Wer hat auf Barry Harris "umgestellt" ?

Dieses Thema im Forum "Improvisation - Harmonielehre" wurde erstellt von bthebob, 2.Mai.2021.

  1. Juju

    Juju Strebt nach Höherem

    Ich fürchte, das ist dann vielleicht nicht der Weg, denn weniger Arbeit wird es dadurch nicht. BH ist gewissermaßen ein zentraler Schlüssel zum Jazzuniversum im Setting von Funktionsharmonik. Man gehe zurück zum Ursprung und kann damit im wesentlichen beschreiben, was bis etwa 1960 passierte. Jazzkompositionen ala Kenny Wheeler oder Wayne Shorter funktionieren mit der Methode nicht wirklich. Musiker wie Charlie Parker und Bud Powell sind aber auch heute noch absolut richtungsweisend, wenn man sich ernsthaft mit Jazz beschäftigen will. BH versucht zu vermitteln, wie die Musiker damals gedacht haben. Und für Standardrepertoire mit Funktionsharmonik funktioniert es
    Es ist aber keineswegs eine Vereinfachung, im Gegenteil, wenn man erst einmal tief in die Materie eingestiegen ist, fällt es einem wie Schuppen von den Augen, dass z.B das, was Brecker machte, gar nicht "outside" ist, sondern zu großen Teilen ein logisches System, was Parker und Co schon längst benutzten.
    Das Ganze unter Berücksichtigung von Rhythmus und "Movement", denn eine einzelne Skala sagt Dir nie, wo es hingehen soll. Bei Chord Changes geht es aber doch um die Bewegung, eben die Chord Changes, darum heißen sie ja so. "He really makes the changes" heißt ja auch im Jazzsinne, dass der Spieler weiß, auf wie viele Arten er elegant von A nach B kommt.
    Mit anderen spontan mitspielen können, da hilft natürlich, wenn man ein Ohr entwickelt hat, wo es in harmonischen Sinne hingeht. Da kann die BH Methode evtl helfen, so dass man dann die Chord-Progression leichter vorhören kann und typische Wendungen dann eher in den Fingern hat.

    Du findest die Dominantverwandtschaften tatsächlich schon in Parker's Solos. Die Preisfrage ist natürlich, wieviel davon intuitiv war, wieviel auf klassischer Musiktheorie fußte, wie die das damals tradiert haben und ihre Erkenntnisse ausgetauscht haben - Barry Harris ist einer der wenigen Dinosaurier dieser Ära, der es später versucht hat, weiterzuvermitteln.


    LG Juju
     
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  2. bthebob

    bthebob Strebt nach Höherem

    @Dsharlz
    Kurze Rückmeldung meinerseits: VIELEN DANK!

    Hatte vorhin deinen "kleinen Zettel" mit im Proberaum.
    Genau so was hatte ich gesucht.

    Ich weiss jetzt auch, warum ich's zum Anfang in Notenform brauche.
    Geht einfach schneller.
    Ohne -Umwege- kriegste so den Spass in Finger, Kopf und Instrument. :)

    Frage:
    Hast du einen Tipp oder Link, wo ich die Blätter für die anderen "Dur's";)
    herbekommen könnte ?
    VG
     
  3. Werner

    Werner Strebt nach Höherem

    Nachfrage zu den Dominantskalen in der verminderten Verwandtschaft:
    Beispiel in C-Dur (Tonika)
    / G7 / / Cmaj7 / /.

    BH tauscht also G7 mit Bb7 oder Db7 oder E7.
    Spielt er jetzt tatsächlich mixolydische Skalen (plus chromatische Durchgänge)?
    ZB. Db7, die bekannte tritonusvertauschte Dominante wird laut Akkordskalentheorie mit #11, also dem Ton G statt Gb gespielt (weil G der
    Grundton der eigentlichen Dominante G7 ist, damit die Erinnerung an die Ursprung wachhält).

    Entsprechend Bb7 in C-Dur, auch da würde man eher die +11 (statt Eb ein E) spielen, nach Akkordskalentheorie.
    Also BH spielt da dann ein EB?

    Oder ist das nicht definiert bei BH, also nach Lust und Laune?

    Danke im Voraus für Belehrung und Genuß :)!

    VG Werner
     
  4. Juju

    Juju Strebt nach Höherem

    Eventuell liegt die Antwort in dem Video, was ich in Post 35 verlinkt habe, vielleicht wird es da deutlicher. Also Barry Harris denkt ja überhaupt nicht im Sinne von "Modes", von daher würde er jede der vier Dominantverwandten genau gleich behandeln und zusätzliche Halbtonschritte dann einfügen, wenn es die Linienführung erfordert (siehe ab etwa 20:20 in dem Video). Also spielt er ein Eb? Vielleicht ja, vielleicht nein... Also nach Lust und Laune? Nein, keinesfalls nach Lust und Laune, sondern so, wie es die Linienführung erfordert (da liegen die Regeln, eben nicht bei der Akkordskalentheorie, sondern was die Linie im konkreten Fall erfordert). Es ist ein flexibles System, welches von 7-10 Ton Lines bis zu allen 12 Tönen geht (je nachdem wieviele zusätzliche Halbtonschritte eingebaut werden).

    LG Juju
     
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  5. Werner

    Werner Strebt nach Höherem

    Ja danke, so ungefähr dachte ich mir das. (Mit Auswählen nach "Lust und Laune" meinte ich nicht nach Zufallsprinzip, noch nach strengen intellktuellen Regeln die Optionstöne zu wählen, sondern natürlich musikalisch sinnvoll.)

    vG
     
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  6. bthebob

    bthebob Strebt nach Höherem

    @Juju
    Ich möchte kurz danke sagen für deine Video-Links zu -BH-
    "Danke !" :)

    Leider reicht "mal kurz angeguckt" nicht aus, um's in -die Finger zu kriegen- ;)
    Aber das ist Arbeitsmaterial nach meinen Geschmack und auf meinem Sax-Level.

    Ich kann den theoretischen Überlegungen "hinter dem Janzen" noch folgen und
    würde denken, wenn ich's ausdauernd übe, auch irgendwann spielen zu können.

    Ganz wichtig: Die Linien groov'n in meinen Ohren.

    Und Grüsse bitte, unbekanter Weise, deinen Mann.

    Er kommt sehr symphatisch und unaufgeregt (kompetent ja sowieso)
    in der Online-Lehrer-Rolle "rüber". :applaus:

    VG aus Berlin
     
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  7. ppue

    ppue Mod Experte

    Ich kannte Barry Harris bislang nicht. Ich glaube auch nicht, dass so viel "auf ihn zurück zu führen" ist. Er hat seine eigene Methode gefunden, das Bebopmaterial zu durchdringen. Fest aber steht in erster Linie, das Material war schon da. Barry Harris war, als der Bebob entdeckt wurde, noch recht jung. Auch wenn er schon gut Klavier spielen konnte, war er nicht der Entdecker der Bebop-Scale. Man korrigiere mich, wenn ich hier Blödsinn schreibe.

    Ich z.B. habe einen Umgang mit der Dominante bzw. ihrer Substitute auf Basis zweier Skalen, der HT-GT-Leiter (gelb) und der Ganztonleiter (blau). Aus ihr kann ich vier verschiedene Domiant-Skalen zusammen basteln.

    alterierte2.gif
    Dadurch habe ich die aber nicht erfunden, sondern sie lediglich in Teilskalen zerlegt und in allen Variationen wider zusammen gefügt. Um in allen zwölf Tonarten jeweils diese vier Skalen zu spielen zu können, müsste man, rechnerisch gesehen, 48 Leitern einüben.

    Ich brauche dafür nur fünf.

    Wen ich im Monk'schen Stil spiele, reichen mitunter zwei für alle Zwölf Dominanten (-:

    Bebop ist ein gewachsener Stil und man kann ihn auf verschiedene Arten musiktheoretisch betrachten. Musiktheorie kommt eh immer erst nach der Praxis. Der Musiker jammt und der Theoretiker, mitunter auch Pädagoge, muss die verqueren Töne dann zu einer schlüssigen Theorie zusammen bauen.
     
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  8. JES

    JES Gehört zum Inventar

    Möchte mich da vollumfänglich @bthebob anschließen. Schade, dass ihr nicht bei mir um die Ecke wohnt. Bei Dave würde ich sofort Unterricht nehmen.
     
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  9. Juju

    Juju Strebt nach Höherem

    Er ist einer der wenigen verbliebenen Zeitzeugen. Den Begriff Bebop-Scale sollte man besser nicht in Barry's Nähe benutzen, denn dann wird aus dem liebenswerten elderly Gentleman ein feuerspeiender Drache, der Dir ratzfatz den Kopf abbeißt.
    LG Juju
     
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  10. ppue

    ppue Mod Experte

    Hahaha.

    Sorry: sixth-diminished scale natürlich.
     
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  11. Juju

    Juju Strebt nach Höherem

    Das ist ja nicht unmöglich - mein Lehrer lebt in der Nähe von New York, einer von Dave's Schülern wohnt in Capetown...
    LG Juju
     
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  12. The Z

    The Z Ist fast schon zuhause hier

    Das eigentlich tolle am Konzept der sixth diminished scale von Barry Harris ist ja eigentlich dass sie "ganzheitlich" ist. Akkorde und Tonleitern bilden eine Einheit und, noch viel wichtiger, die Auflösung, das Ziel der Line ist immer mitgedacht. Es ist kein statisches Konzept: hier die Tonleiter, hier die Akkorde. Es ist ein dynamisches Konzept.
     
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  13. Jacqueline

    Jacqueline Strebt nach Höherem

    So cool! Ein Hoch auf die Digitalisierung und Globalisierung! Wenn man das Saxophon technisch adäquat zu beherrschen gelernt hat (das geht online nur sehr schwer möchte ich meinen), dann stehen einem so viele Möglichkeiten offen Unterricht zu nehmen und zu lernen :)
    Englisch sollte man ein wenig können, aber selbst das kann man so verbessern.
    Für mich ist es inzwischen normal irgendwelche YouTube Videos auf Englisch zu gucken. Ich verstehe viel, vllt fast alles, auch wenn ich es selber nicht so sprechen kann. Aber das Vokabular erweitert sich dadurch auch stetig.
     
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