Introvertierte Jazzer

Dieses Thema im Forum "Eigene (musikrelevante) Themen" wurde erstellt von saxokuller, 8.Dezember.2013.

  1. Gast

    Gast Guest

    Mir ist ein zurückgenommener, behutsamer und aufmerksamer introvertierter Kollege 100x lieber als die extrovertierte Rampensau, die der Band immer den Eindruck vermittelt, sie hätte ihn folgsam zu begleiten.

    Jeder kennt den Gitarristen, der ständig am Lautstärkeregler dreht (mm-weise immer nach rechts) und die Bühne vor sich mit Tretminen gepflastert hat. Jeder Big Band-Kollege kennt den Möchtegernsinatra, dem die 17 Leute hinter ihm gefälligst den roten Teppich auszurollen haben, wobei er wie Phönix aus der Asche ohne jedes Training den Weltstar perfekt imitieren kann, während die Kollegen auch nach vielen Jahren des Übens nur im Hintergrund verschwinden. Diese Auftritte werden vom Publikum natürlich am meisten honoriert.

    Herman
     
  2. Rick

    Rick Experte

    Als Kind habe ich mich eher als ängstlich und schüchtern in Erinnerung. Ich hatte zwar einen (kleinen) Freundeskreis, aber darüber hinaus war ich relativ kontaktscheu, meine ich.
    Mit 13 habe ich dann mit meinen engsten Freunden eine Jazzband gegründet (Jazz und nicht etwa Rock, was 1977 extrem "unnormal" war - das sagt schon viel aus!).

    Es folgten erste Auftritte auf Schulfesten usw. - anfangs traute ich mich kaum, ins Publikum zu blicken...

    Doch durch die Musik bekam ich Anerkennung, dadurch wiederum mehr Selbstbewusstsein, was mich wiederum allmählich mutiger machte.
    Ich wurde von anderen Musikern in weitere Bands eingeladen, lernte meine frühere Kontaktscheu zu überwinden - durch das gemeinsame Musizieren.
    Ich empfand mich zunehmend als "cool", immer weniger schüchtern. :)

    Dann folgten die nächsten Mutproben:
    Straßenmusik im In- und Ausland, "Sprung ins kalte Wasser" durch Einstiege in Formationen mir privat völlig unbekannter Leute, Auftritte auf Festivals, live im Fernsehen, Studioarbeit mit ständig neuen Produzenten, immer weitere Herausforderungen... :roll:

    Irgendwie habe ich das meiste ganz gut bewältigt, habe quasi im Vorübergehen viele Ängste und Hemmungen überwunden, auch das anfängliche Lampenfieber.

    Deshalb würde ich aufgrund meiner eigenen Lebensgeschichte behaupten, dass Musik, besonders der auf Spontanität und Kommunikation beruhende Jazz, als Therapie gegen übermäßige Schüchternheit, Hemmungen sowie Introvertiertheit wirken kann.

    Als Charakterzug besitze ich vielleicht heute immer noch eine gewisse introvertierte Tendenz, aber sie prägt und behindert mich nicht mehr so wie als Kind.

    Und immer gilt der schöne Satz:
    Es gibt nichts Gutes,
    außer man tut es. ;-)


    Schöne Grüße,
    Rick
     
  3. Gelöschtes Mitglied 1142

    Gelöschtes Mitglied 1142 Guest

    Hallo Rick,
    ich denke, "ängstlich und schüchtern" und "introvertiert" kann man nicht gleichsetzen. Ich habe dazu einen interssanten Artikel im Netz gefunden: 10 Vorurteile...

    Ich kenne einige introvertierte Menschen. Die verhalten sich genau wie in dem verlinkten Artikel. Schweigen, wenn sie zu einem Thema nichts zu sagen haben, legen aber voll Elan los, wenn ein Thema sie interessiert...

    Gruß aus dem Schwarzwald
    Bernd
     
  4. Rick

    Rick Experte

    Hallo Bernd!

    Richtig.
    Ich würde auch sagen, dass ich immer noch auf eine gewisse Weise introvertiert bin, aber eben nicht mehr schüchtern und ängstlich wie vor 40 Jahren.

    Beim Threaderöffner meinte ich aber eine Tendenz zu sehen, Introvertiertheit und Schüchternheit miteinander zu verbinden, deshalb mein autobiografischer Sermon. ;-)


    Ja, genau, damit kann ich mich gut identifizieren, in diese Richtung hatte ich auch meinen Satz gemeint:

    "Als Charakterzug besitze ich vielleicht heute immer noch eine gewisse introvertierte Tendenz, aber sie prägt und behindert mich nicht mehr so wie als Kind."

    Es gibt sicherlich schüchterne Introvertierte, aber beides muss nicht zwangsläufig zusammen gehören, gute Klarstellung/Ergänzung!


    Dann will ich mal meinen Hauptaussage etwas umformulieren:

    "Deshalb würde ich aufgrund meiner eigenen Lebensgeschichte behaupten, dass Musik, besonders der auf Spontanität und Kommunikation beruhende Jazz, als Therapie gegen übermäßige Schüchternheit, Hemmungen bei Introvertiertheit wirken kann."


    Gruß in den Schwarzwald,
    Rick
     
  5. Gast

    Gast Guest

    Die 10 Vorurteile über Introvertierte fand ich höchst interessant und ich erkenne mich in vielen Beschreibungen wieder. Mehr will ich aber über mich dazu öffentlich nicht äußern. :)


    Man kann beiden Wesensarten (Extrovertierten und Introvertierten) sicher sowohl positive als auch negative Eigenschaften anheften. Ich bin davon nicht frei... manche Eigenschaften mancher Extrovertierten gehen mir gehörig auf den Senkel!

    Aber Musik machen, Jazz spielen - da schließe ich mich etlichen anderen hier an - können sicher beide. Nur, für manche auftretende Musiker ist es sicher vorteilhaft, wenn sie eher extrovertiert sind. Und Rampensäue werden natürlich eher wahrgenommen (und vom Publikum positiver beurteilt?), als filigrane introvertierte Musiker! (?).


    Herzliche Grüße,

    Joe

     
  6. Rick

    Rick Experte

    Hallo Joe!

    Keine Frage.
    Aber für Introvertierte mit Schüchternheit oder anderen Hemmungen kann das Jazzen eben auch Therapie sein.

    Kommt auf den Zusammenhang an - bei dezenter Hintergrundmusik hatte ich schon einige Probleme mit solchen Kollegen, die immer zeigen müssen, was sie alles drauf haben. :-D

    Im Festzelt, beim Volksfest, im Fußballstadion - bestimmt.

    Aber gerade "Rampensäue", die sich ständig in den Vordergrund drängen müssen, kommen nicht unbedingt bei allen Kollegen gut an, das ist dann ein soziales Problem hinter den Kulissen, wie ja schon erwähnt wurde. :roll:

    Andererseits kann man auch als schüchterner Introvertierter lernen, mit dem Publikum zu kommunizieren, zu interagieren und sich selbst im rechten Licht zu präsentieren - ich MUSSTE beispielsweise in meinen ersten Bands die Ansagen machen, weil sich sonst gar keiner getraut hat. Ich fand die Ansprache der Zuhörer wichtig, also habe ich mich eben selbst darum gekümmert.
    Dafür habe ich meinen eigenen Stil entwickelt, bin sicherlich heute nicht der allergrößte Entertainer, aber ich kann mit solchen Situationen umgehen und muss dabei nicht den Kopf oder das Gesicht verlieren.

    ABER ich stehe dann auch gerne wieder außerhalb des Scheinwerferkegels, ich BRAUCHE nicht das Rampenlicht, das ist vielleicht der wichtigste Unterschied zu manchen Extrovertierten.


    Herzliche Grüße,
    Rick
     
  7. Gelöschtes Mitglied 1142

    Gelöschtes Mitglied 1142 Guest

    Bemerkenswert finde ich auch diesen Satz aus dem Artikel:

    "Eine Welt ohne Introvertierte wäre eine Welt beinahe ohne Wissenschaftler, Musiker, Künstler, Dichter, Filmemacher, Ärzte, Mathematiker, Autoren oder Philosophen."

    Ich schließe daraus, dass der Autor die Mehrzahl der Musiker als introvertiert einschätzt.

    Gruß aus dem Schwarzwald
    Bernd

     
  8. Gelöschtes Mitglied 1142

    Gelöschtes Mitglied 1142 Guest

    Das kenne ich gut. In meiner ersten Band (Ein Trio, Keyboard, Schlagzeug, Gitarre) war es fast zwangsläufig, dass ich als 16-Jähriger (der Gitarrist und Sänger), der als Einziger auf der Bühne stand, die Ansagen machte.

    Den Ansagen folgten mit der Zeit kleine Anmerkungen, den Anmerkungen ein paar Späße bis - nach Jahren! - eine echte Interaktion mit dem Publikum stattfinden konnte. Es war ein Prozess, der dazu geführt hat, dass ich irgendwann in der Lage war, Vorträge vor größeren Menschenmengen zu halten.

    Ich bin für diese Erfahrungen und den "Lernprozess" sehr dankbar.

    Gruß aus dem Schwarzwald
    Bernd
     
  9. Gast

    Gast Guest


    also verstehe ich dich richtig = quasi ein gelernter schwätzer? :duck:


    friede sei auf dieser erde.
     
  10. Gelöschtes Mitglied 1142

    Gelöschtes Mitglied 1142 Guest

    [​IMG] nimo :)
     
  11. Gast

    Gast Guest

    hast ne pm :)
     
  12. Bereckis

    Bereckis Gehört zum Inventar

    Ob Extrovertierte oder Introvertierte...
    irgendwie brauchst du beide bzw. beides in der Musik.

    Gruß
     
  13. Rick

    Rick Experte

    Hallo Bernd,

    das ist meiner Ansicht nach eine wichtige Erkenntnis:

    Jeder Mensch ist prinzipiell lernfähig und muss nicht lebenslang "Opfer" seines Charakters, seiner Ängste oder sonstiger Hemmnisse bleiben, die in seiner Persönlichkeit angelegt sind.

    "So bin ich nun mal geboren, da kann man nichts machen" ist in meinen Augen oft nur eine faule Ausrede.
    So etwas mag als Begründung für bestimmtes Verhalten dienen, darf aber nicht als ewige Entschuldigung missbraucht werden, finde ich.

    Manche Zeitgenossen ruhen sich allzu gern auf ihrem "Schicksal" aus, aber ich glaube an die Entscheidungsfreiheit - und eben die Lernfähigkeit! :)


    Gruß in den Schwarzwald
    Rick
     
  14. Bereckis

    Bereckis Gehört zum Inventar

    Hallo Rick,

    ich stimme dir zu.

    Hinzu kommt aus meiner Sicht, dass wir persönliche Parallelwelten haben.

    Meine frühere berufliche Rolle als Projektleiter und meine Musikerrolle auf der Bühne sind sicherlich extrovertierter als meine Rolle in der Familie.

    Ich würde extrovertiert aber nicht so negativ bewerten wollen, wie es hier im Forum rüberkommt.

    Gruß

     
  15. Rick

    Rick Experte

    Hallo Michael!

    Ich bin ja der Meinung, dass jeder Mensch sowohl intro- als auch extrovertierte Persönlichkeitsmerkmale in sich trägt.

    Wie ein guter Schauspieler ja für eine Rolle in sich nach Anteilen des zu spielenden Charakters sucht und sie dann nach außen bringt, denn wohl in jedem steckt ein Wohltäter und ein Verbrecher, manchmal sind die beiden nur wenig voneinander entfernt, bei manchen treten sie sogar gleichzeitig in Erscheinung...

    Vielleicht ist das ein Manko der bisherigen Diskussion - es beteiligen sich daran zu viele Introvertierte! :-D

    Im Ernst, auch wenn einem gelegentlich überlaute, geltungssüchtige und aufdringliche Zeitgenossen das Leben schwer machen, kein Persönlichkeitsmerkmal ist nur positiv oder nur negativ zu bewerten, da gebe ich Dir Recht.

    Und wenn jeder alles in sich trägt, dann sollte eben jeder auf eine gute Balance seiner unterschiedlichen Eigenschaften achten. ;-)


    Schönen Gruß,
    Rick
     
  16. Bereckis

    Bereckis Gehört zum Inventar

    Wunderbar formuliert! :applaus:
     
  17. Florentin

    Florentin Strebt nach Höherem

    Intro- / Extraversion ist ja nur eine von mehreren Dimensionen in den gängigen Persönlichkeitstypologien.

    Wahrscheinlich kennt Ihr den MBTI, schön auch hier dargestellt.

    Nicht unumstritten, aber schon mal interessant, um sich vor Augen zu halten, dass andere ganz anders ticken und motiviert werden können.

    Selbst in dieser einfachen Klassifikation in 16 Schubladen findet man den "typischen Musiker" sowohl bei den E als auch bei den I.

    Auf keinen Fall sollte man Introversion als "Handicap" ansehen!
     
  18. Gast

    Gast Guest

    Hallo Saxokuller,

    Deine "Selbstdiagnose" ist falsch. Du bist ein extrovertierter Mensch.

    Beweis: http://de.wikipedia.org/wiki/Introversion_und_Extraversion

    Natürlich kann man in unserer heutigen Zeit - die Technik macht's möglich - allein Jazzer werden. Nur Jazz-Musiker haben häufig das Problem, dass sie nicht von allen verstanden werden, soweit es ihren Musikstil angeht.

    Bestes Beispiel: Branford Marsalis

    Quelle http://www.laut.de/Branford-Marsalis

    Zitat
    Im gleichen Atemzug gibt er zu "Braggtown" folgenden Kommentar, der sein Jazz-Ich offenbart: "Wir spielen sehr anspruchsvolle Musik. Man muss ihr zuhören und sich auf sie konzentrieren. Wer zu uns kommt, um sich zu unterhalten oder berieseln zu lassen, liegt falsch. Unsere Musik liebt man oder man hasst sie. Dazwischen gibt es nichts."
    Zitat Ende

    JoBaDo
     
  19. saxokuller

    saxokuller Ist fast schon zuhause hier

    Zum Teil schon war, aber in diesem Falle las ich , dass die Informationsverarbeitung im Gehirn ganz anders funktioniert.

    Also doch vorbestimmt.

    Was man sicher Ändern kann ist damit positiv umzugehen.

    Wie man ja an Deiner Geschichte sieht (Vielen Dank auch dafür!)

    Gruß

     
  20. saxokuller

    saxokuller Ist fast schon zuhause hier


    Den Beweis hab ich nicht gefunden?

    Gruß
    Saxokuller.
     
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