Improvisieren mit Leittönen

Dieses Thema im Forum "Improvisation - Harmonielehre" wurde erstellt von Saxoryx, 1.Mai.2017.

  1. Saxoryx

    Saxoryx Strebt nach Höherem

    Aber wenn ich das nicht tue, wie kann ich dann überhaupt improvisieren? Rhetorische Frage. Bedarf keiner Antwort. Zu Playalongs rumdaddeln, Pentatonik, mich irgendwie durchhangeln ... das habe ich alles schon gemacht. Aber dadurch habe ich absolut nichts gelernt, denn jeder Ton, den ich da spiele, ist immer zufällig. Mal klingt es gut, mal klingt es furchtbar, aber wenn ich nicht weiß, was ich tue, weiß ich auch nie, was dabei herauskommt. Das ist das Problem. Wenn ich weiß, ich kann immer die 3 oder die 7 spielen - das ist wirklich ein Ansatz. Damit kann ich arbeiten und weiterkommen.
     
  2. Saxoryx

    Saxoryx Strebt nach Höherem

    Da sagst Du was. Langsam denken, langsam spielen. Langsam, langsam, langsam. Das ist überhaupt das Zauberwort. Leider habe ich das beim Sax zu spät entdeckt. Da ich schon Noten lesen konnte, Blockflöte spielen konnte, habe ich gleich losgelegt. Und das war einfach falsch. Ich konnte die meisten Sachen sofort vom Blatt spielen, musste nicht überlegen. Also habe ich einfach eins nach dem anderen gespielt. Mit dem ersten Buch von Dirko Juchem war ich glaube ich nach einem Tag durch oder höchstens zwei. Und habe mich gefragt, was so kompliziert daran sein soll.

    Aber das ist eben nicht der richtige Weg. Denn es wurde an ganz anderen Stellen kompliziert. An Stellen, von denen ich vorher noch nie gehört hatte. Und dann sind natürlich auch diese ganzen "Raser" auf dem Saxophon äußerst schädlich, angefangen mit Charlie Parker. Aber es gibt auch noch eine Menge andere. Da hat man das Gefühl, Saxophonspielen ist ein Leistungssport. Schon allein, wenn Leute stolz verkünden, sie könnten irgendetwas bei einer Geschwindigkeit von 200 oder 300 oder noch mehr BPM spielen. Eigentlich sollten sie darauf nicht stolz sein, sondern sich dafür schämen. Denn wer meint, schnell spielen wäre irgendwie schön oder musikalisch hat in meinen Augen die ganze Musik nicht verstanden. Ein einziger richtig schöner Ton ist tausendmal mehr wert als seitenlange Improvisationen in Tempo 300. Wer das kann, ist nichts weiter als ein gut programmierter Computer. Musikalität und musikalischer Ausdruck bleiben dabei auf der Strecke.

    Aber weil einem ja immer gesagt wird, man soll sich solche Leute zum Vorbild nehmen, deren Musik hören, bekommt man eine völlig falsche Vorstellung davon, was Saxophonspielen eigentlich bedeutet. Dass es um schöne Töne geht, um musikalische Interpretation, um so langsam spielen wie möglich, nicht so schnell wie möglich. Man verbindet das höchstens mit Longtone-Übungen, nicht mit Stücken.

    Denken beim Spielen, auch seine Phantasie spielen lassen (was man bei Tempo 300 nicht kann, das sind ja alles nur vorprogrammierte Abläufe), sich mal ausruhen beim Spielen und einfach auf einem Ton stehenbleiben, Pausen, in denen man nicht spielt - das sind die wirklich interessanten Dinge, die einen auch weiterbringen. Ob man je in Tempo 200 spielen kann, ist so was von uninteressant. Wenn man das nie kann, was hat man dann verloren? Gar nichts.

    Und das ist eben eins der Probleme, wenn man anfängt: Man weiß nicht, was wichtig und was unwichtig ist. Es wird einem gesagt, lern die Akkorde, lern die Tonleitern, lern irgendwelche Licks, die irgendjemand anderer erfunden hat, nicht man selbst, und das durch alle Tonarten. Einfach bescheuert. Das verdirbt einem den Spaß an der ganzen Sache. Während einem die wirklich wichtigen Dinge wie Langsamkeit, Üben in kleinen Abschnitten, z.B. immer nur einen Takt, Leittöne usw. nie erklärt werden.

    Wie kann ein Lick, den irgendjemand mal gespielt hat, Ausdruck MEINER Persönlichkeit sein? Und das ist es ja: Eine Impro ist Ausdruck meiner Persönlichkeit. Deshalb klingt ja auch jede anders, je nachdem, wer sie spielt. Dieser Ausdruck bleibt aber völlig auf der Strecke, weil man immer nur zum Imitieren angehalten wird. Was ist so toll daran, Sachen nachzuspielen, die schon jemand vor mir gespielt hat? Wie kann das zu mir passen? Tut es nicht. Es engt nur meine Phantasie ein.
     
    Zuletzt bearbeitet: 6.Juni.2017
  3. JES

    JES Gehört zum Inventar

    Hi Saxoryx
    Im Grunde geht es mir wie Dir. Exakt so.
    Nur, ich habe mir abgewöhnt so Technikkünstlern zuzuhören. Charly Parker ist nicht meine Liga, wird es auch nie werden. Mein "King" ist Webster als Vertreter einer Aera, die mehr Wert auf Tonbildung legt (so empfinde ich es wenigstens). Er fängt i.d.R. mit der Melodie an, die erste Wiederholung ist dann leicht umspielt und das steigert sich dann im Verlauf des Stückes bis zur totalen Improvisation.Trotzdem höre ich die "Stütztöne" deutlich zwischen den Verzierungen heraus. Hör Dir ev. mal "Danny Boy" an. Mein Klassiker.
    Ich will jetzt nicht sagen, dass ich so etwas selbst kann, aber ich kann wenigstens gedanklich folgen, was er da macht und welche Wirkung es auf mich hat. Parker ist durch, da habe ich mit Zuhören und verstehen noch gar nicht angefangen.
    JEs
     
  4. Saxoryx

    Saxoryx Strebt nach Höherem

    Aber wie soll das ein Anfänger machen, der gar kein Harmoniegerüst sieht? Und wieso muss ich erst die harmonischen Strukturen sehen, bevor ich darüber improvisieren kann? Wieso nehme ich nicht einfach den Leitton 3 und fange an ... und der Rest ergibt sich dann?

    Das ist das, was ich meine: Wenn ich erst die Harmonien brauche, um improvisieren zu können, dann brauche ich ewig, bis ich meine erste Impro starten kann. Und sie wird sich vermutlich auch nicht gut anhören. Es muss bessere Wege geben als das.
     
  5. Gelöschtes Mitglied 11989

    Gelöschtes Mitglied 11989 Guest


    Liebe @annette2412 !

    Ich hab mal versucht mit meinen rudimentären Harmonielehre-Kenntnissen, Deine Hausaufgabe nachzuvollziehen - zumindest für die ersten vier Takte, um das System zu verstehen... ;)
    Die angegebenen Akkorde Dm7, G7, Cmaj7 und Fmaj7 stehen bei meinen Autumn Leaves - Noten auch so über den Takten.

    ....ich hoffe, ich hab jetzt nachfolgend keinen Fehler gemacht.
    Dm7 hat die Töne D, F, A, C -- da hast Du ein F (als Leitton?) notiert,
    G7 hat die Töne G, H, D, F -- da hast Du ein G notiert,
    Cmaj7 hat die Töne C, E, G, H -- da hast Du wieder ein G notiert.
    Fmaj7 hat die Töne F, A, C, E -- da hast Du ein F notiert.

    Wie hast Du diese Leittöne (?) F, G, G, F "ausgesucht" ? Weil sie in den entsprechenden Akkorden vorkommen und nahe beieinander liegen?

    Hab ich das soweit richtig verstanden?

    :)last
     
  6. 47tmb

    47tmb Gehört zum Inventar


    Auch das ist wie Sprache....

    Erst mit denken und Überlegen, später "automatisch"
     
  7. annette2412

    annette2412 Strebt nach Höherem

    @last
    So hatte ich das verstanden....:rolleyes: habe gleich Unterricht - danach weiß ich mehr :cool:

    Liebe Grüße
     
  8. Gelöschtes Mitglied 5328

    Gelöschtes Mitglied 5328 Guest

    Ja, so kenne ich das auch, wie @last es geschrieben hat.

    Mir ist aber schleierhaft wie @Saxoryx nur mit diesen Tönen improvisieren will? An den Skalen und Akkorden kommt man dennoch nicht vorbei.

    CzG

    Dreas
     
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  9. JES

    JES Gehört zum Inventar

    Ich denke mal, wir Anfänger haben da 2 grundsätzliche Probleme:
    1. Das Notenmaterial, welches ich abschnittsweise verwenden kann.
    2. Der Ablauf des Stückes hinsichtlich seiner Akkorde.
    Sorry, ich gebe es mal so laienhaft wieder, wie ich es verstehe:
    Zu 1: das Notenmaterial ergibt sich aus der Tonart des Stückes sowie lokal aus dem gerade anliegenden Akkords. Welchen Hauptton ich wähle bestimmt, welche Wirkung ich erzielen möchte. So laufen einige Töne einfach durch, andere erzeugen Spannungen, wieder andere erlauben schön klingende Übergänge zum nächsten Abschnitt des Stückes.
    Zu 2: Die Folge von Akkorden in einem Stück folgt gewissen Regeln. Wenn ich diese Regeln kenne, dann kann ich Akkordabläufe vorherbestimmen. Wenn ich dies kann, dann greift 1., nämlich ich weiß, welches Notenmaterial ich verwenden kann bzw welche Noten welche Effekte erzeugen.

    Wenn ich das jetzt richtig sehe, dann haben wir ein Beispiel, in dem die Akkorde gegeben sind. D.h. ich kann die Töne, aus denen die Akkorde zusammengestellt sind, bestimmen und kenne somit auch das Notenmaterial, welches zumindest schon mal keine "schrägen" Töne beinhalten. Dieses Notenmaterial, also das Basismaterial, kann ich jetzt mit anderen Tönen ergänzen, sofern sie aus der Tonleiter der Tonart des Stückes entstammen. Hier steige ich z.B. schon aus, da auf dem Lead-Sheet zwar die Akkorde stehen, aber keine Vorzeichen. Aber nehmen wir das als gegeben hin in Erwartung einer Erklärung, wie Laie das sehen kann.

    Mit der Tonart und der Akkordfolge kann ich quasi zum einen Töne finden, die über einen Akkordwechsel passen, zum anderen kann ich quasi vorauslesen, was im Stück weiter passieren wird. Wenn ich das aber weiß, dann kann ich wieder Töne bestimmen, die jetzt passen, aber eben auch 3 Noten weiter im Stück immer noch passen.
    Ist das in etwa, was ihr hier vermitteln wolltet?
    JEs
     
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  10. Roland

    Roland Strebt nach Höherem

    Das ist hart. Ist eigentlich eine grundlegende Übung ...

    Hm, ich dachte immer, die Dinger strickt man sich aus Terzen und Septimen und hätte deswegen erwartet:
    F (Terz von Dm7), F (Septime von G7), E (Terz von Cmaj7), E (Septime von Fmaj7)
    oder
    C (Septime von D7), H (Terz von G7), H (Septime von Cmaj7), A (Terz von Fmaj7)

    Schön zu sehen, wenn man zwei Leute hat, einer spielt die eine, einer spielt die andere Variante:
    Der eine wechselt, der andere nicht. *) So wie Ying und Yang. Und beim nächsten Wechsel sind die Rollen vertauscht.
    Der eine spielt TSTS, der andere STST.

    Grüße
    Roland

    *)
    Wieviel Zen-meister braucht man, um eine defekte Glübirne zu wechseln? Zwei. Der eine wechselt, der andere nicht.
     
  11. Gelöschtes Mitglied 11989

    Gelöschtes Mitglied 11989 Guest

    Kann ja sein - ich schrob doch, dass ich es nicht weiß.
    Hast Du #238 gelesen?
    Ich hab nur versucht @annette2412 s Hausaufgabe nachzuvollziehen.

    :)last
     
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  12. Roland

    Roland Strebt nach Höherem

    Nein. :) Ich habe nur erst einmal isoliert die vier angegebenen Akkorde betrachtet ...

    Grüße
    Roland
     
  13. bluefrog

    bluefrog Strebt nach Höherem

    "Ein Leitton (lat. subsemitonium; frz. note sensible; engl. leading note), seltener auch Strebeton, ist in der Dur-Moll-Tonalität ein Ton, der die Erwartung einer Weiterführung (Auflösung) in einen um einen Halbton höher oder tiefer liegenden Zielton weckt. [...]
    Prototyp eines Leittons ist der siebte Ton einer Durtonleiter (z.B. das h in C-Dur), der als Leitton zur achten Stufe (Tonika) führt." (https://de.wikipedia.org/wiki/Leitton)

    Dagegen:

    "Guide tones are typically considered to be the 3rd and 7th scale degree of a chord because this is what determines whether a chord is major, minor, or dominant. Guide tones get to the center or essence of a chord progression and how it sounds moving from one chord to the next.

    There are also guide tone lines which are step-wise lines (whole steps or half steps) that travel through a chord progression and often consist of the 3rds and 7ths, but can sometimes also be 5ths, 6ths, and 9ths. Many songs have lots of possible guide tone lines and often the melody or an improvisation will focus around these moving lines. Here's a possible ascending guide tone line for Autumn Leaves: " (http://www.thejazzresource.com/guide_tones.html)

    [​IMG]
     
  14. annette2412

    annette2412 Strebt nach Höherem

    Ja,ja.....Guidetones sind nur die 3 und die 7....das weiß ich jetzt auch! Ich habe meine Hausaufgabe unter falschem Namen gemacht.
    Bei mir ging es darum alle Akkord Töne zu verwenden ! Hab was falsch aufgeschnappt!

    Liebe Grüße
    Annette
     
  15. Gelöschtes Mitglied 11989

    Gelöschtes Mitglied 11989 Guest

    Ich meine jedenfalls Dich richtig verstanden zu haben...

    :)last
     
    Zuletzt von einem Moderator bearbeitet: 6.Juni.2017
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  16. Saxoryx

    Saxoryx Strebt nach Höherem

    Ja, genau. Das ist es. Wenn das Keyboard den Akkord spielt, und ich spiele die 3 oder die 7 dazu und der Gitarrist macht ein bisschen Lärm auf der Gitarre, der einigermaßen passt, hört sich das an, als wären wir eine Superband. :D

    Witzigerweise kann man dann aber auch freier weiterspielen. Eben weil man weiß, in jedem Takt spielt man die 3 oder die 7 als ersten Ton. Das gibt ungeheuer viel Sicherheit. Dann umspielt man die Leittöne oder spielt auch mal einen Akkord oder eine Tonleiter, ohne rauszukommen. Und wenn man das nicht will oder einem gerade nichts einfällt, spielt man eben nur die 3 oder die 7, und es klingt auch gut.

    Weniger ist mehr, das gilt hier ganz besonders. So wenige Töne wie möglich so langsam wie möglich, aber immer die richtigen Töne.
     
    Zuletzt bearbeitet: 6.Juni.2017
  17. Roland

    Roland Strebt nach Höherem

    @bluefrog

    Ah, verstanden, andere sind auch erlaubt. ist aber teilweise was für Fortgeschrittene, der Anfänger in dem Metier kommt im angegeben Beispiel nicht auf g# als #9 von F7 oder es als b13 con G7. Da sollte erst enmal KISS regieren, dann kann man alterieren. :)

    Grüße
    Roland
     
  18. Gelöschtes Mitglied 5328

    Gelöschtes Mitglied 5328 Guest

    Du spielst dann jeweils nur diese zwei Töne je Takt?

    CzG

    Dreas
     
  19. Roland

    Roland Strebt nach Höherem

    Bei 'So what' dann 24 bzw. 8 Takte am Stück, bei 'Jean Pierre' dann ad nauseam. :) Bei 'Giant Steps' wirds am Anfang auch mit guide tone lines hektisch.

    Grüße
    Roland
     
  20. Saxoryx

    Saxoryx Strebt nach Höherem

    Definitiv. Das ist so wie ein "Sentence Switchboard" in der Schule. Da gab es verschiedene Sätze, die man dann sinnvoll zusammensetzen sollte. Die Sätze standen schon da, aber was man daraus machen konnte, war verschieden. Man wusste genau, ein Teil war immer richtig. So wie die 3 oder die 7 immer richtig sind. Ich finde das klasse! :D
     
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