Bläserklasse - Wünsche, Chancen und Missverständnisse

Dieses Thema im Forum "Anfänger Forum" wurde erstellt von Brille, 26.März.2016.

  1. Tarogato

    Tarogato Schaut öfter mal vorbei

    Im Vergleich zu Streicher-, Percussion-, Gitarren- oder sonstwas-Klassen ist eine Bläserklasse wirklich sehr heterogen. Im Extremfall hast du Instrumente in C, Bb, Eb, F, im Violin- und Bass-Schlüssel (davon, dass Fagotte im Tenorschlüssel spielen, wollen wir jetzt mal nicht ausgehen), vielleicht sogar noch E-Bass und Schlagzeug.
    In einer Streicherklasse kannste sagen: Alle spielen mal C - das führt in der Bläserklasse zu interessanten Sounds. Am ehesten geht eine Vereinheitlichung evtl. noch mit Tonika-Do-Silben und Handzeichen.
    Überblasen in Oktaven und Duodezimen, alle möglichen Arten der Klangerzeugung, das ist schon alles sehr individuell und unterschiedlich. Ich frage mich ohnehin, warum so wenig Geiger auf Bratsche oder Cello "doppeln"; bei Holzbläsern ist das ja viel üblicher.
    Und trotzdem habe ich es schon gut erlebt, dass ein Lehrer all das alleine erfolgreich unterrichtet hat. Ich würde das nicht wollen, aber es gibt Gründe dafür und auch sinnvolle Konzepte.diesbezüglich. Das hat nicht immer mit dem Unwillen von Kommunen oder Eltern zu tun, Geld für die kulturelle Bildung von Kinder auszugeben.
    Es gibt bestimmt gute und schlechte Bläserklassen - die unterscheiden sich aber nicht unbedingt am Betreuungsschlüssel.
     
  2. Rick

    Rick Experte

    Natürlich nicht. Aber warum spricht Peter eigentlich Rick in der dritten Person an?

    Nein - wir haben ein paar Stücke vorbereitet für sein "JuBO", weshalb er hauptsächlich zu mir gekommen war, dabei hat sich herausgestellt, dass er keine langen Töne halten konnte, schief intonierte und einen saumäßigen Klang hatte (keine Ansatzspannung, keine Stütze).
    Ich habe behutsam versucht, mit ihm daran zu arbeiten, aber das war ihm zu lästig. Er wollte nur die Stücke können, mehr war er ja aus seiner Bläserklasse nicht gewöhnt.
    Er hatte nie auch nur 5 Minuten Instrumentalunterricht gehabt, noch nicht mal in einer Gruppe - nur Sax in den Mund und losgespielt, Ton kommt, also gut.

    Die Motivation war sein Vater, der mich als Saxofonisten kannte und meinte, es wäre jetzt mal an der Zeit für etwas Überprüfung - leider zu spät...

    Was soll die Unterstellung, das sei "konstruiert"?
    Mir kommen Deine Skepsis und Dein Misstrauen allmählich merkwürdig vor. Es darf nicht sein, was nicht sein darf, oder wie?

    Wer fordert denn bitte, man solle generell keine Bläserklassen machen?
    Ich habe das Gegenteil geschrieben - bitte genau lesen!
     
  3. ppue

    ppue Experte

    Ich habe nicht generell dir geantwortet Rick, in erster Linie antwortete ich auf Saxhornets Beitrag, in dem er sinngemäß schrieb: Lieber keine Bläserklasse als eine schlechte.
    Deshalb sprach ich von dir in der dritten Person. Das war nicht abwertend gemeint.

    Konstruiert kamen mir die Beispiele vor (auch wenn es das nicht war), weil ich mir den Fall nicht vorstellen konnte. Nun weiß ich, dass der Vater wohl der Motivierte war. Das macht dann schon mehr Sinn.

    Dass das Beispiel exemplarisch für eine Menge von solchen Fällen steht, kann ich mir dennoch nicht vorstellen. Ich kann mir aber vorstellen, dass dann doch der eine oder andere was aus solcher Klasse mit nimmt.
     
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  4. Juju

    Juju Strebt nach Höherem

    Ich weiß nicht, viele Kinder aus benachteiligten Verhältnissen haben nur gelernt, vor der Glotze abzuhängen und sich von sich aus für nichts zu interessieren, die können doch gar nichts dafür, weil sie es nie anders erfahren haben. Die brauchen doch eine besondere Förderung und Stimulation, damit sie überhaupt lernen, sich für Dinge zu interessieren. Wenn an einer staatlichen Schule nun ein Lehrer eine Klasse mit 40 Schülern betreut, von denen 30 eigentlich intensive Förderung in jeder Hinsicht brauchen, kann das doch nichts werden. Die Lehrer sind im Gegenteil zu Deutschland extrem schlecht bezahlt, und die kriegen es ja teilweise selbst nicht mit der Rechtschreibung hin!
    Die Abgänger von den staatlichen Schulen haben die größte Dropout Rate später im Studium, wenn sie es überhaupt an eine Uni schaffen. Sie haben außerdem schlechte Karten, weil das Networking schon ab Grundschulalter an den privaten Schulen so voran getrieben wird, dass da bloß die passenden Freunde im Umfeld der Kids sind, die leben also schon von der Grundschule an im Elfenbeinturm. Man muss wirklich hier leben um es annähernd zu begreifen. Ich habe es anfangs nicht für möglich gehalten, denn ich kam aus einer Kultur, wo mir die Uni zugeteilt wurde (Fach Medizin), und wo es letztendlich darauf ankam, dass ich mein Examen bestanden hatte (nicht welche Elite-Uni ich besucht hatte und welche Connections ich hatte), und das war's. Hier existiert das "old boy network" nach wie vor, und das ist noch wichtiger als alles andere, und das kann ich so einfach nicht akzeptieren. Wenn viele Kinder schon eine schwierige Ausgangsposition haben, sollte man doch alles versuchen, ihnen gleiche Chancen zu geben und ihnen nicht die Tür vor der Nase zuknallen, bevor sie überhaupt eine Chance hatten. Klar gibt es auch Ausnahmen, aber die Regel ist halt schon, dass man richtig wohlhabend sein muss, damit der Nachwuchs eine Chance hat.

    Eine interessante Geschichte hinsichtlich Bläserklasse habe ich aber auch hier aus London zu berichten, und zwar gibt es ab und zu Programme zur Förderung von Schulen aus unterprivilegierten Regionen. In diesem Fall wurde Dave eingeladen, einen Nachmittag an einer Schule in Peckham zu unterrichten. Er wußte überhaupt nicht, was ihn da erwarten würde. Es hieß dann, da seien zwei Jungs aus der Bläserklasse (bzw dem englischen Pendant), die Saxophon spielen. Im Klassenzimmer saßen zwei gelangweite Teenager mit ihren Saxophonen und kamen nur sehr zögerlich mit Dave ins Gespräch. Ob sie ihm was vorspielen würden? Nein, Dave sollte spielen, und zwar Giant Steps, mehrere Chorusse... Die haben ihn doch glatt auf die Probe gestellt, und wow, nicht Mr Saxo Beat oder irgendein Stuß, sondern Giant Steps musste es sein! Nach mehreren Chorussen Giant Steps hatte Dave nun seine "Aufnahmeprüfung" bestanden, und die beiden waren plötzlich Feuer und Flamme. Nun spielten sie mit ihm und ließen sich neue Dinge zeigen und hörten sich seine Verbesserungsvorschläge an. Als der Nachmittag vorbei war fragten sie ihn sogar, ob er wiederkommen könnte!
    Ohne eine Bläserklasse und Leihinstrumente hätten sie nie die Chance gehabt, an ein Instrument zu kommen und die Grundlagen zu lernen. Dadurch war der Funke erst übergesprungen, das Interesse an Coltrane kam zwar nicht durch die Bläserklasse, aber die Bläserklasse hat es erst möglich gemacht. Mit Coltrane haben sie sich dann in ihrer Freizeit beschäftigt und angefangen, Stücke zu transkribieren. Wenn die dran bleiben und so weitermachen, schaffen sie es vielleicht mit einem Stipendium an einer Musikhochschule...

    LG Juju
     
  5. Rick

    Rick Experte

    Das klingt super, ist aber für mich jetzt eine Geschichte wie ein Märchen: Unterprivilegierte Jungs, die aus einer Bläserklasse den Namen Coltrane kennen und sich nicht nur für die Musik INTERESSIEREN, sondern auch noch anfangen, Stücke zu transkribieren... :wideyed:

    Okay, so etwas KANN passieren, ist nun aber wahrhaftig nicht die Regel, jedenfalls nicht in Deutschland. Dann haben sie wahrscheinlich extrem engagierte Lehrer!

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    Danke Peter! :)

    Nun gut, wir haben jetzt ein paar Erfahrungen ausgetauscht, von positiven wie negativen Erlebnissen gehört, alles für sich natürlich Einzelfälle und keineswegs statistisches Material, um daraus irgendwelche Trends oder Tendenzen abzuleiten.

    Es kam für mich heraus, dass es nicht DIE typische Bläserklasse gibt, sondern sehr viele unterschiedliche Modelle und Umsetzungen, von der Grundschule bis zum Gymnasium, von mehreren kompetenten Betreuern bis zu einer einzelnen Lehrkraft für 40 wild durch die Gegend trötende Halbwüchsige (das ist das, was ich am häufigsten erzählt bekomme, die jeweiligen Lehrer sind mit den Nerven am Ende und verfluchen den Moment, wo sie sich dazu bereit erklärt haben).

    Wie bei allen pädagogischen Projekten kommt es auf die jeweiligen Lehrer und Schüler sowie ihren Draht zueinander an, DAS Erfolgskonzept scheint es nicht zu geben, am Geld liegt es wohl auch nicht.

    Manchmal kann man damit junge Leute für selbstgemachte Musik interessieren und zum weiteren Musizieren bewegen, manchmal werden aber auch Kinder abgeschreckt, in den schlimmsten Fällen gewöhnen sich die Schüler technische Fehler an, die sie nur schwer oder gar nicht wieder los werden.

    Alles nicht so einfach, alles birgt gewisse Risiken. Aber so ist das Leben nun mal.


    Schöne Grüße,
    Rick
     
  6. Rick

    Rick Experte

    Wo ist das Problem?
    Das mache ich lieber als mir 30 wilde Anfänger mit lauten Blasinstrumenten vorzustellen... :-D

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    Eben. :cool:
     
  7. saxhornet

    saxhornet Experte


    Mal Butter bei die Fische: wie viel Erfahrung hast Du mit Bläserklassen, Schul-AG's und Schülern von Bläserklassen?

    LG Saxhornet
     
  8. saxhornet

    saxhornet Experte

    Ist vielleicht einfach ein Frage der Erfahrung und dessen was man so erlebt hat. Schön aber daß Du die Erfahrung von anderen als schief und konstruiert beschreibst.

    Es gibt Bläserklassen, die funktionieren so wie sie betrieben werden nicht wirklich gut und das hat dann oft Folgen für die Kinder, gerade wenn da eine Grundschule mit Bläserklasse dann Schüler generiert, die dann auf eine musikbetonte Oberschule gehen wollen und nicht mal ahnen welche Probleme noch auf sie zukommen. Manchmal verläuft sowas dann harmlos und manchmal kann das dann innerhalb der AG's von solchen Schulen später zu einem Problem werden. Wenn man mal gut organisierte Bläserklassen erlebt hat und auch welche die nicht funktionieren (ist bei AG's nicht anders) dann sieht man die Unterschiede sehr deutlich.

    Die gibt es und bei einigen wäre es sinnvoll, wenn sie nicht unterrichten würden oder man sie zum Schutz der Schüler nicht unterrichten lassen würde.

    LG Saxhornet
     
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  9. last

    last Guest

  10. Brille

    Brille Strebt nach Höherem

    Liebe Foristen, danke f.d. Diskussion. Ich finde sie inhaltlich und die Art und Weise der Diskussion toll! Es spiegelt viele -ambivalente- Erfahrungen und Betrachtungsweisen wider, die auch mich tw. sehr umtreiben.

    Weiter!

    VG B.Rille
     
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  11. Brille

    Brille Strebt nach Höherem

    Ach übrigens, ich kann diese Phrasen " es kommt auf den Lehrer an " nimmer hõren. Es sind konzeptionelle Fragen, die sich stellen. Und die sind grundsätzlich, und nicht individuell!
     
  12. JazzPlayer

    JazzPlayer Ist fast schon zuhause hier

    Jedes gute Konzept kann an einem schlechten Lehrer scheitern und jeder schlechte Lehrer an einem guten Konzept. So abgedroschen die Phrase klingt, darf man den Faktor Lehrkörper niemals außen vor lassen (ebenso wenig wie die Schülergruppe, die unterrichtet werden soll)
    Das heißt natürlich nicht, dass man diese individuellen Geschichten hier erläutern muss, wo sich doch viel trefflicher über Konzepte streiten lässt. Das ist wenigstens halbwegs planbar und insofern stimme ich dem zu.

    Vielleicht treffe ich demnächst mal zufällig meinen früheren Musiklehrer, der inzwischen an der Schule auch eine Bläserklasse leitet. Mal hören, was der zu erzählen hat.
     
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  13. ppue

    ppue Experte

    Ich weiß zum Beispiel, was es heißt, wenn die Schüler in einer Unterrichtsstunde von 45 Minuten ihre Instrumente holen, sie zusammenbauen, die Blättchen erneuert, die Instrumente durchgesehen werden, Notenständer und Noten sortiert werden müssen und vor dem Ende der Stunde alles wieder zurück gebaut sein soll.
    Da bleiben, wenn es gut geht, noch die Zeit zum Stimmen und vielleicht 15 Minuten für das Proben eines kurzen Stückes.

    Ich selbst hatte diverse Bläsergruppen. Speziell Bläserklassen an der Schule allerdings nicht, kenne den Betrieb aber gut von meinen Kindern und von meiner Ex, die Musiklehrerin ist und diverse Gruppen leitet.
     
  14. Brille

    Brille Strebt nach Höherem

    Meine Internetrecherche ergab Folgendes:
    1. F.d. Bläserklasse werden Gebühren zwischen 35 und 50 Euro erhoben (incl.. Strument)
    2. Die Trägerschaft wird öfters in die Fördervereine ausgelagert.
    3. Es werden Verträge abgeschlossen zw. Träger und Schüler (Thema üben, usw.)
    4. Instrumente sind versichert.
    5. Kooperationen zw. Schule und Musikschulen ist nur dann dabei, wenn die Gebühren höher sind.
    6. Kleinere Einheiten bis 15 P werden öfters von 1 Lehrer betreut, 30er Klassen nicht.....
     
  15. Rick

    Rick Experte

    Genau DAS war bei unserer Baritonsaxofonistin anders - vom Konzept her hätte sie für ihre 30 Teilnehmenden noch Assistenz benötigt, aber der Schulrektor meinte ja, wie erwähnt: "Sie schaffen das schon!"

    Zwischen Theorie und Praxis dürfte gerade in diesem Punkt manche Lücke klaffen...
     
  16. Brille

    Brille Strebt nach Höherem

    Welche Theorie?

    Die Praxis, dass nur kleinere Gruppen nur einen Lehrer haben und es anständige Personalschlüssel bei größeren Gruppen gibt, ist vielfach belegbar.

    Ein Beispiel wie von Rick angeführt, ist mir nicht bekannt.
     
  17. Tarogato

    Tarogato Schaut öfter mal vorbei

    Der Lehrer, bei dem ich meine Bläserklassenausbildung absolviert habe, leitet Bläserklassen mit 25 bis 30 Schülern im Gymnasialbereich alleine und propagiert das auch in zahlreichen Workshops, allerdings nicht dogmatisch als einzigen Weg. Bei ihm schien das auch gut zu klappen. Die 5.Klasse, in der wir hospitiert haben, hatte nach einem 3/4 Jahr wirklich ein beachtliches Niveau. Man kann das für sich selber ablehnen oder für unmöglich halten. Es gibt aber keine Vorgaben ö.ä., die das ausschließen.
    Wie gesagt, ich würde es nicht so machen, finde es aber falsch, das von vorneherein zu verdammen. Wenn es funktioniert, ist es gut!
    Ich leite keine Bläserklasse, bin aber Schulmusiker und unterrichte in der Unterstufe mit der Gitarre als Klasseninstrument. Das Material habe ich selber geschrieben - die Ansprüche sind, da die Schüler kein Instrument zuhause haben,anders und natürlich sehr viel niedriger als in einer Bläserklasse. Nach meiner Erfahrung gibt es in jeder Klasse eine handvoll Schüler, an denen die Sache irgendwie vorbeigeht, wieviel pädagogisch ausgefuchste Wiederholungsschleifen und Motivationstricks man auch einbaut. Irgendwie haben sie beim Einzählen auf 4 immer noch nicht die Finger da wo sie sein sollen, kucken erst in die Noten, wenn alle schon fertig sind, verlieren den Anschluss und gehen so verloren. Ich würde mir zutrauen, die 20 anderen Schüler in einer Bläserklasse alleine zu unterrichten. Für die beschrieben 5 finde ich es aber wichtig, dass es eine andere Lehrperson und Kleingruppen gibt, in denen individuell gearbeitet wird.
     
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  18. Kersche

    Kersche Ist fast schon zuhause hier

    Ich bin Musiklehrerin an einer Hauptschule und Grundschule. Studiert. Trompeterin, Umstieg aufs Saxophon vor etwa 4 Jahren. Ich habe vom Musikverein aus Trompetenunterricht für die Bläserklasse nachmittags einstündig gegeben. Es waren 4 3.Klässler und 4 4.Klässler in der anderen Gruppe. Das war ok, Weihnachten sind die 4.Klässler schon immer durchs Dorf gezogen und haben bei den Eltern, in der Apotheke, beim Metzger und beim Edeka Weihnachtslieder gehupt. Selig und satt sind dann alle nach Haus, ich dann nicht mehr ganz nüchtern. Dorf halt. Nach drei Jahren hat der Musikverein meine Bezahlung für den Unterricht unangekündigt halbiert. Es war vorher nicht viel. Die Art und Weise war auch nicht ok.

    Später sollte ich in meiner Schule den Bläserklassenunterricht geben. Allerdings nicht über eine Deputatserhöhung, sondern ich sollte pro gegebener Stunde 5€ Bezahlung bekommen. Ich arbeite nicht voll als Lehrerin, weil ich eine behinderte Tochter habe. Also habe ich dankend abgelehnt.

    Eine auswärtige Lehrerin machte es dann, warf allerdings nach einem Jahr das Handtuch. Zu schwierige Kinder. Das Modell Bläserklasse läuft weiter, gelegentlich mache ich Vertretung, voran kommen die nicht: die Instrumente werden zu Haus vergessen, man blödelt rum, ein Junge mit ADHS ohne Medikamente ist regelmäßig außer Rand und Band und dann noch mit Trompete in der Hand-oh je! Dann ist da ein russischstämmiges Mädchen, die Klarinette spielen mag und gar nicht schlecht lernt. Aber die geht unter im Chaos. Die andere Klarinettenspielerin ist ein Flüchtlingsmädchen, das gar nicht weiß, was man eigentlich will, da sie kein deutsch versteht. Sie kriegt seit Anfang des Schuljahres nur dieses hohe Pfeifen aus der Klarinette. Ein türkisches Mädchen, was Trompete spielt, bekommt dagegen nur das untere C heraus seit anfang des Schuljahres, also seit 7 Monaten! Geübt wird mit Sicherheit nicht!

    Neben der Bläserklassenstunde (90min) haben die einzelnen Instrumentengruppen noch Unterricht bei Musiklehrern und Instrumentalisten aus dem Musikverein. Bisher hat der Bläserklassenunterricht viele Wechsel gesehen. Kaum ein Kind bleibt dabei.

    Das nur mal so als direkte Meldung aus der Praxis, ganz aktuell...
     
    Zuletzt bearbeitet: 13.April.2016
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  19. Tarogato

    Tarogato Schaut öfter mal vorbei

    Hallo Kersche,
    das klingt ja wirklich trostlos, von allen Seiten her betrachtet! Solche Schilderungen hört man ja auch immer mal wieder von Jeki und Co. Sehr traurig, weil das Projekt nach deinen Schilderungen ja wirklich mal positiv gelaufen ist!
     
  20. Saxoryx

    Saxoryx Strebt nach Höherem

    Ist ja interessant, was es alles so an Erfahrungen zu Bläserklassen gibt. Bei uns an der deutschen Schule gibt es auch eine seit ein paar Jahren. Ist aber nur was für reiche Eltern. Der Lehrer muss bezahlt werden, die Instrumente müssen bezahlt werden (sie werden von den Eltern nur gemietet, aber die Eltern zahlen innerhalb der zwei Jahre das Doppelte oder so des Neupreises des Instruments an die Schule, ohne dass es ihnen nachher gehört. Will das Kind weiterspielen, müssen sie dann für den normalen Neupreis privat ein neues Instrument kaufen), der Erfolg der Kinder ist nicht wirklich zu sehen, klingt grauenhaft, was die nach zwei Jahren zusammenbringen. Positiv ist, dass es nur relativ wenige Kinder sind (die meisten Eltern wollen nicht so viel Geld ausgeben oder können es sich nicht leisten), die man eigentlich sehr gut an Musik heranführen könnte - wenn es denn jemand könnte.

    Eigentlich hören alle Kinder nach den zwei Jahren wieder auf, weil im Grunde genommen nichts dabei herauskommt. Hätten sie die zwei Jahre lang bei einem Lehrer im "College of the Arts" (Musikschule für Kinder (und momentan auch Erwachsene, aber möglicherweise nicht mehr lange, weil die Regierung das wohl demnächst verbieten wird)) Unterricht gehabt zu einem Bruchteil des Geldes, das die Bläserklasse an der Schule kostet, hätten sie sicherlich mehr gelernt. Obwohl das "College" in vielen Bereichen auch nicht das Gelbe vom Ei ist, weil es erstens keine Musiklehrer in Namibia gibt und sie zweitens extrem schlecht bezahlt werden. Es gibt Ausnahmen, tatsächlich einige gute Lehrer, aber die müssen ziemlich idealistisch sein, und die meisten sind eben einfach nur Leute, die mal ein Instrument gelernt haben, oft mehr schlecht als recht, und das jetzt am "College" unterrichten, um sich etwas dazuzuverdienen.

    Von den Erfahrungen her kann ich mich nur Juju anschließen: Wer kein Geld hat, der bekommt auch keine Ausbildung, von einer "guten" Ausbildung (was auch immer das ist) ganz zu schweigen. Gute Schulen sind teuer, das können sich die meisten nicht leisten. Sport ist für viele noch wichtig, Musik ist völlig unwichtig. Warum ein Kind ein Instrument lernen sollte, erschließt sich den meisten nicht, und selbst wenn: Sie könnten sich weder das Instrument für das Kind noch das Geld für den Unterricht leisten.

    Gerade in so einem Umfeld wäre eine Bläserklasse, die sich an die Schichten der Bevölkerung richtet, die sich das normalerweise nie leisten könnten, ein sehr sinnvolles Projekt, aber wer soll das bezahlen? Eine Regierungsschule könnte das nie leisten. Sie hätten weder Lehrer, die das könnten oder machen würden, noch Instrumente. Selbst, wenn man ihnen die Instrumente spenden würde, wären die nach kurzer Zeit geklaut oder von den Kindern bzw. den Familien der Kinder verkauft, um an das Geld zu kommen. Das ist wirklich sehr schade, denn es gibt bestimmt einige begabte Kinder aus armen Familien, die so Spaß an der Musik bekommen könnten oder sogar einen Beruf daraus machen könnten (Berufsausbildungen gibt es hier ja auch nicht, also wäre das etwas Besonderes), aber dafür fühlt sich niemand zuständig. Wenn es noch nicht einmal Ausbildungen für KFZ-Mechaniker gibt, warum sollte man dann Musiker ausbilden?

    Ursprünglich hat mir das Konzept der Bläserklassen sehr gefallen, wenn sie sich denn wirklich an unterprivilegierte Kinder richten würden. Aber zum Schluss sind es doch nur wieder die reichen Kinder, die davon profitieren (oder auch nicht), weil das ungeheuer viel Geld kostet.
     
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