Das Geheimnis der Gehörbildung

Dieses Thema im Forum "Improvisation - Harmonielehre" wurde erstellt von Gelöschtes Mitglied 13399, 23.August.2022.

  1. Rick

    Rick Experte

    So erging es mir als "Jazz-Schüler" in meiner Teenage-Zeit: Ich spielte auf dem Klavier alle möglichen Akkorde und Verbindungen, die ich auf meinen Schallplatten hörte, ohne mehr Fachwörter als Tonika, Dominante, Subdominante sowie Moll-Parallele aus dem klassischen Unterricht zu kennen.
    Erst später, während meines autodidaktischen "Jazz-Studiums" in Heidelberg, lernte ich durch ältere, erfahrenere Musiker die szeneüblichen Bezeichnungen für das, was ich seit Jahren intuitiv wusste.

    Gehört habe ich alles, ich konnte auch darüber schlüssige Melodien erfinden, aber ich hatte keine Ahnung, wie man das alles nennt. :-D
     
  2. ilikestitt

    ilikestitt Strebt nach Höherem

    Klar ist das möglich nur der Prozentsatz ist halt sehr sehr klein.
    Woran machst du das fest und warum sollte das so sein? Warum sollte Jemand, der die Changes im Kopf hat da weniger melodisch sein oder weniger schlüssig spielen? Deine Aussage widerspricht so komplett meiner Erfahrung mit Profis und bei denen laufen die Change meist im Kopf mit.
    Die einzige mögliche Erklärung wäre für mich bei Jemandem, der mit den Changes so überfordert ist, daß er durch die Changes keine Resourcen mehr zum Spielen hat. Das würde dann aber auf Musiker mit ausreichend Spielfertigkeit dann nicht zutreffen.
     
  3. The Z

    The Z Ist fast schon zuhause hier

    Zugegebenermaßen hab ich da für mich beide Möglichkeiten quasi ins extreme getrieben: auf der einen Seite jemanden mit extrem guten Gehö aber ohne theoretisches Wissen, auf der anderen Seite jemanden mit genau umgedrehten Fähigkeiten. Da höre ich lieber dem ersten zu. Beides kommt in reiner Form wahrscheinlich nicht so oft vor, da gebe ich dir Recht. Im Profibereich sollte beides gut gehen.

    Zu deiner Frage, wenn jemand die Changes im Kopf hat und nur mathematisch richtige Töne spielt wird weniger anhörbares rauskommen als wenn derjenige mitfühlt und mithört.

    Ich sehe das nicht als entweder/oder sondern als miteinander der beiden Bereiche. Für mich selbst stufe ich das Gehör wichtiger ein als das Wissen. Möglicherweise weil ich mehr weiß als höre.
     
    Rick und Gelöschtes Mitglied 13399 gefällt das.
  4. ilikestitt

    ilikestitt Strebt nach Höherem

    Was sollen mathematisch richtige Töne sein? Was meinst du mit weniger anhörbar? Wenn wir darüber diskutieren wollen, sind solche Begriffe sehr schwammig (auch weil Musik oft sehr sehr subjektiv ist, gerade was Melodien angeht).
    Mathematisch richtige Töne sind für mich ein Begriff mit dem ich nichts anfangen kann, weil er komplett nichts mit Musik zu tun hat. Es gibt keine mathematisch richtigen Töne. Es gibt Töne, die mehr oder weniger Spannung haben. Der Spieler entscheidet jetzt ob er Spannung in seiner Melodie haben will bzw. wie viel oder nicht. Man kann auch nur mit den Tönen des Dreiklangs interessant und melodisch spielen bei Akkordwechseln aber auch das Arbeiten und Einbauen von Tönen, die Spannung produzieren kann super klingen, muss man aber erstmal lernen (ich weiss noch gut wie ich anfangs an der alterierten Skala gescheitert bin und wie ich die jetzt sehr mag).
    Das Ohr sowie das Wissen in der Kombination lässt den Spieler besser werden und andere Melodien spielen und wachsen. Melodien zu entwickeln und zu gestalen ist eine Fertigkeit, die man genauso lernen muss wie andere Dinge. Und kein Profi wird, wenn er den Song kennt, beim Spielen im Kopf eine Analyse des Songs machen. Wenn der Song unbekannt ist eventuell schon und da sorgt es dann dafür daß er dann schneller ein Solo spielen kann.. Und wenn man sich vorher nicht mit auseinandergesetzt hat, wie eine Zwischendominante klingt, wirst es eher schwierig diese bei einem Song zu hören, wiederzuerkennen und zu bedienen.

    Wissen bringt dir wenig, wenn du es nicht auch hören kannst. Die Dinge sollten immer Hand in Hand gehen.
     
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  5. The Z

    The Z Ist fast schon zuhause hier

    In dem Kontext genau mein Punkt. Man kann die Changes, "bedienen" ohne dabei melodisch zu spielen.
    Ja. Wobei das nicht immer deckungsgleich sein wird. Es gibt Dinge die ich theoretisch verstehe aber nicht gleich höre, es gibt Dinge die ich vom Gehör her erkenne, aber nicht gleich begrifflich einordnen kann.

    Im Grunde meinen wir dasselbe, glaub ich zumindest.

    Wann ist man eigentlich ein Profi?
     
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  6. Gelöschtes Mitglied 5328

    Gelöschtes Mitglied 5328 Guest

    Wenn man mit dem was man macht seinen Lebensunterhalt
    (im wesentlichen) verdient, es als Beruf ausübt.

    CzG

    Dreas
     
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  7. gaga

    gaga Gehört zum Inventar

    Einer, der keine Ahnung von dem hatte, was er auf hervorragende Weise tun konnte, war doch Chet Baker. Der wusste immer intuitiv wo es lang geht und konnte das alles elegant bedienen. Und von seinem langjährigen Pianokollegen Russ Freeman ist bezeugt, dass Chet im wahrsten Sinne des Wortes keine Ahnung hatte und auch kein Interesse. Er brauchte das nicht.

    Dabei ist er auf keinen Fall ein Argument für die Siehste-geht-doch-Fraktion. Es zeigt einzig und allein, dass er, Chet Baker, es konnte.

    Wie war das bei dem anderen melodischen Eleganzler, bei Stan Getz? Da geht doch auch die Sage, dass er von Harmonien nicht viel wusste.
     
    Zuletzt bearbeitet: 28.August.2022
  8. ilikestitt

    ilikestitt Strebt nach Höherem

    Du hast mich eventuell nicht verstanden bei dem was ich sagen wollte (mein Fehler). Es gibt weder mathematisch richtig noch mathematisch falsch in der Musik. Insofern wüsste ich gerne was du darunter verstehst mit man kann die Changes bedienen ohne melodisch zu klingen? Es geht mir wirklich nur um eine Basis von wo man dann diskutieren kann, ohne daß man aneinander vorbei redet.

    Melodien oder melodisches Spiel sind ein so subjektives Ding in der Wahrnehmung. Der eine findet Charlie Parker hoch melodisch (zu der Gruppe gehöre ich), der andere sein Spiel für eine sinnfreie Aneinanderreihung von irgendwelchenTönen. Der eine findet Michael Breckers oder Chris Potter melodisch hoch spannend, der nächste hält das für komplett belanglos...........
    Gestaltung und Wahrnehmung von Melodien hat zu einem grossen Teil damit zu tun, was einem gefällt, wie weit das Ohr ist und als Spieler in welche Richtung der Spieler sich entwickelt hat, welchen Leistungslevel er hat, was er mag und was er umsetzen kann, nicht selten sind unsere melodischen Fähigkeiten auch durch unserer technischen Mängel am Instrument limitiert. Melodien, die zu komplex sind mögen viele nicht, wenn sie sie nicht verstehen können und selbst wenn man sie versteht hängt es eindeutig vom eigenen Geschmack ab.

    Mir ist aber nicht klar was du aussagen willst:
    a) wenn Jemand die Akkorde ausspielt, klingt er nicht melodisch?

    oder meinst du

    b) nur das Benutzen von Akkordtönen allein, ohne interessanten Rhythmus führt nicht zu einer "guten" Melodie, das hätte aber wieder mit theoretischen Kenntnissen nichts zu tun

    Mir erschliesst sich nicht was du sagen willst, ich würde es aber gerne verstehen.

    Für mich ist Melodie ein Platzierung oder Aneinanderreihung von Tönen, die mehr oder weniger Spannung haben (in Bezug auf eine eventuell vorhandene Tonalität) in einem bestimmten Rhythmus (oder frei) über eine Akkordfolge oder ohne Akkordfolge.
     
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  9. The Z

    The Z Ist fast schon zuhause hier

    Chet Baker konnte soweit ich weiß auch Klavier spielen.
    Stan Getz hatte, so stand es jedenfalls in der Biografie ein absolutes Gehör und, hier zwar nicht relevant, fotografisches Gedächtnis
     
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  10. ilikestitt

    ilikestitt Strebt nach Höherem

    In der Realität können wir davon ausgehen, daß die doch mehr wussten als hier einige immer wieder anführen und die ihre Songs ziemlich gut kannten, gepaart mit sehr guten Ohren. Wenn Chet Baker oder Stan Getz von den Songs und ihren Harmonien keine Ahnung gehabt hätte, wäre sein Spiel über so manchen Standard nicht so gelaufen wie er drüber gespielt hat, denn du hörst dabei daß er nicht erst auf die Akkorde wartet, sondern sie im voraus von der Melodiführung hört. Also keine Reaktion, sondern er kannte sein Material.
     
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  11. gaga

    gaga Gehört zum Inventar

    Russ Freeman: It's not true that Chet couldn't read music, although he couldn't read ist well enough to do studio work. But it is true that he knew nothing about harmonic structure or chords, even simple ones. If you askes him what notes were in a certain chord, he couldn't tell you. He was, however, a truly instinctive player with an incredible ear and great lyrical sense.
     
  12. Gelöschtes Mitglied 5328

    Gelöschtes Mitglied 5328 Guest

    Wie auch immer.

    Die Begründung als durchschnittlicher Saxamateur oder gar
    -anfänger man müsse sich nicht mit Harmonien beschäftigen, weil Baker oder Getz es auch nicht gemacht hätten, ist ja nun mehr als vermessen.

    CzG

    Dreas
     
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  13. The Z

    The Z Ist fast schon zuhause hier

    Ok, das würde ich noch mit sowas wie "zielgerichtet" oder "in sich stringent" ergänzen. Persönlich auch noch mit "singbar", eigentlich das was Russ Freeman oben mit "lyrical sense" meint und für mich schwer mit technischen Begriffen definierbar ist.
     
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  14. ilikestitt

    ilikestitt Strebt nach Höherem

    Ist halt so ein Ding mit Biografien und Angaben im Internet etc.:
    Bei Wiki steht z.B. : After leaving the Army in 1948, he studied music theory and harmony at El Camino College in Los Angeles
     
  15. ilikestitt

    ilikestitt Strebt nach Höherem

    Singbar wäre für mich niemals ein Begriff den ich mit Melodie benutzen wollen würde. Freedom Jazz Dance kann ich nicht sofort singen, ist aber eine geile Melodie und so mancher Bebop Song hat viele Parts, die man nicht mal eben schnell singen lernt. Aber was du singen kannst, hat oft auch damit zu tun wie gut du hören und Töne unterscheiden kannst.
    Zielgerichtet ist schon besser aber auch da gibt es mit Sicherheit Ausnahmen und du kannst sowohl Brecker, Parker, als auch Potter spielen mit Sicherheit zielgerichtet und trotzdem nehmen Viele das als unmelodisch wahr.
    "in sich stringent" passt in meinen Augen gar nicht. Was soll das denn bedeuten in Bezug auf eine Melodie?
     
  16. GelöschtesMitglied11524

    GelöschtesMitglied11524 Guest

    Moin,
    mein Senf als weder übermäßig Begabter noch völlig Ahnungsloser:

    Nach einem Jahr mit Greg kann ich mir UNGEFÄHR vorstellen, wie es laufen könnte.
    Wenn man gut geschriebene Etüden und Licks (auswendig) spielt, sie am besten in verschiedene Tonarten transponiert, Soli transkribiert, sehr viel und täglich Improvisations-Trockentraining (Akkorde, Skalen etc.) macht, dann kriegt man einen Sinn für Stimmführung, das musikalische Gedächtnis wird besser. Das sind unabdingbare Voraussetzungen, über Akkorde etwas musikalisch Sinnvolles zu spielen. Du musst hören (fühlen) wohin sich die einzelnen Stimmen im Akkord bewegen, wie sich eine Melodie in Bezug auf den Grundton anhört, ohne dass der gespielt wird. Wie die Akkorde dabei heißen, ist völlig wumpe.
    Zielorientiertes Üben fällt mir mit meinem theoretischen Wissen leichter, aber so wie Geld keine Tore schießt, spielt auch das theoretische Wissen über Akkorde keine Soli.
     
    Zuletzt von einem Moderator bearbeitet: 28.August.2022
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  17. The Z

    The Z Ist fast schon zuhause hier

    Ja, was denn sonst? Das ist ja absurd.
    Hat einen Anfang und ein Ende, einen musikalischen Bogen, Töne sind nicht einfach zufällig. Würde ich mal sagen.

    Aber wie schon geschrieben, Melodie ist schwer zu definieren und sicher auch subjektiv.
     
    Zuletzt bearbeitet: 28.August.2022
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  18. gaga

    gaga Gehört zum Inventar

    Den Wikipediaeintrag kenne ich. Trotzdem glaube ich dem Russ Freeman-Zitat mehr (übrigens aus dem Vorwort zu einem Buch, nicht aus dem Internet). Ich bin ja auch verblüfft, dass es so funktionieren soll, so versiert und treffend und elegant wie Chet gespielt hat, aber ich kann so eine Aussage nicht ablehnen, weil sie mir nicht in den Kram passt, weil nicht sein darf, was nicht sein kann.
     
  19. gaga

    gaga Gehört zum Inventar

    Hier ist ein passendes Interview mit dem Army-Instructor von Chet Baker, das seine "Theorieferne" bestätigt. Das Fazit: Baker hörte ein Stück und hatte es sofort drauf, aber ohne darüber reden zu können - "not intellectually".

     
  20. jimi

    jimi Ist fast schon zuhause hier

    Das Geheimnis der Gehörbildung

    The moral of the story. You need to start young. Well perhaps something else. Mozart was just fourteen years old.


    The incredible story of how Mozart came to copy down Allegri’s Miserere, note for note, after hearing it just once in 1770.

    Allegri’s sublime Miserere has been a choral favorite for centuries.


    Once it’s heard, it's never forgotten. That soaring high C, always a challenge for the boy treble who has to reach it, makes it one of the most sublime pieces of choral music ever.

    But the piece was once closely guarded, only ever sung during the days of Easter within in the hallowed confines of St. Peter’s Rome – and never published for performance anywhere else.

    In 1770, who should arrive at the Vatican for Easter but 14-year old Wolfgang Amadeus Mozart? The city was captivating. He was overawed by St Peter’s, but perhaps unsurprisingly, the greatest impression was made on him by that piece of music.


    When he returned to his lodgings — where he had to share a bed with his dad and was getting no sleep at all – Mozart wrote the entire piece out from memory, perfectly.

    Here’s where some people begin to doubt the story – for how could a 14-year-old remember an entire choral composition, consisting of five voice parts, that he had only heard once that day?

    It does seem a little implausible. But let’s remember that Mozart wrote his first composition, a charming Minuet and Trio in G major, aged five.

    It is also said that after having transcribed the piece, the young Mozart went back to St Peter’s to hear the work again, probably the same week, to compare his own score with the sung version.

    Wolfgang.. you were cheating. LOL.;)
     
    Rick, gaga und Gelöschtes Mitglied 13399 gefällt das.
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