielt hat ist ja auch fraglich, aber Charlie hat es offensichtlich in dieser Art.)

    LG

    Dreas
     
  9. saxfax

    saxfax Strebt nach Höherem

    Das wage ich zu bezweifeln. Nicht umsonst gibt es sehr unterschiedlich Interpretationen, teilweise derselben Interpreten im Laufe der Zeit.

    Gruß
    saxfax
     
  10. auge

    auge Ist fast schon zuhause hier

    So jetzt komm ich ;-) :

    Um beim Improvisieren Gefühle rauslassen zu können muss man mal recht gut über seine eigenen Gefühle bescheid wissen. Das setzt Reflexionsvermögen voraus. Dann muss ich in der Lage sein das auszudrücken. Das setzt beim Reden Vokabular voraus. Beim Spielen setzt es auch Vokabular voraus - also können.
    Also alles in allem muss man schon ein geübter Saxophonist und ein gefestigter selbstreflektierender Mensch sein um wirklich Gefühle ausdrücken zu können.
    Ich denke, hier muss man dann zu unterscheiden beginnen ob ich Gefühle oder Emotionen verpacke.

    Nun mein Conclusio:

    In einer Improvisation kann ich Gefühle verpacken. (ich!!)
    Meine Emotionen verpacke ich in Kompositionen - meine Songs eben.

    Das gilt jetzt mal nur für mich. Wie das andere machen weiss ich nicht.

    Lg
    Auge
     
  11. Roland

    Roland Strebt nach Höherem

    Hallo!

    Schauspieler müssen in der Lage sein, jedwede Gefühlsregung abrufen und darstellen zu können. Wenn ich kichernd bei "Sein - oder nicht sein" fast zusammenbreche oder griesgrämig verkündige, dass nach der Geburt Mutter und Kind wohlauf sind, das kommt dann nicht gut.

    Habe schon überlegt, ob ich mich 'method acting' beschäftige ... aber wie immer: keine Zeit ...

    Grüße
    Roland
     
  12. Otfried

    Otfried Gehört zum Inventar

    Hallo saxfax,

    ist jetzt ein bisschen OT, aber was solls ;-)

    Glenn Gould hat das tatsächlich mal in einem Interview so strikt formuliert. Seine späteren andersartigen Einspielungen der gleichen Stücke waren daher auch reine Willkür.

    Mir kam es vor allen Dingen darauf an, dass in der Klassik die Analyse und Werkbetrachtung und daraus abgeleitete Interpretation eine sehr dominante Rolle spielt im Gegensatz zur "spontanen" gefühlsgeleiteten Interpretation, wie sie sicher unüblich, aber doch möglich wäre.

    Gruß,
    xcielo
     
  13. Raggae

    Raggae Ist fast schon zuhause hier

    Finde ich auch!

    Diese Unterscheidung steht allerdings auf ziemlich dünnem Eis, würde ich sagen. Gefühle und Emotionen werden in aller Regel synonym gebraucht. Das muss man nicht unnötig verkomplizieren, wenn man es auch einfacher ausdrücken kann ...

    Das hat ja mit Bewusstheit zu tun. Und wer seine Emotionen gar nicht erst subjektiv erlebt, wird sie auch kaum bewusst in eine Komposition packen können.
     
  14. Raggae

    Raggae Ist fast schon zuhause hier

    Ja, da gibt es immer wieder Fragen, die ich mir stelle. Ganz oft sind da glaube ich Mythen in meinem Kopf, die ich mal irgendwo aufgeschnappt habe und die mich ziemlich behindern ... und denen versuche ich gerade auf die Spur zu kommen.

    Das klingt nach einem sehr komplexen Prozess und ist ungefähr das, was ich mir unter Komponieren vorstelle. Nur passiert es eben adhoc, und dafür muss man denke ich verdammt gut sein.

    Sehr schön ausgedrückt. Es geht also mehr um eine gefühlsmäßige (was auch immer das heißen mag!) Beurteilung der Musik als Deines eigenen Befindens.
     
  15. lee

    lee Ist fast schon zuhause hier

    nein, ich denke nicht, mit absicht etwas in eine komposition oder improvisation packen. glaubst du ch. parker hat sich in der situation gedacht, oh bin ich traurig, bin ich zerbrochen, das packe ich jetzt mal in meine impro.
    verstehst du?das muss von selber kommen, sonst ist es gelogen.
    voraussetzung ist, dass dein instrument funktioniert wie deine stimme, ohne einen dazwischen, der plant und reflektiert-die phase muss man dann schon hinter sich haben-womit wir wieder bei deinem anderen thread wären.
    ich sag noch mal: mach es.
     
  16. saxfax

    saxfax Strebt nach Höherem

    xcielo schrieb:
    Mir kam es vor allen Dingen darauf an, dass in der Klassik die Analyse und Werkbetrachtung und daraus abgeleitete Interpretation eine sehr dominante Rolle spielt im Gegensatz zur "spontanen" gefühlsgeleiteten Interpretation, wie sie sicher unüblich, aber doch möglich wäre.
    [/quote]

    Klar, das sehe ich auch so. Aber da hilft dann, die Aufnahmen verschiedener Interpreten aus verschiedenen Zeiten zu hören. Ich habe den Eindruck, dass sich Analyse und Werkbetrachtung immer wieder ändern und es wechselnde Moden gibt. Mir fällt da gerade Beethovens 9. ein, einmal Karajan aus den 70ern (RummsBummbummdonner) und Gardiner aus den 90ern.

    Die "spontanen, gefühlsgeleiteten" Interpretationen oder Improvisationen sind auch nicht von ihrer Aufnahmezeit zu trennen. In den 80ern liefen im Jazz andere Sachen als jetzt, das Vokabular und die Ohren der Zuhörer haben sich geändert. Das macht es nicht schlechter, aber manchmal habe ich das Gefühl (!), daß da ein ziemlicher Mythos um Improvisation am Leben erhalten wird.

    Besten Gruß
    Saxfax
     
  17. edosaxt

    edosaxt Strebt nach Höherem

    Hmmmmmm........

    Ist es nicht eher so, dass man sich selbst (mit seinen Gefühlen, Emotionen, Stimmungen, wie auch immer) gar nicht aus der Musik, solange selbst gespielt heraushalten kann?
    egal ob komponiert, improvisiert, oder lediglich interpretiert, was jegliche Art von Wiedergabe "fremder" Musik beinhaltet.

    Ich denke, jede Art der äußerung, reden, malen, musizieren ist von individuellen Voraussetzungen abhängig und eine ist die Gefühlslage!

    Ein Stück, auch vom Blatt gespielt, klingt nie zweimal genau gleich!

    Lg
    Edo
     
  18. Raggae

    Raggae Ist fast schon zuhause hier

    Denke ich auch. Wenn man gerade schlecht drauf ist, wird man es aber wahrscheinlich zumindest versuchen und damit wahrscheinlich auch einigen Erfolg haben - wenn man nicht gerade jemand ist, der jede Stimmung ungeniert an anderen auslässt.

    Da finde ich den Ansatz von HanZZ schöner, sich von der Musik hochzuziehen zu lassen bzw. sich aktiv daran hochzuziehen.
     
  19. HanZZ

    HanZZ Ist fast schon zuhause hier

    Obwohl die Tatsache, dass ich Blues mache, eigentlich dagegen spricht ... :)

    Cheers
    HanZZ
     
  20. Raggae

    Raggae Ist fast schon zuhause hier

    Stimmt - der Blues ist ja bekanntlich nicht dafür da, damit es Dir besser geht, sondern damit es den anderen schlechter geht ... :-D
     
  1. Diese Seite verwendet Cookies, um Inhalte zu personalisieren, diese deiner Erfahrung anzupassen und dich nach der Registrierung angemeldet zu halten.
    Wenn du dich weiterhin auf dieser Seite aufhältst, akzeptierst du unseren Einsatz von Cookies.
    Information ausblenden