Jazz riecht nicht mehr gut

Dieses Thema im Forum "Eigene (musikrelevante) Themen" wurde erstellt von ppue, 1.Dezember.2020.

  1. Kristina Bossanova

    Kristina Bossanova Ist fast schon zuhause hier

    Ist mir total egal ob Jazz tot ist. Ob man das jetzt Jazz nennt oder einfach Musik ist mir auch egal. Und es ist gut, dass es revolutionäre Kräfte in der Musik gibt aber es muss auch nicht immer alles revolutionär sein um eine Daseinsberechtigung zu haben.

    Musik ist für mich ein Ausdruck von Menschlichkeit und wir werden nicht eines Tages aufhören Menschen zu sein.

    Ohne diese menschliche Komponente schafft man es gar nicht dauerhaft nach oben und bis auf einige Ausreißer finde ich dass die breite Masse schon einen sehr guten Musikgeschmack hat. Nur weil man es nicht kapiert weil es keine Nostalgie weckt heißt das nicht das die Musik nichts zu bieten hat.

    Billie Eilish hat meiner Meinung ihre Grammys verdient.
     
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  2. Kohlertfan

    Kohlertfan Strebt nach Höherem

    Die aktuelle Musik unserer Zeit ist "Fake Jazz"! ;)
     
  3. stefalt

    stefalt Strebt nach Höherem


    Wie da gab es schon vor 50 Jahren veganes Eis, wow!

    :duck:
     
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  4. giuseppe

    giuseppe Strebt nach Höherem

    Menuette wurden tatsächlich mal betanzt, genau wie Swingnummern (gibts lustigerweise auch wieder zunehmend, habe schon öfter Musik dafür gemacht).
    Barock ist vielleicht nicht mehr so lebendig wie um 1700, aber totgekriegt hat ihn auch keiner. Jazz ist keine Massenmusik mehr, historisch gesehen war es das aber die meiste Zeit eh nicht. Was dir fehlt @ppue ist vielleicht die Attitüde der Musiker im Allgemeinen sowie Attitüde als Triebkraft der musikalischen Kreativität. Die ist sicherlich in Zusammenhang mit einer gesellschaftlichen Anerkennung des Genres und Loslösung von sozialen Minderheiten geschwunden. Attitüde zeigen passte außerdem einfach nicht mehr in den Zeitgeist der Millenials und ihrer satten Boomer-Eltern - zumindest auf dem Papier hatten das Gute ja eh gewonnen, Diskriminierung jeglicher Art war per gesellschaftlichem Konsens abgeschafft. Das hat auch dem Rock schwer zugesetzt. Diesbezüglich kann ich wohl beruhigen. Das Zeitgeschehen wird wieder viel Raum bieten für Menschen, die Attitüde zeigen wollen.

    Parallel zur schwindenden Attitüde hat eine Akademisierung stattgefunden. Die Akademisierung ist meines Erachtens hier wirklich am Ende. Wenn Jazz intellektuell noch komplexer werden will, stirbt der Nachwuchs aus. Zum Glück gibt es eine Pubertät und der Nachwuchs entscheidet eigentlich immer selber, was er will. Interessanterweise sind Attitüde und Akademisierung im Jazz nicht unbedingt Gegenpole. Ist gibt aus meiner Perspektive alle erdenklichen Kombinationen. Solange es jemand gibt, der die Musik spielt, ist tot einfach nicht ganz zutreffend. Es muss ja auch nicht immer Champions League sein, um nicht tot zu sein...
     
  5. Kristina Bossanova

    Kristina Bossanova Ist fast schon zuhause hier

    Ich bin ja auch Fake Jazz Musiker, das sage ich schon seit Jahren.
     
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  6. Roland

    Roland Strebt nach Höherem

    Oh ja, einfach mal "fake jazz" bei Youtube eingeben. :)

    <ab18>
    (Früher gab es Spielshows mit "fake orgasm" ... wie Zeiten sich ändern!)
    </ab18>

    Grüße
    Roland
     
  7. Wanze

    Wanze Strebt nach Höherem

    Ja, alle tot. Monty Python hat's mal wieder auf den Punkt gebracht.
    Decomposing composers:



    There's nothing much anyone can do...

    Grüße,

    Wanze
     
  8. Wanze

    Wanze Strebt nach Höherem

    Völlig unbestritten. Großartige Musik, in allen Locations, in den Strassen, ... wunderbar. Nur die von @ppue geforderten Punkte (die, so habe ich das verstanden) zeigen sollen, dass Jazz lebt, wirst Du dort nicht finden.

    Genau so wenig, wie die von @altblase

    Und dass die jungen Musiker ein bisschen abgerockt daher kommen macht sie noch lange nicht zu Punks...
    ... die würden wahrscheinlich wenig einnehmen, wenn sie in New Orleans auf der Strasse Rap oder Punk spielen würden.


    Ok, verstehe. @ppue sitzt jetzt mit Popcorn auf der Couch und lässt sich unterhalten. Oder war das Auftrag von @matThiaS , die Zugriffszahlen zu erhöhen? :pint:

    Grüße,

    Wanze
     
  9. ppue

    ppue Mod Experte

    Ich glaube nicht, dass sich sich den Stil aus monetären Erwägungen zu eigen gemacht haben. Es ist eher das miteinander jammen, das der Stil zulässt. Mal kommt einer dazu, mal geht eine, das ist nicht entscheidend.

    "Attitüde" hat so einen Beigeschmack von "Pose". Die meine ich natürlich nicht, weshalb ich den Begriff "Haltung" gebrauchte.

    Natürlich gibt es jegliche erdenkbare Kombination aus beidem. Und früher gab es das auch, auch wenn oft angenommen wird, die alten Jazzer hätten keine Ahnung von der Theorie oder hätten noch nicht einmal Noten lesen gekonnt. Das ist natürlich Quatsch.

    Dennoch hat die Akademisierung bei mir dazu beigetragen, dass ich die Haltung hinter der Musik vermisse.
    Noch mehr dazu beigtragen hat allerdings die Globalisierung. Die "Klassiker" nennen das heutzutage "Stilpluralismus", der an die Stelle der Musikepochen getreten ist. Die konnte man früher fein unterteilen, ähnlich gut wie die wichtigsten Stile des Jazz.
    Die Stile verschwinden ab den 70ern mit den letzten Genres Electric Jazz, Rockjazz, Fusion Jazz und was weiß ich. Jazz, Klassik und auch Pop haben sich dadurch, dass Musik nicht mehr an Orte gebunden ist (wie z.B. der Westcoastjazz) mit allen Musiken der Welt vermischt und sie werden das noch viel mehr tun. Ein Ort ist relativ wichtig für eine "Bewegung" und die ist wichtig für eine Haltung.
     
  10. giuseppe

    giuseppe Strebt nach Höherem

    Die Attidüde ist ein schwieriges und mehrdeutiges Wort, seh ich auch so. In dem Sinn, den ich meine, beinhaltet sie aber mehr als Haltung. Haltung ist für mich eher auf der braven Seite. Whatever, ich habe das Gefühl wir reden vom gleichen, weitere Definitionsversuche wohl entbehrlich. Es erfordert Zugehörigkeit, die kann sehr räumlich definiert sein, z.B. über eine Gruppe, die ihren Platz, ihre Stadt hat. Vielleicht kann die kommende Generation durch ihr globalisiertes Aufwachsen auch ortsunabhängig Haltung haben, wie werden sehen. Ich bin jedenfalls zuversichtlich, dass die Jugend was drauf hat. Unser Altmännerjazz mag vor sich hinmüffeln, mir macht er Spaß, und den jungen fällt schon was anderes ein. Auch die "Rising Stars" hier im Forum haben das Zeug dazu, Musik mit Haltung zu machen, wie mir scheint.
    Bei mir ist es zudem so, dass ich z.B. Monk anhören kann und es erfasst mich brandneu und aktuell, ich kriege kein Gefühl von Vergangenheit mitgeliefert. Monk ist hier und jetzt, wenn er läuft. Dank der Aufnahmetechnik ist das für mich sehr lebendig. Mag aber auch ein Zeichen des fortschreitenden Alters sein. :) Vergänglichkeit ist Teil des Spiels...
     
  11. ppue

    ppue Mod Experte

    Ich lehne mich nicht mit Cashew-Nüssen im Sofa zurück, sondern frage mich, ob es an mir liegt, dass mich keine Musiker meines Jahrgangs oder jüngere wirklich ansprechen, oder ob das womöglich ein allgemeines Phänomen ist:
    Dass wir nur aufschauen auf die, die in der Jugend schon die Großen waren. Das waren in der Pupertät ja schon die 18jährigen. Die jüngsten meiner Idole waren vielleicht nur ein paar Jahre älter als ich, aber das scheint zu reichen. Kaum eines war jünger. Das gibt mir zu denken, ist aber vielleicht auch im evolutionären Gesamtplan so vorgesehen.

    Nach der Jugend kommt der Beruf und als Musiker, plus die eine (oder anderen Familien) bist du dann völlig ausgelastet. Da ist absolut keine Zeit mehr, überhaupt Musik zu hören, wenig Zeit CDs zu kaufen oder überhaupt danach zu suchen. So frage ich mich: Habe ich die Weiterbildung verpennt in den Jahren meines eigenen Erfolges? Gar nicht mehr hingehört, was sonst noch so geht?

    Das kann sein und ich denke, ein in den 80ern Geborener hat selbstverständlich ein vollkommen anderes Bild von Jazz und der kulturellen Entwicklung überhaupt. Meine Rolle ist dann dabei der Typ, der sagt: "Früher waren sie alle besser"?

    Igitt, schrecklich, mag ich gar nicht, diese Rolle. Und: Diese These hat noch nie gestimmt.

    Aber was bleibt mir: Sie waren besser! Und nicht nur im Jazz, sondern genau so in der Pop- und Rockmusik und selbst bei den Musikanten der "neuen Musik" waren es die Stockhausens oder Kagels, die mich animierten und erregten.
    Die 80er Jahre, die gingen noch, Punk, no future, Funk und Rap, die 90er dann schrecklich. Ich habe nur noch Backgroundchöre und weibliche Fistelstimmen im Kopf. Habe mich nicht weiter gebildet, das gebe ich zu. Hatte keine Zeit, vielleicht noch ab und zu Autoradioauf der Fahrt zum nächsten Auftrittsort.

    Die letzten Jahre, ich hatte wieder mehr Zeit, drangen Stimmen zu mir durch: Sting, Amy Winehouse, allen voran Norah Jones, die (bevor sie den Grammy bekam) mich regelrecht erfüllt hat. Dazu frische Stimmen, vor allem Stimmen, die seit der Jahrtausendwende zum Glück wieder zur Einfachheit und Natürlichkeit zurück gefunden haben. Die Jazzsaxophonisten im Speziellen haben das leider allesamt leider nicht geschafft und die meisten Jazzbands auch nicht. Spielt der Neid eine Rolle?

    Wie gesagt, wahrscheinlich mein Fehler und deshalb bedanke ich mich für ein paar Namen mit herausragenden musikalischen Fähigkeiten, die ich in diesem Thread schon habe lesen dürfen. Nicht alle hatte ich auf dem Schirm.

    Hier eine kleine Auswahl an Charakteren aus meiner Welt, willkürlich heraus gepickt, aber alle mir sehr nahe und zur Hälfte schon tot. Der mit Sicherheit sentimental angehauchte Rückblick auf mehrere Generationen von Jazzmusikern, die alle eine ganz eigene Sprache sprachen.

    (Aus Gründen des Urheberschutzes habe ich die vielen schönen Bilder hier entfernt)
     
    Zuletzt bearbeitet: 4.Dezember.2020
  12. Gelöschtes Mitglied12629

    Gelöschtes Mitglied12629 Guest

    Die These hat nicht gestimmt, aber es waren doch alle besser?! Das ist halt eine typische Generationserfahrung.

    Ich kann die liebevolle fotographische Ansammlung von kauzigen alten Männern absolut verstehen. Die haben mich auch alle begleitet. Meine Großmutter hat mir zum 16. Geburtstag ein Ticket fürs Chet Baker Konzert (15 Mark damals) geschenkt, zwei Wochen später ist er in Amsterdam aus dem Fenster gefallen (sie ist 30 Jahre vor ihm geboren und hat ihn noch um 10 Jahre überlebt). Ich war auf den letzten Konzerten von Miles etc pp.
    Aber wtf, was fehlt Christian Scott aTunde Adjuah (aus dem geposteten Video) an Spirit, Kraft und Gesellschaftskritik? Chat ist eine lame duck, ein Dressman für die Gazetten der 60er Jahre demgegenüber (ich höre im Hintergrund gerade Ancestral Recall von Scott).

    Und was die 90er angeht: Es gab ja auch mal eine Zeit, in der die ganze Personality-Geschichte des alten Rock und Jazz (Authentizität etc.) als Fake und als entlarvt galt. Neoliberaler Individualisierungs-Hype, Inszenierung usw. - auch nicht ganz von der Hand zu weisen. Wenn man kaputte Musik für eine kaputte Gesellschaft machen will, dann funktioniert das irgendwie auch nicht wirklich überzeugend als individuelles Genie, gitarreschrammelnder Rockist bzw. Machine-Gun-Saxophonist. Dazu passen Industrial, Techno und amerikanische Chemie doch besser. Da ist das Subjekt aus der Musik verschwunden, genau wie aus der Gesellschaft. Meine Generationserfahrung. Da haben wir über Pink Floyd und Led Zeppelin aus den 70ern als verfehlen Ego-Hype gelacht: das kreative Subjekt hahaha, was für ein falsches spätbürgerliches Ideal!
     
  13. giuseppe

    giuseppe Strebt nach Höherem

    Denke auch, dass da ein (evolutionsbiologisch vermutlich sogar sinnvolles) Pattern mitspielt. Hab zwar keine Ahnung von Psychologie, würde es aber als reversen Ödipus-Komplex bezeichnen. Die Alten können die Jungen nicht anhimmeln, das will nicht so richtig funktionieren (außer in Österreich, hihi). Entweder die Alten haben es noch voll drauf und sind besser und wollen es wissen, dann bleiben sie im hartumkämpften Rennen, bis zum Ende. Oder sie sagen das ist nicht mehr meins, sortieren sich damit friedvoll aus der ersten Reihe aus und können unter ihresgleichen mitlaufen, ohne in Konkurrenz um die Fortpflanzung getötet werden zu müssen, wie damals der Ödipus.
     
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  14. Gelöschtes Mitglied 11989

    Gelöschtes Mitglied 11989 Guest

  15. bthebob

    bthebob Strebt nach Höherem

    Der Buddhismus lehrt:
    Niemals werten, .... achtsam annehmen, was IST.
    Soll man aber nur anwenden. wenn man zufrieden und glücklich werden will.
    Doch wer will das schon ?:)
    VG
     
  16. giuseppe

    giuseppe Strebt nach Höherem

    Das ist schon gut. Die frierenden Füße und den knurrenden Magen achtsam anzunehmen ist sicherlich der Erleuchtung und Zufriedenheit zuträglich. Die Spannung in der vollen Plauze, den Geschmack von Burgunder und den Druck des vollen Geldbeutels am Hosenboden achtsam anzunehmen ist aber auch eine Buddismusvariante, die sich großer Beliebtheit erfreut. :)
     
  17. Roland

    Roland Strebt nach Höherem

    Komisch. Wenn ich eine Kunst beherrschen würde, dann wäre mir doch gerade daran gelgen, alles weiter zu geben und zu hoffen, dass die Generation nach mir besser ist. Wenn die Generationen nach mir immer schlechter werden, stirbt die Kunst aus. So, mal ganz grob. Die Generationen nach uns, die sind die Zukunft!

    Nicht, dass ich eine Kunst behersschen würde, aber ich gebe immer und gerne alles weiter und halte nichts zurück. Kann nur besser werden. :)

    Grüße
    Roland
     
  18. Mouette

    Mouette Ist fast schon zuhause hier

    So sehr ich die Grunsätze asiatischer Lehren schätze, aber ich weiß nicht, ob das zum Thema passt. Gäbe es mit dieser Einstellung an dieser Stelle noch Entwicklung, Auseinandersetzung mit sozialen, ethischen, religiösen Themen, wo die Musik viel bewirkt hat?
     
  19. giuseppe

    giuseppe Strebt nach Höherem

    Das ist meines Erachtens aber gar nicht die Frage, ob du es weiter gibst. Und die eigenen Schüler sind vielleicht noch mal was besonderes. Die Frage war für mich eher, ob es System hat, dass unsere (musikalischen) Idole in der Regel gleichalt bis älter als wir sind und dann häufig das Gefühl entsteht, die Nachfolgegeneration kriegt es nicht so hin wie die alten Hasen. Das kenne ich auch aus dem beruflichen Bereich und kann es gut nachvollziehen. Dieses Gefühl ist m.E. sehr natürlich, wenn es ab er komplett wahr wär, hätte sich die Menschheit eigentlich nicht weiterentwickeln dürfen. Deshalb ist Skepsis angebracht.
     
    Gelöschtes Mitglied 13399 und ppue gefällt das.
  20. bthebob

    bthebob Strebt nach Höherem

    @giuseppe
    In deinen Sätzen steckt zu viel Wertung ....
    So wird dat nüscht mit dem persönlichen "Glücklichsein"
    @Mouette
    "die Lehren schätzen" reicht nicht ....
    Du solltest versuchen, sie in dein eigenes Leben "einfließen" zu lassen. Praktizieren !
    Es geht um die "kleine", private Zufriedenheit.
    Auseinandersetztung mit den "großen" Themen dieser Welt .... ganz anderes "Paar Schuhe".
    VG
     
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