Mein Geständnis: Aufnahmen

Dieses Thema im Forum "Saxophon spielen" wurde erstellt von Gelöschtes Mitglied 13399, 25.April.2023.

  1. Gelöschtes Mitglied 13399

    Gelöschtes Mitglied 13399 Guest

    Wieder eine gelungene Bildzeitungsüberschrift, aber ungeachtet des Spaßes, den sie mir bereitet, möchte ich heute wirklich mal etwas reflektieren und zum Thema Üben eigene Erfahrungen teilen, von denen ich hoffe, dass sie anderen, indem sie dies Lesen, früher zugänglich werden, als mir.

    Falls euch das interessieren sollte, lest gerne.

    Ich bin natürlich kein Saxophonlehrer, aber ich wollte euch allen einen Hinweis auf etwas geben, was meiner Meinung nach viel zu wenig beachtet wird.
    Vielleicht liest auch ein Anfänger mit und macht nicht die gleichen Fehler wie ich früher.

    Es gibt leider, vor allem bei Saxophonlehrern auf Youtube, eine Haltung, dass Saxophonüben eine Sportart wäre.

    Nun habe ich überhaupt nichts gegen technische Übungen, es ist sicher sinnvoll, Patterns in allen Tonarten zu üben.

    Aber ich beobachte immer wieder bei mir selbst, wie sehr ich davon profitiere, zu Aufnahmen mitzuspielen.
    Ich denke, hier kann man auch viel mehr für das eigene Improvisieren mitnehmen, als wenn man Patterns übt.
    Zumindest habe ich noch nie unbewusst ein Pattern gespielt, soweit ich mich erinnere.

    Aktuell übe ich wegen des Abiturs nur sehr wenig, habe aber mal eine schöne Billie Holiday-Aufnahme genommen und die verschiedenen Stimmen der Coda jeweils in allen Tonarten auf der Klarinette zur (mit Anytune verstellten) Aufnahme mitgespielt.
    Heute habe ich dann nach langer Zeit etwas auf der Klarinette improvisiert und war meines Erachtens deutlich musikalischer unterwegs als sonst.

    Also, an alle die Erinnerung, die vielleicht zu selten kommt, dass man nur dann etwas lernt, wenn man Spaß hat - oder Schmerzen. Schmerzen wollen wir aber alle beim Üben auf Dauer nicht haben, denke ich.

    Daher sage ich in diesem Post das, was ich gerne schon viel früher selbst verstanden hätte, wozu ich aber entweder zu ignorant oder nicht reif genug/zu beeinflussbar war:

    Alles, was man übt, muss einen im Herzen treffen.
    Die Herausforderung beim Üben sollte nie sein, wie schnell man etwas spielen kann oder wie hartnäckig man dabei bleibt, sondern, dass man auch nach drei Stunden üben noch so viel Spaß hat, wie zu Beginn und wirklich eine Immersion stattfindet, anstatt das man nur die zehnte pdf-Datei mit Jazzpatterns zum Metronom abspielt. Man muss sich also selbst kennen und sich Anreize schaffen, Spaß haben, gleichzeitig aber selbstkritisch und gründlich sein.

    Bei all dem möchte ich aber weder Longtones, noch Obertöne, noch Tonleitern oder sonst etwas ihre Sinnhaftigkeit absprechen, auch die kann man musikalisch und lebendig üben.
    Wenn ich zu einer Aufnahme mitspiele, übe ich ja sowieso auch immer Tonleiterausschnitte oder Akkordbrechungen etc.

    In diesem Sinne...Ich wollte das einfach mal losgeworden sein, auch, wenn ich vieles davon schonmal irgendwo in destillierter Form erwähnt habe.

    Vielleicht liest das irgendein perfektionistischer Paul mal in der Zukunft und lernt was.
     
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  2. 47tmb

    47tmb Gehört zum Inventar

    Letztlich geht es doch immer irgendwie darum, bestimmte "Bewegungsabläufe" zu trainieren.

    Wenn ich nie Arpeggieren und Umkehrungen oder Quartsprünge etc mal "geübt/trainiert" habe, werd ich die auch niemals "einfach so" spielen können. Auch nicht, wenn ich zu Aufnahmen mitspiele. Auch da werd ich auf Tonfolgen stoßen, die ich mir "erarbeiten" muss.

    Es gibt ja nun erfreulicherweise viele Möglichkeiten, das eigene musikalische Repertoire an "Vokabeln und Phrasen" zu erweitern. Oder eben auch die Finger davon zu überzeugen, diese eine blöde Phrase über zwei Takte zu greifen, ohne sich zu verknoten.:)
    Und das ist gut so.
    Und ja!!
    Es soll Spaß ,machen und kein Leistungssport sein.

    Cheerio
    tmb
     
  3. Silver

    Silver Strebt nach Höherem

    Wie wahr!

    Ohne ein paar Grundlagen in den Fingern (und im Kopf) wird alles nichts.
    Aber wer nur Patterns und Skalen übt, spielt Patterns (Muskelgedächtnis) und Skalen.

    … und darf sich genau das dann vom Großmeister der Melodien, Tony Lakatos, um die Ohren hauen lassen …

    Wenn es technisch wird, macht es selten Spaß. Wenn es keinen Spaß macht, bleibt es schlechter haften. Und Sport ist es eh nicht.
     
  4. Gelöschtes Mitglied 13399

    Gelöschtes Mitglied 13399 Guest

    Vielleicht ist es auch meine Bubble, aber ich sehe auf Youtube viel zu viele Videos, in denen es um Tempo und hippe Patterns geht.
    Mein Punkt ist ja, dass die Patterns dann haften, wenn sie keine sind, wie @Silver richtig sagt.
    Einen Major-7-Akkord als Arpeggio nach oben in Grundstellung kann ich in jeder Tonart schnell spielen, weil ich Roy Eldridge (oder war es doch Harry Edison?) auf einer Aufnahme mit Lester Young mal einen solchen habe als Teil einer Intro habe spielen hören, was mich so bewegt hat, dass ich wochenlang jeden Tag immer wieder in Erinnerung an diesen Sound Major-7-Akkorde in Grundstellung gespielt habe, um in diesem speziellen Gefühl zu schwelgen.
     
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  5. Sax-o-K

    Sax-o-K Ist fast schon zuhause hier

    Das kenne ich gut und mache es auch so. Allerdings auch, weil ich nicht so viel Zeit mit Üben zubringen kann, wie ich gern würde. Mehrfamilienhaus, Klavier und Saxophone in der Wohnung... ihr ahnt es.
    Deshalb, wegen der Effizienz, übe ich meine Baustellen im musikalischen Kontext. Gerade habe ich ein Stück, das Artikulation, Falls und Slap tongue besonders schult. Die entsprechenden Stellen übe ich sehr motiviert und mit Spaß, weil ich quasi direkt weiß wofür.
     
  6. GelöschtesMitglied5507

    GelöschtesMitglied5507 Guest

    Mein Hauptinstrument ist E-Bass, ich wollte schon immer richtig Walkingbass lernen, hab diverse Bücher gekauft und nach den ersten Kapiteln aufgehört, da ich von den theoretischen Möglichkeiten einen Knoten im Kopf bekommen habe oder sich alles nur auf stumpfe Arpeggios, Modi etc beschränkte. Im Oktober habe ich dann meinen ersten Online Live Workshop gebucht, da kam dann auf mal die praktische Anwendung und es gab zig „Aha!“ Momente. Jetzt im Fortgeschrittenen Workshop machen wir so Sachen wie Autumn Leaves, Cantaloupe Island und So what. Dazu wird aber nicht nur stumpf der Walkingbass vermittelt, sondern die Melodie wird analysiert, die Akkorde erarbeitet und damit im Zusammenhang der Walkingbass, dazu gehört aber auch jedesmal Impro mit dem neuen Tonmaterial. Als (sinnvolle) Kür gibt es Drilltrainings, die tatsächlich das Muskelgedächtnis trainieren sollen.

    Ich habe sonst auf dem Bass, Gitarre oder Saxophon immer fleißig Skalen, Akkorde etc geübt, aber eben stumpf, ohne Kontext. So wie ich es jetzt lerne ergibt es Sinn und klingt nach Musik und „nebenbei“ kann ich es auch gleich auf dem Saxophon umsetzen.

    Zum Saxophon passend hatte ich mir mal Greg Fishmans Hiplicks gekauft, das ich jetzt erst richtig zu schätzen lerne. Akkorde/ Verbindungen im musikalisch sinnvollen Kontext, die dann variieren und auch quer durch alle Tonarten.
     
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  7. giuseppe

    giuseppe Strebt nach Höherem

    Das hat mich komischerweise früher nie so sehr interessiert. Beim Sport selber dann schon eher. Auf dem Holzgebläse habe ich als junger Mensch pragmatisch immer nur so viel Technisches geübt, wie für die anstehende Performance erforderlich war. Aus heutiger Sicht nur noch mitteljung hat mich das musikalisch zwar einigermaßen befriedigend weit gebracht (und trotz zeitintensiver anderer Lebensinhalte noch aktiv bei der Musik gehalten), technisch wäre ich gerne weiter. UND ZWAR, weil ich heute Dinge HÖRE, die ich gerne könnte, damals aber nicht gehört habe! Ein bisschen mehr Sax-Sport früher, und manches wäre heute greifbarer. Deshalb ist mein Üben zwar seltener aber zumindest zu einem Teil technisch intensiver geworden.
    Das ist aus meiner Sicht vielleicht eher eine Begabung als eine Auswahl des Übematerials. Manche Leute trifft alles im Herzen, was sie üben.
    Bei mir ist es oft so, dass mich bestimmte Phrasen irgendwann im Herzen treffen, wenn ich sie lange genug geübt habe, sie "mir vertraut gemacht" habe.
    In dem Zusammenhang finde ich auch den Lehrer als "musikalischen Bergführer" interessant. Ich zeige das Ziel, den Gipfel wo ich rauf will und der Erfahrene erklärt mir den Weg dorthin. Wenn ich genug Vertrauen in die Fähigkeiten der Person habe, dann kann ich den beschriebenen Weg lang gehen, auch wenn es mich erst mal nicht im Herzen trifft und ich nur das Gefühl von Scheiß, Durst und Kraftlosigkeit habe. Wenn ich dann das gewünschte Ziel erreiche, kann sich das wieder dramatisch ändern.

    Ich würde sagen, mach dein Ding und lass dich von den Sportlern nicht verunsichern. Die meisten Leute suchen eher Ziele und Motivation. Die zu finden ist offenbar nicht dein Problem.
     
  8. Rick

    Rick Experte

    Wer sagt denn, dass Leistungssport keinen Spaß macht?
    Ich habe gern gelernt, schnell zu spielen, weil mir das gerade Spaß gemacht hat. :cool:
     
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  9. giuseppe

    giuseppe Strebt nach Höherem

    Ups. Da sollte noch ein w rein. Naja, inhaltlich passt es so auch einigermaßen. ;)
     
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  10. Gelöschtes Mitglied 13399

    Gelöschtes Mitglied 13399 Guest

    In dieser Hinsicht hat mir immer der richtige Saft gefehlt - als Kind war ich schon sportlich eine Niete, auch, als ich noch durchaus sportlich war, weil ich nie verstanden habe, warum ich schneller als jemand anders rennen oder springen können sollte. Für mich war Bewegung doch eher Mittel zum Zweck, weil ich z.B. schnell zum verabredeten Ort kommen wollte, rannte ich.
    Spaß hatte ich dafür bei der Herausforderung, wer im Matheunterricht zuerst "Fertig!" rufen kann, warum, weiß ich gerade gar nicht. Vielleicht hat mich das Lob der Lehrerin mehr interessiert als die Anerkennung meiner Klassenkameraden :rolleyes:

    Es ist aber schön, wenn man diesen Ehrgeiz und eine gewisse kompetitive Art hat, ohne dadurch den Fokus auf die Musik zu verlieren.

    Ich übe ja nach wie vor Technik und verbringe (vergleichsweise) wenig Zeit mit anderen Musikern oder Playlongs (inzwischen aber doch genug, nicht wie früher, als ich das Zusammenspiel und die Praxis vernachlässigt habe).
    Ich übe aber inzwischen alles sehr langsam und entspannt, versuche dabei, Freude an meinem eigenen Klang zu haben.
    Dieses stumpfe "Ich spiele die Tonleiter jetzt x mal, dann habe ich was für mein Muskelgedächtnis getan", funktioniert bei mir nicht.
    Ich sage mir eher "Ich habe 20 Minuten Zeit für diese Tonleiter, wenn ich noch etwas anderes schaffen möchte, was mir wichtig ist, also stelle ich mir einen Wecker und höre dann auf, wenn entweder der Wecker klingelt oder ich zufrieden damit bin, wie es klingt".

    Aber wie gesagt, ich habe nie besonders schnell spielen können, das ist vielleicht auch ein Defizit meiner, Geschwindigkeit hat mich aber auch beim Hören nie so sehr fasziniert wie andere Aspekte (Sound oder Artikulation z.B.).

    Mir ging es bei diesem Thread ja gar nicht gegen Etüden oder Skalen, sondern darum, dass Disziplin und Leidenschaft vereinbar mit Freude am Handeln sind und es mir nichts bringt, meine Freude in zukünftigen, möglicherweise erreichbaren Zielen zu suchen (-:

    Das hast du auch verstanden, da bin ich mir sicher, und ich danke dir auch für deine Unterstützung, ich wollte nur noch einmal zur Sicherheit klarstellen, wie mein Gedankengang war, was sich nicht direkt auf deinen Post bezog.
     
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  11. Rick

    Rick Experte

    Meiner Ansicht nach ist das auch eine Typ-Frage: Es gibt Menschen, die eher langsame Tempi schön finden, mich hat als Jugendlichen eben die Geschwindigkeit fasziniert und mitgerissen.

    Der Maßstab war für mich nur das Tempo, das ich in mir selbst gehört habe, ich wollte nie schneller als jemand anderes sein.
    Dementsprechend habe ich mich am meisten gefreut, wenn ich Mitspieler gefunden habe, die da ähnlich gepolt waren wie ich, dann ging richtig die Post ab! :)
     
  12. GelöschtesMitglied5507

    GelöschtesMitglied5507 Guest

    Da fällt mir passend dieser, allzu wahre Song von Kapelle Petra ein….

     
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  13. Rick

    Rick Experte

    Nachtrag, weil vorhin gerade mein letzter Schüler kam:
    Natürlich war für mich die Geschwindigkeit kein Selbstzweck an sich, sondern es ging mir immer um die Musik, die ich nun mal in dem Tempo am liebsten mochte. Welche Zahl dann auf dem Metronom stand, war mir (und meinen befreundeten Speed Junkies) völlig wurscht.

    Deshalb bin ich da im Grunde ganz bei Dir, lieber @Paul2002: Es muss einem Spaß machen, zu Herzen gehen. :thumbsup:

    (Und Geld verdient man mit Hochgeschwindigkeit nicht, dafür muss man mit schönem Ton mittelschnell swingen und grooven können, alles andere ist, wie bereits Dizzy Gillespie zusammen mit Sonny Stitt und Stan Getz wusste, "for musicians only".) ;)
     
    Zuletzt bearbeitet: 25.April.2023
  14. bthebob

    bthebob Strebt nach Höherem

    @Paul2002
    Führt vlt. zu weit weg, aber .....

    Mich hat der Bergsteiger Reinhold Messner nie wirklich interessiert.

    Letztens saß er aber bei Frau Maischberger im TV und wurde natürlich
    zum Xten mal befragt in Richtung:

    Warum hat er diese sinnlosen und lebensgefährlichen Besteigungen und Abenteuer
    auf sich genommen hat.
    Wo liegt da der Sinn, wo der Nutzen ?"

    Seine Antwort hat mich so überzeugt, dass ich mir sein aktuelles Buch
    aus gekauft habe:
    -Sinnbilder-
    Verzicht als Inspiration für ein gelingendes Leben

    Ich bin erst auf Seite 40, kann und möchte hier auch nicht
    eine Zusammenfassung seiner Gedanken geben.

    Nur soviel.
    Sein Ansatz ist:
    Im Endeffekt ist alles sinnlos.
    Der Sinn einer Handlung entsteht aus dir selbst heraus.

    Aus deinem Wollen, deinen Zielen, deinem Empfinden.

    Er bringt als Beispiel diese Erstbesteigungen ohne Sauerstoff.
    Sowas machst du nicht "aus dem lameng"

    Da ist jahrelange Vorbereitung nötig.
    Gedanklich-geistige, finanzielle, organisatorische usw.

    Wenn du dann mit diesem Abenteuer wirklich startest, ist es für dich persönlich
    das sinnvollste, was es gibt.

    Wir Außenstehende schütteln dann wahrscheinlich immer noch
    ungläubig den Kopf, aber egal.

    Mich haben seine Gedankengänge überzeugt.

    Für mich übertrage ich das gern auf mein Musizieren.
    Das ist im Endeffekt auch völlig sinnlos.

    Sinn und Bedeutung meines Sax und Klavierspielens
    werden allein durch mich definiert.

    Wobei R. Messner zu Recht unterscheidet zwischen
    Nutzen und Sinn einer Handlung.

    Na ja, ...
    Soweit mein "Buchtipp zur Wochenmitte":D

    VG
     
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