Theorie und Praxis

Dieses Thema im Forum "Improvisation - Harmonielehre" wurde erstellt von ppue, 21.Januar.2018.

  1. Roland

    Roland Strebt nach Höherem

    Intervalle und einfache Akkorde konnte ich schon immer ... vielleicht kann ich es mir deswegen nicht vorstellen.

    Aber da sind wir zum wiederholten Male bei: Mit dem Hören fängt es an. Ob das Ding 'phrygisch' oder 'Wurzlsepp' heißt ist ja egal, aber man muss einen Klang zuordnen können. Und mit Xenologismen konnt man mich noch nie imprägnieren. :)

    Grüße
    Roland
     
  2. ppue

    ppue Mod Experte

    Ja, es fängt mit dem Hören an. Aber wer übt hier schon regelmäßig das Hören? Die üblichen Intervalltrainer sind gut, aber sie frustrieren auch schnell, wenn man nicht langsam genug vor geht und sich nicht erst wenige Intervalle in die Zufallswiedergabe laden kann.
     
  3. GelöschtesMitglied11524

    GelöschtesMitglied11524 Guest

    Ich habe in meinen Theoriekursen die Erfahrung gemacht, dass Kinder - die noch keine Theorie hatten:

    Nach teilweise 3 Jahren Instrumentalunterricht (auch Klavier) keine 3 Halbtöne nach oben zählen können (um eine parallele Durtonleiter zu einer gegebenen Molltonleiter zu finden).
    Nichts mit Kreuz oder B anfangen können, trotzdem sie sich die Eselsbrücken Geh Du Alter Elefant und Frische Bananen Essen Assistenten merken, um's Verrecken nicht die natürlichen Halbtonschritte nach zigfacher Erklärung wie und warum meinerseits. Und so weiter und so fort.

    Aber: Nach 10 Minuten Übung Äolisch, Harmonisch und Melodisch Moll unterscheiden können. (Ganzton 7-8 bei äolisch, übermäßige Sekund bei harmonisch) Die meisten hören auch Tonhöhenunterschiede von +-5 Cent.

    Dur und Mollakkorde unterscheiden können praktisch alle, am Papier geschrieben erkennen dauert ewig, 4/3 für Dur und 3/4 für Moll bringt auch nichts, siehe oben. Und das, obwohl sie eigentlich im Instrumentalunterricht kaum "Hören" üben, und fast nur nach Noten spielen.
    Also irgendwas läuft das schief, irgendwie fehlt der Zusammenhang.


    Grüßle, T.S.
     
    ppue gefällt das.
  4. bluefrog

    bluefrog Strebt nach Höherem

    Das sind sehr interessante Beobachtungen. Die Kinder hören gut, können aber gewisse Abstraktionsschritte nicht vollziehen.

    Nach einigem Nachdenken wundert mich das nicht mehr. Unsere Musiktheorie (angefangen bei der Notation) ist sehr viel abstrakter als wir, die damit gewohnt sind umzugehen, uns das bewusst machen. Vergleiche es mit der Muttersprache und der schriftlichen Form davon. Schriftliche Formen von Wörtern und Sätze stehen einfach für sich. Die kan man lernen, auch wenn's orthografisch vielleicht nicht so hinhaut. Da gibt es nichts Vergleichbares zu der Aufgabe, eine Mollparallelle zu finden.

    Ich glaube, Musiktheorie hat eher den Schwierigkeits-/Abstraktionsgrad von Algebra, wo es eben nicht mehr um das konkrete Rechnen mit Zahlen geht, sondern um Strukturelles. Das ist ja auch bei Konzepten wie Dur und Moll schon so. Da würde ich die Aussage, etwas ist eine ii V i -Kadenz vielleicht mit der Aussage (a + b)^2 = a^2 + 2ab + b^2 vergleichen. Ab wann können die Kinder das verstehen?

    LG Helmut
     
  5. Wuffy

    Wuffy Gehört zum Inventar

    Yes..der Vergleich mit höherer Mathematik bietet sich an.

    Wenn ich bedenke, was ich im Zuge des Studiums da so alles in die Birne reinackern musste...und dann im realen praktischen Beruf schnell wieder vergessen und abgehakt habe o_O

    Alles Ok, wenn man es als Profi laufend braucht, anwendet und immer wieder auffrischt.

    Für viele Hobbyisten eher ein Stolperstein...ausserhalb der Basics meine ich.

    Gr Wuffy
     
  6. macpom

    macpom Ist fast schon zuhause hier

    Eine interessante Beobachtung machte ich diese Woche. Ein Freund von mir spielt seit 15 Jahren Bariton. Er tut sich total schwer mit der Theorie. Ich habe ihm eine Dur und eine Moll Tonleiter mit dem gleichen Grundton vorgespielt. Er konnte es nicht zuordnen. Als Dreiklang auch nicht. Ich kann es immer noch nicht glauben.
    Was macht man damit? Besteht eine Chance, dass das noch wird?

    Andreas
     
  7. Gerrit

    Gerrit Guest

    ... was auffällt: die überwiegende Mehrheit der Beiträge bewegt sich hier um Akkorde, Skalen. Also ob Theorie ausschließlich Harmonielehre bedeute! Das ist sehr aufschlussreich!

    Ich beobachte immer wieder, daß, wenn man geduldig erklärt und sich dabei auf das Wesentliche beschränkt, sich i.d.R. durchaus rasch ein Verständnis und ein Überblick der harmonischen Zusammenhänge einstellt. Der eigentliche Schritt, so fällt häufig auf, besteht hingegen in der rhythmischen Organisation des harmonischen Materials. Selbst wenn modal begonnen wird, also mit einer Improvisation über etwa nur einen Akkord, die dazugehörige Skala begriffen und verinnerlicht ist, wirken die ersten Gehversuche nicht deshalb hilflos und holperig weil etwa falsche Noten erklingen, sondern weil deren rhythmische Organisation nahezu unstrukturiert ist: es fehlt an einer rhythmischen Vorstellung!

    Das bedeutet: selbstverständlich muss man sich mit Hatmonielehre, Akkorden, Skalen, Progressionen usw. beschäftigen, auch mit Licks, aber diese Beschäftigung läuft oft völlig in das Leere wenn sie von Anfang an nicht die absolut wesentliche Aufgabe der rhythmischen Organisation mit berücksichtigt! Der Schritt von der Theorie zur Praxis scheitert nicht selten nämlich genau daran, an der Rhythmik, wenn es gilt, innerhalb eines engen Zeitfensters die Skalen rhythmisch zu strukturieren und das Material kreativ zu organisieren!
     
  8. Lagoona

    Lagoona Ist fast schon zuhause hier

    In dem ich die Vokabeln richtig konjugiert und dekliniert aneinander gereit habe!
     
  9. GelöschtesMitglied11524

    GelöschtesMitglied11524 Guest

    Das ist richtig.
    Und wenn man es konsequent zu Ende denkt, fehlt oft der Bezug zum Grundschlag/Puls.
    Auch das beobachte ich in meinen Kursen - das Gefühl für Rhythmus und Time ist wesentlich weniger entwickelt als das Gehör.
    Das ist IMHO aber auch ein Problem am Aufbau der meisten Lehrwerke.

    Cheers
     
    gefiko und Gerrit gefällt das.
  10. Gelöschtes Mitglied 11989

    Gelöschtes Mitglied 11989 Guest

    gelöscht...ich lass' es doch besser...
     
    Zuletzt von einem Moderator bearbeitet: 27.Januar.2018
  11. Gerrit

    Gerrit Guest

    ???
     
  12. Gelöschtes Mitglied 11989

    Gelöschtes Mitglied 11989 Guest

    Es ging um Streithähne und Zeichensetzung und Rechtschreibung... war off topic...
    Sorry.
     
  13. Gerrit

    Gerrit Guest

  14. GelöschtesMitglied4288

    GelöschtesMitglied4288 Guest

    Und das wiederum liegt daran, dass sich die meisten gar nicht die Mühe machen, intensiv zu hören, geschweige denn mal auf die Idee kommen, eine Sache nachzuspielen. Wenn wir einen Jazzstandard spielen (jeder Zweite will Jazz lernen bei mir) und ich frage, welche Version dem Spieler bei seiner Vorbereitung denn am meisten gefallen hätte - da kommt nur Schweigen. Meine Methode ist deshalb inzwischen eine völlig andere: ordentlich einen auf die Ohren bekommen!

    @Lagoona ich will dich ganz sicher nicht vorführen, aber "indem" ist eine Konjunktion und wird zusammengeschrieben... Grammatik scheint also doch wichtig. Sorry, aber die Steilvorlage konnte ich nicht umgehen. :duck:
     
  15. TSax80

    TSax80 Ist fast schon zuhause hier

    gereiht :duck:
     
  16. Nilu

    Nilu Ist fast schon zuhause hier

    Ich verstehe nicht genau, was du mit "die Skalen rhythmisch zu strukturieren" meinst?
    Wie lassen sich Skalen strukturieren?
     
  17. GelöschtesMitglied11524

    GelöschtesMitglied11524 Guest

    Einfaches Beispiel:
    Du spielst eine Tonleiter mit 7 verschiedenen Tönen und entweder den Grundton immer doppelt so lang wie die anderen Töne oder du spielst die Tonleiter in zum Beispiel Achteln bis zur None und wieder zurück. Damit kommst du mit den wichtigen Tönen auf starke Taktzeiten und hast einen rhythmischen und melodischen Bezug.

    Cheers
     
  18. GelöschtesMitglied1589

    GelöschtesMitglied1589 Guest

    Ich bringe noch einmal das Beispiel von Branford Marsalis aus "Mad About You" von Sting, das am Ende der Brigde als kurzes Fill erscheint:

    Branford Fill IN.jpeg

    Quelle: http://bobreynoldsmusic.com/branford-marsalis-creative-major-7ths-stings-mad-about-you/

    Diese Figur ist ja nichts anderes als ein Ausschnitt aus einer Halbton-Ganzton-Skala auf der Dominante (dort, wo sich immer alles spannende in der Harmonik abspielt) Eb (klingend, obere Zeile) mit den Tönen Eb-E--F#-G--(A)-(Bb)--(C)-Db--Eb. Die im oberen Fill ausgelassenen Töne der Skala habe ich in Klammern gesetzt.
    Diese Skala an sich ist, wenn man nur Dur oder moll kennt, erst einmal sehr spannend, weil sie so fremd klingt. Sie wird aber dann schnell langweilig, weil sie nach Auflösung drängt und in einen harmonischen Zusammenhang und ein rhythmisches Geschehen gebracht werden will. Die Leiter an sich führt genau wie der in ihr angelegte vollvermindete Septakkort, der nur aus kleinen Terzen besteht (kleine Sekunde plus große Sekunde = kleine Terz; Eb - Fis - A - C) ins Nichts, hat in sich keinen erkennbaren Zielpunkt.
    Also muss man sie motivisch und rhythmisch organisieren. Branford Marsalis macht das absolut gekonnt:
    Am Anfang und am Ende steht der Grundton der Dominante, Eb, in der Oktave. Er rahmt quasi das Geschehen ein. Koppelt man die beiden großen Septimsprünge nach oben ab, sieht man unten einen Ausschnitt der Halbton-Ganztonleiter Eb-E--F#-G, der von oben "gefüllt" wird. Der aufsteigenden Bewegung unten wird die absteigende Bewegung oben entgegen gestellt. Die Figur beginnt nicht auf der vollen Zählzeit, sonder mit einer 16tel Pause, und nach den sieben "quirligen" 16tel kommt dann ein Ruhepunkt mit der punktierten 8tel. Am Ende wird der Zielton Eb von unten mit Halbtonschritt erreicht. Perfekt, so wird Musik draus. Die Technik, Sprünge zu verwenden, um auf verschiedenen "Etagen" gegenläufige Melodiefragmente zu schaffen, ist übrigens in der Barockmusik sehr verbreitet, und ich weiß, das Branford (genau wie ich) sehr auf Bach steht.
    Hätte Branford mit diesen insgesamt 8 Tönen einfach die HT-GT Leiter in gleichmäßigen 16tel, beginnend auf der Zählzeit, "abgenudelt", wäre es im Gegensatz zu seiner tollen Lösung gähnend langweilig geworden.
     
    ppue und Gerrit gefällt das.
  19. Nilu

    Nilu Ist fast schon zuhause hier

    Danke für die Ausführungen. Jetzt ist es klar.
     
  20. Gerrit

    Gerrit Guest

    TonScott beschrieb und erklärte das in der Kürze treffend!

    Eine Phrase, ein Motiv, eine Melodie oder ein Lick ;-) greift auf harmonisches Material zurück, Skalen, Intervalle... Dieses Material wird innerhalb eines Zeitrahmens - Takt und Tempo - rhythmisch strukturiert und somit gestaltet. Nehmen wir an, ein Takt - vier Viertel - steht zur Verfügung und Du bläst über Dm7 Grundton, Terz und Quinte, meinetwegen in eben dieser Reihenfolge, keine Umkehrung, so klingt diese Tonfolge anders wenn Du etwa:

    D / Viertel, gefolgt von F / Halbe sowie A / Viertel

    spielst anstatt zum Beispiel:

    D / Halbe, gefolgt von F / Viertel sowie A / Viertel...

    Einfaches Beispiel, doch genau darum geht es!

    Jetzt stell Dir eine komplexere Akkordprogression vor. Du formst ein Motiv eben nicht nur aus seinem harmonischen Material sondern aus dem Zusammenspiel dessen mit dem rhythmischen. Und dabei kommt es darauf an, nicht nur Akkordwechsel sauber darzustellen, diese zu timen, sondern, wie TonScott treffend bemerkte, starke Taktzeiten zu beachten, Spannungsbögen der Motive aufzubauen...

    TonScott wies zurecht darauf hin: dieser absolut wichtige Aspekt, die rhythmische Struktur des harmonischen Materials kommt in den gängigen Lehrwerken und bezeichnender Weise in unserer Diskussion um Theorie und Praxis vollkommen zu kurz! Dabei steht und fällt alle harmonische Rafinesse mit dem Timing, d.h. dem Rhythmus.

    Ich denke, die Kollegen gehen deshalb ähnlich vor wie ich: das harmonische Material wird in meinem Unterricht von Anfang an konsequent auch im seinem notwendigen Zusammenhang mit Rhythmus und Time studiert. Improvisationstraining beginnt bei mir immer mit den grundlegenden rhythmischen Übungen...
     
    ppue gefällt das.
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