Wenn ich mir beliebte Kompositionen ansehe, bemerke ich, dass die Komponisten oft zu einem Trick greifen. Wenn die Melodie nach oben geht, wird eine Note erhöht, und wenn die Melodie danach nach unten geht, wird eine benachbarte Note erniedrigt. Statt also in der Grundtonart zu bleiben, wird eine kleine Verschiebung vorgenommen, die dann ein paar Takte später wieder zurück genommen wird. Z.B. bei A-Dur erscheint erst vor dem a ein # (ais) und später wird gis aufgehoben zu g. Oder auch anders herum, zuerst eine erniedrigte Note wird in derselben musikalischen Phrase durch eine Erhöhung ausgeglichen. Dadurch wird die Musik interessanter und spannender. Ich denke, auch beim Improvisieren sollte man diesen Trick anwenden. In der Harmonielehre gibt es dafür sicher einen Fachausdruck?
Der "Fachausdruck" ist Enharmonik. Und das ist kein Trick, sondern Notwendigkeit, weil Du sonst in Vorzeichen ertrinken würdest. Man schreibt normalerweise bei einer Linie, die nach oben geht, Kreuz. Nach unten halt B. Stell Dir eine Chromatische Tonleiter nach oben mit Bs vor. Z.B. G-Ab-A-Bb-B. Dann hättest Du vor dem A ein B, vor dem A ein Auflösungszeichen und vor dem Bb wieder ein B, beim B müsstest Du wieder auflösen. Ist doch unsinnig, oder? Oder missverstehe ich Dich? Cheers, Guenne
Falls die Zieltöne Akkordtöne sind, kann man das als Approaches klassifizieren. Hier hat's unter 4.8 was etwas Info dazu...
Wer kein absolutes Gehör hat, und versucht, eine Melodie nach Gehör zu spielen, kommt mit diesem "Trick" oft in Berührung. Man hat eigentlich die richtige Tonart, aber irgendwie klingt es komisch. So wollte ich letztes Frühjahr "Komm lieber Mai" auf dem Tenor spielen. Ich hatte richtig auf D-Dur "geraten" und spielte also 4 #, E-Dur. Die ersten zwei Zeilen waren auch richtig, aber danach kam es mir komisch vor. Dann besorgte ich mir die Noten und merkte, das ist ja kein Volkslied sondern die Melodie stammt von einem gewissen WA Mozart. Und dieser WAM hat da in der dritten Zeile an zwei Stellen ein Kreuz gemalt und an einer dritten Stelle ein Auflösezeichen. Da hätte ich lange raten können und wäre wahrscheinlich nie drauf gekommen.
Moin, moin Ob die Jüngeren den noch kennen? Meine beiden Gören haben ihn beide jedenfalls schon im Alter von vier, fünf Jahren geträllert, man kann sich also auch ohne Mozart an so etwas gewöhnen. Zumindest bei der Älteren steht fest, Mozart hat sie mit so etwas nicht mehr erstaunen können. http://www.lieder-archiv.de/bolle_reiste_juengst_zu_pfingsten-notenblatt_300682.html Viele Grüße Ralf
Nun - ohne konkretes Beispiel könnten es auch Alterierungen der Dominante sein. Oder Modulationen. Oder Extended Dominant. Huch... Theorie!!!
Hallo hpesch, der Fachbegriff in der Musiktheorie für dieses harmonische Phänomen heißt (wenn ich dich richtig verstanden habe) "Doppeldominante". Das ist (in Dur) der Durakkord auf der 2. Stufe (wo normalerweise ein Mollakkord wäre). Die Terz diese Akkordes wirkt als Leitton zur eigentlichen 5.Stufe (der sog. Dominante). Beispiele: Das oben genannte "Komm lieber Mai", Jingle Bells, Bunt sind schon die Wälder, Girl from Ipanema usw. Das sind keine richtigen Modulationen (also das dauerhafte Verlassen einer Tonart) sondern eher Ausweichungen in die Tonart der 5. Stufe (die ein # mehr hat, das dann später wieder zurückgenommen wird). Die von dir beschriebene Erniedrigung wird (z.B.) Folgendes sein: Auf der ersten Stufe (in Dur) steht ein Durdreiklang, im Jazz ein Vierklang mit großer Septime - also ein Majorakkord (z.B. C maj7). Alteriere (ändere) ich diese gr. Septime zu einer kleinen Septime, erkling ein Dominantseptakkord (C7) mit kleiner Sept, die nach unten zieht. Aus dem Grundakkord (der Tonika) ist ein Dominantakkord geworden, der 5 Stufen tiefer hinstrebt. Dort ist die 4.Stufe, die man auch Subdominante nennt. Das sind alles harmonische Phänomene, die man unter dem Namen Zwischendominanten kennt. Wenn du das auf dem Sax spielst, siehst du nur ein # oder b, davon, hinter dem aber eine Akkordbedeutung steht. Ein Stück muss nicht immer nur die Töne der Ausgangsskala benutzen. Z.B. "All of me" ist voller Zwischendominanten und anderer Alterationen, klingt aber völlig logisch. Schwer, so schriftlich und ohne Klavier o.ä. zu erklären Viele Grüße
hpesch schrieb: "Wer kein absolutes Gehör hat, und versucht, eine Melodie nach Gehör zu spielen, kommt mit diesem "Trick" oft in Berührung. Man hat eigentlich die richtige Tonart, aber irgendwie klingt es komisch. So wollte ich letztes Frühjahr "Komm lieber Mai" auf dem Tenor spielen. Ich hatte richtig auf D-Dur "geraten" und spielte also 4 #, E-Dur. Die ersten zwei Zeilen waren auch richtig, aber danach kam es mir komisch vor. Dann besorgte ich mir die Noten und merkte, das ist ja kein Volkslied sondern die Melodie stammt von einem gewissen WA Mozart. Und dieser WAM hat da in der dritten Zeile an zwei Stellen ein Kreuz gemalt und an einer dritten Stelle ein Auflösezeichen. Da hätte ich lange raten können und wäre wahrscheinlich nie drauf gekommen." Also das ist genau die Beschreibung für die Ausweichung in die Doppeldominante. "Komm lieber Mai" besteht formal aus 4 Zeilen à 4 Takten - die ersten beiden bleiben in der Tonart, mit Halb- und Ganzschluss. Dann wurde es - laut hpesch - komisch, und genau dieses Phänomen interessiert ihn: Hier bewegt sich das Ganze nicht mehr harmonisch über D und A sondert "moduliert" kurz über E-Dur (die Doppeldominante) nach A-Dur. Hier gab's zusätzlich Kreuze (das gis von E-Dur bzw. ais auf dem Sax). In der 4.Zeile ist es wie vorher die Grundtonart D-Dur.
Moin, moin Hier in Noten was @Tarogato erklärt hat, wie gesagt der "Dreh" ist bei dem Bolle der gleiche. Viele Grüße Ralf
Mit dem Begriff Doppeldominante wird nicht jeder wissen, was gemeint ist, denn er erklärt nicht wirklich, was passiert. Es geht in den beiden Stücken um die 2. Stufe. Die ist normaler Weise in Moll. Bei Bolle erwarten wir ein Am und beim Mai ein Em. In beiden Fällen wird die Terz nun erhöht; ein schöner Trick, ganz recht, der auch in vielen Standards verwendet wird. Man kann das als eine Dominante vor der eigentlichen Dominante ansehen und nennt es Doppeldominante. Man kann aber auch sagen, dass der zweiten Stufe ein Leitton zur Dominante hinzumodifiziert wird: Das c# (vom A-Dur-Akkord) leitet zum d der Boll'schen Dominante und entsprechend das g# (E-Dur-Akkord) zum a im Mai. Diese "Verdurung" funktioniert auf allen drei Stufen, die in Moll stehen, sehr gut, wenn der nächste Akkord eine Quinte tiefer liegt (Quintfall). Eine iii vi ii V I - Verbindung, z.B. Em Am Dm G C kann so gleich dreimal mit diesem Trick ausgestattet werden: E A D G C oder III VI II V I
'Aint she sweet', zweite Zeile (And I ask you confidentially, ain't she sweet?): C, E7, A7, D7, G7, C Grüße Roland
Sehr hübsch ist der "Music Theorie Song", der im Text alle möglichen gerade verwendeten Phänomene erwähnt. Demnach ist der englische Begriff für Doppeldominante "V of V" - was ja auch irgendwie anschaulicher ist. Viel Spaß!
Danke für die Erklärungen zum Thema! Jetzt weiß ich wenigstens, wie man es bezeichnet und wie man den "Trick" allgemein anwenden kann.