Schief klingen und korrekt stimmen

Dieses Thema im Forum "Saxophon spielen" wurde erstellt von Gelöschtes Mitglied 13399, 13.August.2022.

  1. Gelöschtes Mitglied 13399

    Gelöschtes Mitglied 13399 Guest

    Ein Lehrer und Mitforist meinte vor langer Zeit mal zu mir, ich klinge schief, selbst, wenn ich richtig intoniere. Er stellte auch einen Vergleich mit Lester Young in diesem Punkt an, wenn ich mich recht erinnere.

    Gestern sah ich ein Video von Lester Young, in dem auch Coleman Hawkins spielt, wobei ich merkte, dass Hawkins viel mehr "in tune" klang als Lester.

    Sonst höre ich Lester eher einzeln, so dass es mir nicht so sehr auffällt, aber ich denke, er klingt auch immer etwas schief.

    Nun ist das Problem, dass er in dem Video gestern nicht gut in Form war und wahrscheinlich wirklich nicht einwandfrei intoniert hat, was die Beobachtung relativiert.

    Ich denke aber, dass dieses leichte Schiefklingen, vielleicht auch etwas Nasales im Ton, mir bei Lester Young gerade so gut gefällt.

    Teilweise kenne ich es aber auch, wenn ich das Saxophon mit dem Handy aufnehme, danach mit einem Mikrofon. Mit dem Handy klingt es schief, mit dem Mikrofon sauber. Geht es also dabei auch um Aufnahmetechnik/Mikrofonqualität?


    Was denkt ihr darüber?
    Gibt es das wirklich, dass jemand korrekt intoniert und es dennoch klingt, als wäre das nicht der Fall?
    Was macht den ästhetischen Reiz dieser Klangeigenschaft aus?

    Habt ihr andere Hörbeispiele?

    Hier das Video.



    Stellenweise lässt Lester auch Töne stark absacken, als Effekt, was ziemlich cool klingt, wie ich finde, und auf mich - rein emotional ohne sinnvolle Begründung -wie eine Verstärkung des ansonsten genannten Effekts wirkt.
     
    Zuletzt von einem Moderator bearbeitet: 13.August.2022
  2. gaga

    gaga Gehört zum Inventar

    "Korrekt intoniert" ist relativ. Wir stimmen temperiert und wir spielen aber dann in natürlicher Stimmung - zumindest tendenziell, d.h. Terz und Sexte drücken wir bis zu 16 ct runter. Zusätzlich benutzen wir viele blue notes - b3, b5, b9, b13 - alle nicht sauber intoniert, sondern je nach Zweck und Richtung "gefärbt".

    Wenn man mal die vielen Bläser bei Symphony Sid das Thema spielen hört, wer intoniert denn da "sauber"? Und wie furchtbar klänge dieses Bluesthema, wenn sie sauber intonierten?

    Auch da wird die Verwandtschaft von Pres und Billie deutlich. Wo intoniert Billie H. mal "sauber"?

    Ich erinnere mich an eine "Hoppla!"-Situation, wo Lester am Ende eines Stückes seinen Schlusston deutlich korrigiert, als der Pianist mit so einem langen Arpeggio zeigt, wo die Intonation hin muss. Also nicht mal der Grundton "steht".

    Das Intonieren zu lernen halte ich trotzdem deshalb bei uns für enorm wichtig, weil wir das Hinhören häufig erst lernen müssen. Taste drücken nach Grifftabelle reicht eben nicht. Die Menschen im Video haben das kaum nötig, die sind mit der ganzen "schmutzigen" Musik aufgewachsen - da passen die Töne intuitiv.
     
  3. bebob99

    bebob99 Strebt nach Höherem

    Ich glaube es war Pete Thomas, der für eine Filmaufnahme ein Stück einspielen sollte "das klingt, als wäre es von Charlie Parker" aber ohne direkt seine Stücke zu spielen. Wahrscheinlich ein Urheberrechts Problem. Ich finde gerade die Referenz nicht, daher muss ich die Geschichte aus dem Kopf zitieren.

    Jedenfalls stand er mit der Combo im Studio und will das aufnehmen und erntete Kritik, dass er "flat" spielt. Als Profi wurmt ihn so eine Kritik natürlich und sie haben das nachgemessen. Er war genau in-tune. Nur klang das nicht nach Charlie Parker. Erst als er konsequent 10 Cent drüber gespielt hat war der Klang authentisch.

    Das hat vielleicht etwas mit den feststehenden(?) Formanten im Klang zu tun. Der Grundton passt, aber die Gesamt Harmonie der Obertöne ist krumm.
     
  4. GelöschtesMitglied11524

    GelöschtesMitglied11524 Guest

  5. Gelöschtes Mitglied 13399

    Gelöschtes Mitglied 13399 Guest

    Ich hoffe, du bist nicht gekränkt, dass ich dich nicht explizit genannt habe, ich wusste nur nicht, ob es dir recht ist, Sachen aus privaten Gesprächen öffentlich zu zitieren, zumal ich nicht weiß, ob ich deine Aussagen korrekt im Gedächtnis behalten habe
     
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  6. Gelöschtes Mitglied 13399

    Gelöschtes Mitglied 13399 Guest

    Die Soundbeispiele auf der Website hat @Ton Scott schon einmal in einem ähnlichen Thread gezeigt.
    Dieses mal habe ich anscheinend mit einem besseren Gehör gelauscht als damals und konnte auf anhieb sagen, dass Ex1 zu tief und Ex2 in tune sind, Ex1 aber besser klingt.
    Vielleicht habe ich es mir aber auch damals nur gemerkt und unbewusst wieder erinnert.
    Bei Lester Young speziell habe ich aber eher den Eindruck, dass er etwas zu hoch intoniert, als zu tief (bin mir allerdings nicht sicher). Vielleicht macht das seinen Sound aus.

    Benny Carter meinte einmal, Lester habe auf dem Alt fast genau so geklungen, wie Charlie Parker, der ja auch eher zu hoch als zu tief intoniert.
    Insofern passt das Bild wieder.
     
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  7. ppue

    ppue Mod Experte

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  8. GelöschtesMitglied11524

    GelöschtesMitglied11524 Guest

    @Paul2002
    Es passt vielleicht nicht ganz zu Lester, aber zu Deinem Threadtitel.
    Das ist ein Interview, das Doron Orenstein mit David Demsey (einem Schüler Joe Allards) gemacht hat.
    Die Stelle geht über die "weird ability" des Saxophons in tune zu sein und trotzdem "falsch" zu klingen.
     

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  9. Gelöschtes Mitglied 13399

    Gelöschtes Mitglied 13399 Guest

    Eben ist mir mit dem Alt aufgefallen, dass ich konsequent 5-8 Cent zu hoch stimme, in sich die Töne aber korrekt sind.
    (Stimmgerät und Drone)
     
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  10. GelöschtesMitglied14902

    GelöschtesMitglied14902 Guest

    Zeigen digitale Stimmgeräte eigentlich eine wohltemperierte Stimmung an? Ein wohltemperiertes Klavier ist ja auch so gestimmt das die hohen töne etwas höher gestimmt sind damit es klingt
     
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  11. GelöschtesMitglied14902

    GelöschtesMitglied14902 Guest

    Hier mal noch ne kleine Erklärung zur temperierten Stimmung

    Mit dem Begriff "Temperatur" werden seit nunmehr einigen Jahrhunderten die Systeme bezeichnet, mit denen man die Intervalle so "einpasst", dass die Oktavreinheit erhalten wird. Die Oktave ist das einzige Intervall, das nicht verstimmt, also "temperiert" werden kann bzw, darf.
    Da es nicht möglich ist, alle Intervalle rein zu stimmen und dabei auch alle Oktaven rein zu erhalten, müssen bestimmte andere oder auch alle anderen Intervalle um ein bestimmtes Maß verstimmt werden. Beispielsweise ergeben 3 große reine Terzen übereinander oder 4 kleine reine Terzen übereinander keine reine Oktave usw.
    Die Terzen müssen also eingepasst werden und das ganze System der Intervalle muss überhaupt so eingepasst werden, dass so weit nötig und/oder möglich insgesamt gut klingende Intervalle erreicht werden und man alle benötigten Tonarten überhaupt spielen kann.
    Das war zuerst immer ein Problem für Tasteninstrumente, vor allem der Kirchenorgel. Deshalb stammen viele der frühen Temperaturen auch von Orgelbauern.

    Da man heutzutage bekanntlich alle Tonarten spielbar haben will, haben sich die gleichschwebende und die gleichstufige Temperatur durchgesetzt, da sie Chromatik problemlos möglich macht.
     
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  12. giuseppe

    giuseppe Strebt nach Höherem

    Das ist wieder ein anderes Phänomen, hab den Namen vergessen - Oktavdrift oder so.

    Dicke Saiten schwingen aus mechanischen Gründen als wären sie bisschen kürzer, was ihre Obertöne aber weniger betrifft. Dadurch sind die Obertöne einer Klavier-Basssaite zunehmend nach oben verstimmt, je höher man kommt.

    Wenn man ein Klavier nach Grundton exakt gleichschwebend stimmt, wirken für das Ohr die hohen Töne flat und die tiefen sharp, weil sich die Obertöne reiben. (Das physikalische Prinzip der Modenkopplung hat offenbar Grenzen, die ich übrigens hörenderweise auch für das Sax vermute - ist aber eine andere Geschichte). Das gleicht der gute Klavierstimmer fürs Ohr durch ein leichtes auseinanderdriften der Oktaven aus. Dann passen die Grundtöne nicht ganz perfekt, aber die Obertöne harmonieren mehr.

    Ich hoffe, ich habe es aus der Erinnerung korrekt wiedergegeben. Digitale Stimmgeräte können das in der Regel übrigens nicht. Mit Pianostimmgeräten für 4stellige Beträge habe ich mich noch nicht befasst. Ist aber fraglich nützlich, da sich jedes Klavier anders verhält und entsprechend seiner Saiten und deren Aufhängung ein anderer Kompromiss gefunden werden muss. Nicht ohne Grund ist bei Doppelkonzerten das zweite Piano mit dem ersten in aller Regel baugleich.

    Wohltemperiert wird übrigens heutzutage normalerweise synonym zu gleichschwebend verwendet, wie auch in deinem zitierten Artikel. Und nicht für das auseinanderdriften der Oktaven auf dem gut gestimmten Piano.

    Es würde mich aber nicht wundern, wenn Klavierstimmer vor den elektrischen Stimmgerät unter Temperatur beide Phänomene verstanden. Eigentlich ein recht plastischer Begriff für das resultierende Klangverhalten.
     
  13. giuseppe

    giuseppe Strebt nach Höherem

    Zum (super!) Thema habe ich hier noch nicht alles anhören und lesen können.
    Trotzdem muss ich schon was loswerden:
    Kennt ihr das Phänomen, dass ihr im Auto eine Nummer hört, es gibt Hintergrundgeräusche, die Harmonien sind kaum zu hören und die Melodie klingt völlig falsch. Dann dreht ihr lauter und alles rastet ein und stimmt wieder?
    Gleiches Phänomen anderes Settinng: Lauter Bühnensound und du hörst dich schlecht. Dann dreht dich jemand auf dem Monitor hoch und die Intonation klingt vollkommen anders als sie grade noch war.

    Psychoakkustik ist ein Schweinehund. Wahrscheinlich könnte sie ein Freund sein, wenn man sie verstehen würde.
     
  14. Gelöschtes Mitglied 13399

    Gelöschtes Mitglied 13399 Guest

    Ich kenne das eventuell mit dem Bass. Wenn eine Aufnahme laut ist, klingt der Bass für mich teilweise etwas schiefer, als wenn sie leiser ist
     
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  15. giuseppe

    giuseppe Strebt nach Höherem

    Korrektur:

    Das Phänomen heißt Inharmonizität. Woher ich die driftenden Oktaven hatte, weiß ich nicht, ist aber kein gugelbarer Fachbegriff.
    Die Erklärung war auch holprig, nachdem eine effektiv verkürzte Saite eine Erhöhung im Grundton bekommen müsste und nicht Erniedrigung. Vielleicht ist es ein Dämpfungsproblem. Ist natürlich für das Resultat der nach oben gebogenen Obertöne nicht entscheidend, wollte nur keinen Quatsch stehen lassen.


    Danke, @ppue, für diesen Artikel. Das Phänomen hatte ich schon mal gehört, diese existierende Systematik noch nie.

    Es lässt berechtigte Zweifel aufkommen, ob die Inharmonizität der Hauptgrund für die gespreizten Oktaven beim Klavier sind, oder ob die mechanistischen Denker des 19. und 20. Jahrhunderts hier voreilig die ganze Kausalität reingepackt haben.

    Auf deutsch: Wenn wir zur Basslinie in der linken Hand eine Melodie in den obersten beiden Oktaven des Klaviers spielen, dann wollen wir die Töne der rechten Hand höher hören, als die physikalische Stimmung vorgeben würde. Sie passen erst richtig, wenn sie eigentlich schon nicht mehr richtig sind. Inharmonizität ist hier vorhanden und passt ins Konzept. Die Erklärungen und Ursachen zur wahrgenommenen Tonhöhe Mel können es aber vielleicht noch viel besser erklären, warum wir das so hören.
     
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  16. ppue

    ppue Mod Experte

    Leider habe ich den Begriff dafür vergessen: Opernsängerinnen singen oft etwas zu hoch, damit es mehr strahlt. Das ist ein ganz bewusst eingesetzter Effekt. Es gab mal dazu einen super YT-Film, wo ein Professor die Intonation einer Solostimme gegenüber dem Orchester versetzen konnte. Die exakte Stimmung kam den meisten etwas flat vor. Ein wenig heruntergepitcht ging von daher gar nicht und erst, als er zehn Cent drüber lag, gefiel es den Zuhörern. Nach oben war da immer noch Luft.

    Wenn ich nur wüsste, wie das heißt bei den Opernsängern. Ich habe mal eine Kritik gelesen, da monierte der Kritiker das zu hohe Intonieren einer Sängerin.
     
  17. Otfried

    Otfried Gehört zum Inventar

    Es gibt wohl Beides. Bei einigen Salsasängern habe ich festgestellt, dass sie ziemlich tief intonieren, jedenfalls für mein Empfinden.
    Abet auch das hat seinen Reiz, ergibt Spannung.

    Gruß,
    Otfried
     
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  18. GelöschtesMitglied11524

    GelöschtesMitglied11524 Guest

  19. Gelöschtes Mitglied 13399

    Gelöschtes Mitglied 13399 Guest

    Für mein Empfinden auch ein wenig zu hoch, aber nicht unbedingt störend.
    Irgendetwas mag ich aber an seinem Timbre nicht
     
  20. Gelöschtes Mitglied 1142

    Gelöschtes Mitglied 1142 Guest

    Für mein Empfinden (die ersten eineinhalb Minuten über den iPhone-Quäksprecher gehört) zu hoch. Teilweise so viel zu hoch, dass es auf mich unangenehm wirkt.
     
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