Echt improvisieren - oder vorbereitet sein?

Dieses Thema im Forum "Saxophon spielen" wurde erstellt von hpesch, 29.April.2014.

  1. hpesch

    hpesch Kann einfach nicht wegbleiben

    Mich würde mal interessieren, ob Musiker im Allgemeinen aus dem Stegreif improvisieren oder aus dem Repertoire schöpfen. Also wenn eine Band an verschiedenen Orten auftritt, spielen die jeden Abend mehr oder weniger das gleiche oder überraschen sich die Spieler gegenseitig?
    Ist ja auch eine Frage des Könnens.
    Mein Eindruck von Jazz ist mehr, dass fast alles sehr bekannt klingt, was da als Improvisation geboten wird.
     
  2. Werner

    Werner Strebt nach Höherem

    Wenn du sprichst, improvisierst du dann (in normalen Alltagssituationen) aus dem Stegreif, oder schöpfst du aus dem Repertoire, das du mal gelernt hast?

    Imho beides. Das Repertoire wurde von klein auf durch viel Übung verinnerlicht, mehr oder weniger vollständig flexibilisiert. Also ist es gleichzeitig Repertoire und (ev völlig ungeplantes) absolut freies Sprechen.

    Jeder hat eben so seine Sprache und Sprechweise, und ist dadurch auch schnell erkennbar. Finde ich persönlich nicht schlimm, solange die Musik immer wieder frisch und authentisch rüber kommt.
    Und es gibt auch welche, die trotz erkennbar gleichen Material es schaffen, immer wieder überraschende Wendungen zu finden.
    Das ist dann eben die Qualität des Musikers.

    [size=x-small]
    http://swing-jazz-berlin.de/#acapella[/size]
     
  3. reiko

    reiko Strebt nach Höherem

    Also ich kann da nur für mich sprechen: In meiner Jazz Combo (piano drums sax bass) ist nur abgesprochen, wie wir welche Stuecke vom Ablauf her spielen (wer fängt an, wer spielt das Thema, welchen Stil, welches Tempo). Der Rest, d.h die einzelnen Soli und auch deren Länge, wird spontan improvisiert. Die sind eigentlich immer stark von der Tageslaune abhängig.
    Viele Grüße Reiner
     
  4. TootSweet

    TootSweet Ist fast schon zuhause hier

    Wie schon Mark Twain sagte:

    It usually takes me more than three weeks to prepare a good impromptu speech.
     
  5. Gast

    Gast Guest

    Gute Frage!

    In meinem Falle ist es unterschiedlich > bei einer Session z.B. improvisiere ich natürlich frei und spontan, was mir eben zu dem Stück gerade nettes,passendes,interessantes so einfällt.

    Wenn ich in einer Band spiele, wo die selben Stücke immer wieder gespielt werden, dann improvisiere ich auch - aber es bildet sich im Laufe der Zeit quasi ein Grundmuster an Melodie, welche sich dann auch in gegebenem Song irgendwie immer wiederholt.
    Wenn ich da das gleiche Stück an verschiedenen Tagen spiele, klingen die Soli zwar improvisiert, haben dann aber eben auch irgendwo einen Wiedererkennungseffekt, weil sich gewisse Muster oder Melodiepatterns dann eben für DIESEN Song bewährt und eingeschliffen haben.

    >>>Schönes Beispiel ist mal wieder der gute P.Desmond mit seinem Take5 >> auf verschiedenen Aufnahmen spielt er sein Solo immer ein BISSCHEN anders aber man erkennt es doch auch immer gleich wieder.

    LG

    CBP
     
  6. chrisdos

    chrisdos Strebt nach Höherem

    Ich denke, im Jazz mit Ideenreichtum und persönlicher Handschrift zu improvisieren, ist eine Lebensaufgabe. Wer sich dem nicht voll und ganz widmen kann oder will, der wird schwer über das Malen nach Zahlen hinauskommen. Und das hört man halt.
     
  7. reiko

    reiko Strebt nach Höherem

    Ich kann den Eindruck, dass alles gleich klingt, bei meinen Mitmusikern nicht so bestätigen, weder in Sessions (da kommen auch immer wieder die selben) noch in der Combo. Es mag sein, dass jeder so sein Vokabular hat, aber ich versuche immer auch mal anders an die Improvisation ran zu gehen. Ich werde auch nicht selten von Mitspielern überrascht. Eine Lebensaufgabe und stetige Entwicklung ist es sicherlich - zum Glück
    Gruß Reiner
     
  8. GelöschtesMitglied1589

    GelöschtesMitglied1589 Guest

    Gute Improvisateure gleichen guten Rhetorikern: sie machen aus dem stets gleichen Material (in der Sprache Wortschatz und Strukturen, in der Musik Skalen, Harmonien und Rhythmen) etwas Besonderes, etwas, das auffällt. Dabei ist dieses Material oft in einer sehr langen Lern- und Übungszeit umfangreich und tief gespeichert und verknüpft.
    Immer wird auf etwas zurückgegriffen, das schon auf unserer internen Festplatte Gehirn gespeichert ist, aber in Sternstunden geschehen neue Verknüpfungen in Sprache und Musik, die überraschend Neues hervorbringen.
    J.S.Bach konnte ja mehrstimmige Fugen am Cembalo improvisieren (!!!). Ich habe mal gelesen (ich glaube in "Gödel, Escher, Bach-Ein Endlos Geflochtenes Band" von Douglas Hofstadter), dass diese Improvisationskunst einer Blind-Schach Partie mit vielen simultanen Gegnern gleicht.
    Wie bei einem Jazz-Virtuosen, der in Bruchteilen von Sekunden unzähligen Skalen und Modes in allen möglichen harmonischen Zusammenhängen abrufen können muss, kann aber (fast) nur aus dem Unbewussten gearbeitet werden,d.h. mitunder fällt die Entscheidung, wenn überhaupt, in einer Grauzone zwischen Bewusstsein und Intuition, auch mit Entgleisungen. Mein Lieblingszitat zu solchen Fehlern stammt von Thelonious Monk: "I played the wrong wrong notes."
     
  9. altblase

    altblase Strebt nach Höherem

    Zitat hpesch :

    "Mein Eindruck von Jazz ist mehr, dass fast alles sehr bekannt klingt, was da als Improvisation geboten wird."

    Letztendlich sind es ja immer wieder musikalische Stereotypen und Floskeln, die da abgespult werden. Deswegen klingt dann ja Vieles bekannt. :cool:

     
  10. Werner

    Werner Strebt nach Höherem

    Genau! Jeder Ton wurde schonmal gespielt, also ist alles geklaut.
    :-D


    [size=x-small]
    http://swing-jazz-berlin.de/#acapella[/size]
     
  11. JazzThor

    JazzThor Schaut nur mal vorbei

    Das ist ein interessantes Thema, aber gibt es überhaupt etwas wie eine pure, 100 prozentig reine Improvisation? Auch wenn ein Solo sich als unerwartet extrem kreativ, spontan und innovativ erweist, stößt der Begriff Impro irgendwie an Grenzen, oder man hat eine falsche Auffassung... Eine Impro wird nämlich mehr oder weniger von einer Strategie begleitet. Bis zu einem Bruchteil von Sekunden weißt man ungefähr im Voraus, was man für Emotionen oder Stimmung erzeugen will.

    Wenn ich bei einem Stück eine kleine Impro habe, versuche ich, die Harmonie bzw Akkorde zu verinnerlichen. Manchmal sogar habe alle "improvisierten" Note genau an den Tagen vorher vorbereitet. Aber dann ist das Tempo oder die Begleitung anders und in Bruchteil von Sekunken muss die Strategie geändert werden :-o

    Unter "Impro" verstehe ich eher "Freiraum für eigene Ideen" :)
     
  12. reiko

    reiko Strebt nach Höherem

    Ob nun im Jazz immer alles gleich klingt, ist auch eine Frage des Standpunktes. Für meine Frau sind z.B. alle Autos gleich, abgesehen von Größe und Farbe. So mag es auch dem ein oder anderen mit dem Jazz gehen.
    Was auch gerne in den falschen Hals gerät ist die Vorstellung, dass man, wenn man nach Regeln spielt, deterministisch spielt, d.h. es keine Freiräume mehr gäbe. Nun, Schach spielt man auch nach Regeln aber jede Partie ist anders.
    Vorbereitet sein heisst für mich, dass man das Stück von Form und Aufbau her einigermaßen kennt. Manchmal, auf Sessions melde ich mich auch spontan für ein Solo, obwohl ich mich vorher in Unkenntnis des Stückes abgemeldet habe. Dann reicht das Mithören von ein paar Chorussen schon als Vorbereitung.
    Viele Grüße Reiner
     
  13. saxhornet

    saxhornet Experte

    Improvisationen folgen auch Regeln wie Sprache. Manche Spieler und Autoren benutzen bestimmte Floskeln gerne öfters, andere sind variantenreicher im Ausdruck und Sprachvielfältigkeit.

    Grundsätzlich ist es eine Improvisation, wenn man nichts vorher auswendig gelerntes bewusst spielt beim Solo. Daß es trotzdem Übereinstimmungen gibt liegt am Prinzip der Sprache, da wiederholen sich auch die Sätze bei Sprechern und Autoren. Das geht auch gar nicht anders, denn es gibt nur eine begrenzte Anzahl von Wörtern und Kombinationen, die auch Sinn machen. Ähnlich ist es in der Musik. Kombiniere ich frei ohne an das Halten an irgendwelche Regeln erschaffe ich halt auch Sprache oder Musik ohne Inhalt oder Zusammenhang. Kann man aber ob man das will??

    Lg Saxhornet
     
  14. Mugger

    Mugger Guest

    Moin,

    einige Fragen werden in diesem Video beantwortet, oder zumindestens angeschnitten.

    https://www.youtube.com/watch?v=y_7DgCrziI8

    Liebe Grüße,
    Guenne
     
  15. Mugger

    Mugger Guest

    Moin,

    schade, dass dieser Thread niemanden mehr zu interessieren scheint.
    Ich finde es gerade hier spannend und stelle die Frage, wer von Euch ebenso diese zwei Ebenen der Improvisation kennt:

    Die eine, wo man vorbereitet nach Changes spielt, und wie beim Blattlesen Noten halt Akkorde und Progressionen, Kadenzen "voraus liest".

    Die andere, die Hal Galper beschreibt, wo zwar innerhalb der Form improvisiert wird, aber nicht bewusst an Töne und ihre Funktion gedacht wird, sondern Melodien entstehen (notwendigerweise auswendig), die sich am harmonischen Rhythmus orientieren (das Liede muss man dann halt gut kennen..)
    Ich gestehe, ich bin jetzt erst dabei, so zu üben, und es macht einen Riesenspaß, weil ich Dinge spiele, die mir so vorher noch nicht eingefallen sind.
    Riesenspaß auch, weil man sich von Tonarten, Akkorden befreien kann und nur an Töne und Melodien denkt. Weniger sich selbst limitierend sozusagen.

    Das eine ist nicht besser als das andere und es ist klar, dass beides geübt werden muss, weil es sich gegenseitig "befruchtet".

    Liebe Grüße,
    Guenne
     
  16. Mugger

    Mugger Guest

    Moin,

    schade, dass dieser Thread niemanden mehr zu interessieren scheint.
    Ich finde es gerade hier spannend und stelle die Frage, wer von Euch ebenso diese zwei Ebenen der Improvisation kennt:

    Die eine, wo man vorbereitet nach Changes spielt, und wie beim Blattlesen Noten halt Akkorde und Progressionen, Kadenzen "voraus liest".

    Die andere, die Hal Galper beschreibt, wo zwar innerhalb der Form improvisiert wird, aber nicht bewusst an Töne und ihre Funktion gedacht wird, sondern Melodien entstehen (notwendigerweise auswendig), die sich am harmonischen Rhythmus orientieren (das Lied muss man dann halt gut kennen..)
    Ich gestehe, ich bin jetzt erst dabei, so zu üben, und es macht einen Riesenspaß, weil ich Dinge spiele, die mir so vorher noch nicht eingefallen sind.
    Riesenspaß auch, weil man sich von Tonarten, Akkorden befreien kann und nur an Töne und Melodien denkt. Weniger sich selbst limitierend sozusagen.

    Das eine ist nicht besser als das andere und es ist klar, dass beides geübt werden muss, weil es sich gegenseitig "befruchtet".

    Liebe Grüße,
    Guenne
     
  17. Mugger

    Mugger Guest

    Moin,

    schade, dass dieser Thread niemanden mehr zu interessieren scheint.
    Ich finde es gerade hier spannend und stelle die Frage, wer von Euch ebenso diese zwei Ebenen der Improvisation kennt:

    Die eine, wo man vorbereitet nach Changes spielt, und wie beim Blattlesen Noten halt Akkorde und Progressionen, Kadenzen "voraus liest".

    Die andere, die Hal Galper beschreibt, wo zwar innerhalb der Form improvisiert wird, aber nicht bewusst an Töne und ihre Funktion gedacht wird, sondern Melodien entstehen (notwendigerweise auswendig), die sich am harmonischen Rhythmus orientieren (das Lied muss man dann halt gut kennen..)
    Ich gestehe, ich bin jetzt erst dabei, so zu üben, und es macht einen Riesenspaß, weil ich Dinge spiele, die mir so vorher noch nicht eingefallen sind.
    Riesenspaß auch, weil man sich von Tonarten, Akkorden befreien kann und nur an Töne und Melodien denkt. Weniger sich selbst limitierend sozusagen.

    Das eine ist nicht besser als das andere und es ist klar, dass beides geübt werden muss, weil es sich gegenseitig "befruchtet".

    Liebe Grüße,
    Guenne
     
  18. antonio

    antonio Gehört zum Inventar

    @Guenne, all

    ja, das ist schon interessant...ich selber bemühe mich, den ersten von dir genannten Weg zu üben- "bemühen" ist wohl der richtige Ausdruck, mir fällt diese Art sehr schwer und wenn ich versuche so zu Spielen, klingt es meist bemüht und steiff. Mir liegt der zweite von dir angesprochene Weg eindeutig mehr und ich habe auch ein freieres Spielgefühl und erlaube mir eindeutig auch mehr.

    LG
    antonio
     
  19. GelöschtesMitglied5507

    GelöschtesMitglied5507 Guest

    Das kommt aufs Stück an. ZZ spiele ich Watermelon Man, habe mir die jeweiligen Bluestonleitern im gleichen Schema aufgeschrieben und versuche hauptsächlich die Changes hinzubekommen.

    Bei Blue Monk (aus O'Neill) orientiere ich mich stark am Thema und versuche dies rhythmisch und im Ausdruck zu zu variieren.

    LG cweg
     
  20. ppue

    ppue Mod Experte

    Na, die beiden Methoden widersprechen sich ja nicht. Solange ich die Basslinie, Akkorde und Skalen nicht im inneren Ohr voraushören kann, bin ich noch auf Krücken wie Akkordsymbole oder vorbereitete Skalen angewiesen.

    Habe ich die Struktur verinnerlicht, dann kann ich im Grunde frei aufspielen, vorausgesetzt, ich kann die Töne, die ich im inneren Ohr höre, auch grifftechnisch direkt umsetzen.

    Dazwischen gibt es alle möglichen Abstufungen.

    Wenn sich alles gleich anhört, so kann das am Zuhörer liegen, der noch wenig Zugang zu den komplizierten Spannungsverhältnissen der Töne entwickelt hat: "Bebop ist doch immer das gleiche Gedudel" oder es liegt daran, dass ich keine Spannung aufbauen kann. Spannung auf- und abzubauen ist das A und O und man hat mannigfaltige Möglichkeiten dazu. Aber das würde dieses kleine Frettchen wohl sprengen.
     
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