Kirchentonarten verstehen

Dieses Thema im Forum "Improvisation - Harmonielehre" wurde erstellt von Dingo, 14.Juli.2024.

  1. giuseppe

    giuseppe Strebt nach Höherem

    Blöde Autokorrektur: Teil des Gehörten.
     
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  2. ppue

    ppue Mod Experte

    Was sind denn frühe Modi-Zeiten? Modaljazz, gregorianischer Gesang?
     
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  3. Roland

    Roland Strebt nach Höherem

    Gute Frage. Unser Dur und moll (aka Ionisch und Dorisch) kamen ja erst spät zu der Kollektion an (genutzen) Kirchentonarten:
    "...
    Die rechts nebenstehende Übersicht über die Kirchentonarten enthält neben den ursprünglichen acht „alten“ Kirchentönen auch die von Glareanus 1547 eingeführten „neuen“ Kirchentöne Äolisch und Ionisch nebst ihren Hypovarianten.
    ..."
    https://de.wikipedia.org/wiki/Kirchentonart
    Damit wird dann auch klar, dass die Ableitung der Modi aus Dur eine post-hoc-Analyse/Beschreibung ist, denn das Dur zum ableiten hatte man ja so vorher nicht benutzt.


    Und dann noch die Frage, was in der Volksmusik damals benutzt wurde. Keine Ahnung.
    "...
    Die parallele frühe Entwicklung des Volkslieds, Volkstanzes und der Spielmannsmusik lässt sich aus den vorliegenden, viel späteren Quellen nur schwer erschließen.
    ..."
    https://de.wikipedia.org/wiki/Musik_des_Mittelalters#Volksmusik

    Wir sind nun mal durch die Musik geprägt, die uns umgibt. Dur ist - wie ich immer so gerne sage - ja nicht in der DNA codiert, wir sind damit sozialisiert.


    Ich hätte vor 40 jahren auch nicht gedacht, dass Leute in riesen Massen Nächte durch abzappeln und Spaß haben zu Musik in Moll und keiner ist traurig!
    Umts Umts Umts Umts ....


    Insofern ist 'Kirchentonarten verstehen' auch ein merkwürdiger Titel, ich muss es spüren, wie fühlt sich das an, was kann ich damit machen? Wie wirkt es auf mich, auf andere? Ich habe - sehr zum Leidwesen unseres Hundes und einer Nachbarin - halt auch Bartok gespielt im Klavierunterricht. Ich kam also schon 'relativ' früh in Berührung mit exotischen Sklaen und Konzepten. Gerade die Brschäftigung mit Musik, die Regeln bricht, die einem evtl. nur implizit bekannt sind, schärft die Sinne dafür, wie Musik aufgebaut ist.


    Gerade mal geschaut, man kann einfach
    phrygian mode backing track
    eingeben bei youtube und stößt auf

    Ist doch alles da, heutzutage!

    Grüße
    Roland
     
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  4. ppue

    ppue Mod Experte

    Kirchenmusik ist von Natur aus eher demütig. Die Demut vor dem Herren ist von daher nicht selbstherrlich.
    Die frühere klassische Musik ist Herrschermusik, weltlich, mächtig, groß.

    In der Dur-Tonleiter sind alle Intervalle rein oder groß. Die wichtigen quintverwandten Stufen I, IV und V sind alle in Dur.

    Die gleichen Stufen einer natürlichen Molltonleiter sind alle in Moll und wer mal einen Mollblues gehört hat, der weiß, dass das eine traurige Angelegenheit wird. Um die Stimmung etwas aufzuhellen (und um ein paar Leittöne zur Tonika zu bekommen) hat man die melodischen und harmonischen Molltonleitern erfunden, Leitern, die in den Kirchentonleitern nicht vorkamen.
    Auch bei denen dreht es sich um die große oder kleine Sexte und das Tongeschlecht der vierten und fünften Stufe. Von den Kirchentonleitern sind wir damit aber endgültig weg, wie auch bei dem Santana-Song. Man kann das Dorisch nennen, glänzt aber eher durch das Auslassen der Sechs auf der Tonika.

    Welche Leiter haben wir denn hier:

     
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  5. giuseppe

    giuseppe Strebt nach Höherem

    Haha.
    Ja, vielleicht beginnt das harmonische Denken mit mehr Stimmigkeit in Terzen und die Namen Dur und Moll und Kadenz wurden erst später extrahiert.
    Wenn im gregorianischen Forum dann jemand sagte, die Subdominante ist in Dur, dann sagte wer anders, dass man ihn doch mit der Theorie in Ruhe lassen solle, tötet jedes von innen äh oben kommende musizieren… :)
     
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  6. Sebastian

    Sebastian Ist fast schon zuhause hier

    F-Dur, würde ich sagen. Die #11 und #5 im zweiten Takt sind leiterfremde Töne, die ja nur 1x aufgrund der Zwischendominante hin zur Tonikaparallele im 3. Takt vorkommen. Die #11 in der Begleitung in Takt 6 würde ich ähnlich einordnen.
     
  7. bthebob

    bthebob Strebt nach Höherem

    @Alle
    Volle Zustimmung meinerseits !

    Würde -ich muss es spüren- noch ergänzen wollen mit -man sollte es hören- !

    Bin jemand, der nicht bewusst in diesen Kirchentonarten denkt / spielt.

    Habe deshalb ebend am Klavier die E - phrygisch TL
    und gleich danach die E - Dur TL gespielt.

    Hoch und runter und zurück.:)

    Da hört man eindeutig die charakterlichen Unterschiede der TL's,
    aber sowas von !

    Also mal wieder mein Ratschlag .... ran an's Klavier und mitgeheult.:D

    Und wg. der Frage: Lieder in Dur oder Moll ?

    Es gibt das Buch eines Kölner Musikwissenschaftlers,
    Titel freihändig zitiert:

    " Wie schreibe ich einen Hit"

    darin schreibt er, soweit ich erinnere:
    "Die meisten aller analysierten Hits sind in Moll"

    Mich hat's sehr überrascht.

    VG
     
  8. giuseppe

    giuseppe Strebt nach Höherem

    Heißt natürlich Mehrstimmigkeit. Muss das jetzt echt mal ausschalten…
     
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  9. Roland

    Roland Strebt nach Höherem

    https://de.wikipedia.org/wiki/Ars_antiqua
    vs
    https://de.wikipedia.org/wiki/Ars_nova_(Musik)

    Und eines meinr Lieblingszitate, welches ich immer wieder gerne hier kolportiere:
    "Oh, diese modernen! Das soll noch Musik sein?"
    (Zitat aus dem "Speculum musicae" des Jakobus von Lüttich, anno 1350)

    Und, ja, wir gehen heute mit den Modes natürlich ganz, ganz um als damals in der Gregorianik. Wenn wir 'dorisch' meinen, interessiert uns i.A. nicht Ambitus, Repercussa und Finalis, plagale Modi finden keine Erwähnung. So What!?

    Grüße
    Roland
     
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  10. giuseppe

    giuseppe Strebt nach Höherem

    Nettes Wortspiel! ;)
     
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  11. ppue

    ppue Mod Experte

    Die Geschichte der Kirchentonarten ist eine einigermaßen verkorkste, da die Namen, was nahe liegt, aus der griechischen Musikhistorie kommen, was aber darunter zu verstehen ist, erheblich von den früheren Systemen abweicht.

    upload_2024-7-18_13-43-46.png

    Die Okatvensysteme in welche Neuzeit auch immer zu übernehmen, hat noch nie richtig geklappt und ist meines Erachtens schon zweimal gescheitert. Wer gar nicht mehr durchblicken möchte, der lese sich mal den Wikiartikel durch.

    https://de.wikipedia.org/wiki/Kirchentonart

    Ich meine auch, zu Zeiten Charlie Parkers gab es noch gar keine Benennung der Skalen durch die Kirchentonarten. Leider finde ich keine vernünftige Quelle, die besagt, wer den Blödsinn eingeführt hat, ich meine aber, es waren die Jungs aus Berklee.
     
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  12. Roland

    Roland Strebt nach Höherem

    Das Buch "Lydian Chromatic Concept of Tonal Organization" ist von 1953, Chalie parker starb 1955. Also, knapp ...

    Grüße
    Roland
     
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  13. giuseppe

    giuseppe Strebt nach Höherem

    Vielleicht wäre es mal eine schöne Übung und Übersicht, hier per Diskussion die „typischen Kadenzen“ aufzuschreiben, die eine modale Leiter heutzutage impliziert oder implizieren kann.
    Etwa so:

    Ionisch: I / IV / V7 oder II- / V7 / I
    Dorisch: I- / IV7
    Phrygisch: I- (oder sogar I7b9) / II

    etc.

    Versteht ihr, was ich meine?
     
  14. giuseppe

    giuseppe Strebt nach Höherem

    Korrektur:

    Phrygisch: I- (oder sogar I7b9#9) / bII

    Klingt jedenfalls sehr spanisch, ich kann Phrygisch in modernen Kontexten jedenfalls kaum ohne diese Modulation denken. Und sie ist eine der Situationen, wo Dur-Terz und Moll-Terz relativ problemlos nebeneinander existieren können. Blues espagnol.
     
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  15. quax

    quax Gehört zum Inventar

    Wird das möglicherweise durch den Genuss einschlägiger Filmmusiken getriggert.
     
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  16. giuseppe

    giuseppe Strebt nach Höherem

    Ich probier mal bei meiner Idee weiter zu machen:
    Welche Harmonien hört ihr bei lydisch?
    Vielleicht I / II7 im Wechsel? .
     
  17. The Z

    The Z Ist fast schon zuhause hier

    Die Verwendung eines Drones ist auch eine gute Methode um sich die Unterschiede der Kirchentonleitern klar zu machen.

    Nach und nach alle Tonleitern über den selben Grundton spielen, es bietet sich an diese von hell nach dunkel zu reihen, und sich hörend klar zu werden, was die jeweilige Tonleiter ausmacht.

    Welche Intervalle sind typisch? Mit welchem Tonmaterial kann ich den Sound klar machen? Welche Dreiklänge, Vierklänge, Pentatoniken, Dreiklangspaare etc.?
     
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  18. giuseppe

    giuseppe Strebt nach Höherem

    Ich mach noch mal weiter mit meinen gehörten Harmonien.
    Mixolydisch höre ich eher „backdoor“-Annäherung: I7 / bVII im Wechsel.
    Was hört ihr?
     
  19. ppue

    ppue Mod Experte

    Ich weiß gar nicht, wo du gerade bist mit dem Hören.


    Mal allgemein:

    Es mögen ja gute Hör- und Finger-Übungen sein, aber wofür muss man sich den Klang der Leitern einprägen?
    Warum sollte man sie hintereinander vom gleichen Ton aus spielen?
    Warum übt ihr die nicht in einem sinnvollen Kontext und in Bezug auf ein tonales Zentrum?

    Die Leitern haben, für sich gespielt, sicher verschiedene Charaktere. Die machen Sinn, wenn man ohne jegliche Begleitung spielt, sich für gregorianische Gesänge interessiert oder einen Ausflug in den modalen Jazz macht.
    In dem Zusammenhang mit Funktionsharmonik spielt man sie zwar auch, da sie aber in einem bestimmten Kontext zur vorherrschenden Tonart stehen, haben sie eine ganz andere Wirkung.

    Praktisch:

    C-Dur mit den Stufen I I iii iv ii V I I

    ergibt

    C C em am dm G C

    Dazu spielt ihr die entsprechenden Leitern ab dem jeweiligen Akkordgrundton

    C-Ionisch
    C-Ionisch
    E-Phrygisch
    A-Äolisch
    D-Dorisch
    C-Ionisch
    C-Ionisch

    Da die Akkorde alles reine Stufen von C-Dur sind, denkt man sich aber schnell:
    Was für ein Blödsinn, das bleibt doch immer C-Dur, ich spiele einfach C-Dur ab der jeweiligen Stufe.

    C1
    C1
    C3
    C6
    C2
    ...

    Somit spielt ihr nicht nur alle möglichen Kirchentonleitern, sondern spielt sie auch in einem sinnvollen harmonischen Konzept.


    Nochmal zum Yesterday-Rätsel. Es spielt nur mit einer einzigen Leiter, auch wenn es erst einmal nicht so klingt.
     
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  20. The Z

    The Z Ist fast schon zuhause hier

    Um sie als eigenständige Tonleitern zu hören und eben nicht als Modus einer Durtonleiter ist es durchaus sinnvoll sie vom selben Grundton zu spielen. Wenn man sich dafür interessiert, wenn nicht dann eben nicht.
     
    giuseppe gefällt das.
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