Wie umgehen mit "belasteter" Musik?

Dieses Thema im Forum "Eigene (musikrelevante) Themen" wurde erstellt von bebob99, 22.September.2017.

  1. Gelöschtes Mitglied 5328

    Gelöschtes Mitglied 5328 Guest

    Ich denke, dass hat damit gar nichts zu tun. Deutschland hat ja im Vergleich z. B. zu Frankreich, Polen, Ungarn oder den Niederlanden eine verhältnismäßig kleine rechte Bewegung.

    CzG

    Dreas
     
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  2. Tröto

    Tröto Ist fast schon zuhause hier

    Doch,doch, die gibt es schon noch, und je nachdem wie weit Du den Kreis der Opfer auch außerhalb der Konzentrationslager ziehst, ist ihre Zahl beträchtlich.
    Meine Mutter kann sich mehr als nur lebhaft an ihre Angst im Berliner Bunker 1945 erinnern, da war sie sieben.
     
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  3. euroknacker

    euroknacker Ist fast schon zuhause hier

    Um mal wieder ganz an den Anfang dieses Threats zurück zu kommen.

    Es gibt nun mal Musikstücke die werden im Laufe der Zeit auch von Leuten mißbraucht um Propaganda zu machen, deswegen muß ja der Komponist nichtder gleich sclechtes im Sinn gebabt haben als er eine Melodie geschrieben hat die bei den Leuten ankommt.
    Was kann z.B. der Badenweiler Marsch dazu das er von Hitler als solcher Mißbraucht wurde?
    (Auszug Wikipedia)
    Da der Marsch nach der Zeit des Nationalsozialismus unwillkürlich mit Adolf Hitler in Verbindung gebracht wurde, wird er heute von Bundeswehr- und Polizeimusikkorps nicht mehr gespielt. Der erste Leiter des Militärmusikdienstes, Friedrich Deisenroth, legte dies bei der Aufstellung der Musikkorps der Bundeswehr im Jahr 1956 per „Fachdienstlicher Anweisung“ für die Bundeswehr fest. Ausgenommen sind so genannte „Historische Konzerte“, in denen die Entwicklung des Marsches im Allgemeinen sowie die Eigenart landestypischer Märsche aufgezeigt werden sollen. Bei den Aufführungen muss der Marsch dann allerdings den originalen Titel „Badonviller-Marsch“ tragen.

    Wir vom Musikverein spielen ihn aber doch hin und wieder, da es an sich ein schöner Marsch ist. Da steht dann das Musikstück als solches im Vordergrund.
    Man muss natürlich aufpassen zu welchen Gelegenheiten man solche Stücke aufführt, da kann es auch schon mal kritisch sein so etwas auf einem Schützenfrühstück zu spielen kurz bevor um 13 Uhr das Freibier alle ist.
    Nicht das da noch jemand auf die falsche Fährte gelockt wird.

    Für mich persönlich ist aber die Geschichte der Deutschen als solches ebenfalls aufgearbeitet, so das ich rein musikalisch das spielen und hören kann wonach mir gerade der Sinn ist, ohne das ich es mit einem schlechten Gewissen vereinbaren muss.

    Gruß Jürgen
     
  4. Bereckis

    Bereckis Gehört zum Inventar

    Nun - wir reden hier konkret von einen Marsch der von einen Nazi, gewidmet einen Gauleiter, geschrieben wurde. Dieser Marsch wurde nicht von den Nazis missbraucht, sondern diente ihnen konkret.

    Ich habe keine Probleme Symbole und andere Kultur, die von Nazis missbraucht wurde, zu nutzen. Aber Kunst der Nazi nutze ich nicht...
     
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  5. RomBl

    RomBl Guest

    Meine Eltern waren in Berlin zur Zeit des Krieges (meine Mutter Jahrgang 1934 und mein Vater Jahrgang 1930, beide Berliner) und haben die schrecklichen Jahre auch miterlebt. Meine Mutter (und auch meine Oma) haben mir sehr sehr viel von den Kriegsjahren, wie sie sie in Berlin erlebt haben, in meiner Jugend erzählt. Die Nächte, die sie in den Kellern und dort in Angst wegen der schrecklichen Luftangriffe verbracht haben. Das war ein großes Thema in unserer Familie, und über die Erzählungen meiner Mutter bin ich sehr dankbar.
    Ich habe auf meinem Schrank eine Skupltur eines (Berliner) Bären aus Ton stehen, der in den 20ziger gefertigt wurde und den meine Großeltern erworben haben. Meine Mutter erzählte mir, dass die Familie sehr an der Skulptur hing und jedesmal, wenn die Sirenen losgingen und sie in den Keller mussten, den Bären eingepackt und mitgenommen haben.
    Jedes Mal, wenn ich den Bär sehe (und das ist jeden Tag), muss ich an die Erzählungen und Erinnerungen meiner Mutter denken. Und ich meine, dass es extrem wichtig ist, solche Erinnerungen lebendig zu halten, weil so etwas schreckliches nie wieder passieren darf - was aber leider in vielen Regionen der Welt der traurige Fall ist.

    Unter dem Hintergrund hätte ich auch ein Problem, ein Stück eines Komponisten zu spielen, der sich zum Nazi-Regime bekannt hat. Ginge für mich gar nicht.

    Wer keine Eltern hat/hatte, die Erinnerungen an die Kriegsjahre weitergegeben haben, dem sei folgendes Buch ans Herz gelegt:
    https://www.amazon.de/schlug-meiner-Mutter-brennenden-Funken/dp/3499608340
     
  6. Gerrit

    Gerrit Guest


    Ich glaube gar nicht, daß es den von Dir erwähnten „Zwang zur Betroffenheit“ überhaupt gibt.

    Bitte nicht missverstehen, ich stelle Dich in keiner Weise in irgend eine rechte Ecke, aber dieser sogenannte Zwang zur Betroffenheit wird i.d.R. immer von denen erwähnt, die entweder die ganze Geschichte im Vergessen versenken oder sie im Sinne völkischen Gedankenguts umdeuten möchten. Das Erinnern, Gedenken, Mahnen gerät in den Augen dieser Menschen dann zu etwas, das aufgenötigt, befohlen ist, von „Außen“ durchgesetzt, letzten um Macht auszuüben. Man nimmt in solchen Gedankentusammenhängen dann gewissermaßen eine Opferrolle ein, was selbstverständlich eine Verkehrung der Verhältnisse und Sachlage darstellt.

    Noch einmal: ich sehe Dich nicht zugehörigig dieser Gruppe!

    Allein die Vorstellung ist vollkommen töricht und dumm: als könne man einen Menschen zur Trauer zwingen! Ich meine: diesen Gedanken muss man sich doch mal in aller Ruhe auf der Zunge eines aufgeklärten Verstandes zergehen lassen: zur Betroffenheit zwingen! Dies ist vollkommen unmöglich, ebenso wie es vergebliche Mühe ist, einen Menschen zur Freude, zur Trauer oder zur Liebe und zur Empfindung von Schönheit zu zwingen!

    Ich glaube es ist eigentlich eine recht einfache Angelegenheit: wenn man Kenntnis von Vorgängen ungeheuerlicher Unmenschlichkeit erlangt, dann sollte sich in einem, wenn man denn zu Mitgefühl fähig ist, Empörung, Trauer, Betroffenheit regen. Diese Gefühle sind vollkommen berechtigt und
    die angemessene Antwort auf solche unsagbar grausamen Ereignisse. Solche Regungen sind Ausdruck der Menschlichkeit und niemand muss sich ihrer in irgend einer Weise schämen.

    Meinem Sohn und mir standen in Sachsenhausen die Teänen in den Augen, aber wir schämten uns ihrer nicht!

    Aus meiner Sicht kommt es nur darauf an: sachlich, nüchtern Aufklären!

    Es ist beinahe so wie wenn man sein Horn bläst: man bietet dem Zuhörer etwas an. Das ist die Aufgabe dessen, der auf der Bühne steht, für seine Empfindungen ist der Zuhörer im Grunde allein zuständig.

    Man kann also lediglich mitteilen und erklären, erinnern und, sofern man Kinder in ihrer Entwicklung begleitet, dafür Sorge tragen, daß sie Mitgefühl als etwas Kostbares, Menschliches erfahren und rechtzeitig lernen, ihren Gedanken und Regungen freimütig Ausdruck zu verleihen.
     
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  7. quax

    quax Gehört zum Inventar

    Das waren vor uns gewiss wilde NS-Zeiten und deren Oper werden bald verschwunden sein, zumindest in personam.
    Aber die Folgen oder Auswirkungen dieser Jahre bleiben.
    Wir tragen alle keine Schuld an den damaligen Ereignissen. Wie sollte das schon rein physisch möglich sein? Die Relativierung setzte aber schon früh ein, als es noch Schuldige gab. Nicht erst seit 2017 gibt es Leute , die laut krakeelen, dass es doch mal gut sein muss.
    Und irgendwie ist das heute (sic) auch nicht mehr ganz falsch, denn ebenso wie es bald keine Opfer mehr gibt, wir es auch keine Täter mehr geben.
    Ich sehe aber nicht, dass es schadet, sich mit dieser dunkle Zeit zu beschäftigen. Eine persönliche Schuld empfinde ich dabei nicht. Manches verleitet zum fremdschämen oder führt zu Betroffenheit. So richtiger tiefer Betroffenheit und Mitgefühl über einen Zeitraum von über siebzig Jahren zurück.
    Und Mitgefühl und Verantwortung sind hier auch folgerichtig und legitim. Ich bin letztlich einer der Profiteure, so wie mancher von euch auch. (Jetzt guckt nicht so bös)
    Ohne tausendjähriges Reich wäre meine Mutter nicht gezwungen gewesen als Sechsjährige übers gefrorene Haff zu flüchten, hätte keine unvergessliche Bombennacht in einem Fischkutter verbracht und hätte in der Folge auch nie meinen Vater kennengelernt. Die Geschichte der NS-Zeit betrifft mich also so unmittelbar wie es nur sein kann.
    Wie aber kann ich dies als gut und selbstverständlich hinnehmen und gleichzeitig sagen Nun lasst es mal gut sein mit den Nazigräueln, konzentrieren wir uns lieber auf deutsche Poesie und Heldenmut?
    Mitte der 60er, mitten in Deutschland habe ich als Knirps noch "lustige" Abzählreime gehört und gelernt. Nein eigentlich nicht gelernt, denn auch einem Kind kann so was schon irgendwie widerlich sein.
    Das fing an mit "Hinter einer Bude saß ein ... hat den Kopf voll Läuse enemene Mäuse.." den Rest habe ich glücklich vergessen. Glaubt ihr die älteren Kinder hatten ich das selbst ausgedacht? Neunzehnhundertsechzigundirgendwas mitten in Deutschland?
    Aber ein paar dieser Älteren stellen sich jetzt hin und meinen, dass es nun aber endlich gut sei. Nichts ist gut wenn man nicht zu seiner ganzen Geschichte steht. Mit Schuld hat das nichts zu tun.
    LG quax
     
  8. bebob99

    bebob99 Strebt nach Höherem

    Ich befürchte eher, dass die "Vollpfosten" ideologisch gefüttert und aufgewertet werden, anstatt deren ideologische Ankerpunkte langsam auszutrocknen. Wenn jetzt jemand den Marsch spielt, wird nicht mehr assoziiert dass er gespielt wird, weil er einem einfach gefällt, OBWOHL der Komponist ein Nazi war, sondern WEIL er einer war. Wie schon erwähnt, ich häng' nicht an dem Marsch, nicht an dem und auch an keinem anderen. Sollen sie von mir aus alle verbieten. Ich habe trotzdem das Gefühl, dass auf diese Art Probleme erzeugt werden, wo vorher keine waren. Niemand hat sich angepisst gefühlt und als Musiker hattest Du bestenfalls damit zu tun ob die Intonation oder der Einsatz korrekt ist. Jetzt bist Du als Zuhörer genötigt, lautstark Deinen Unmut zu zeigen und als Musiker musst Du natürlich ebenfalls verweigern. "Die öffentliche Meinung" verlangt das. Macht das einer nicht, dann doch bestimmt, weil er mit der Ideologie symphatisierst DER $%%& NAZI!

    Nochmal, es geht mir nicht um den Marsch, sondern dass das Spiel immer und immer wieder mit anderen Variablen gespielt wird aber jedes mal auf's gleiche raus kommt. Beispiel? Die Forderung nach einer vorsorglichen Überwachung aller Bürger und Zensur des Internets "um den Kinderporno Verbrechern das Handwerk zu legen". Da MUSS man doch dafür sein, alles andere wäre undenkbar. So, und nun erklär mal jemandem, dass Du das mit der Bespitzelung der Bürger und dem Einbau von amtlicher Schadsoftware in die Computer und Mobiltelefone nicht für so eine gute Idee hältst, wohingegen es genau überhaupt nichts in der Sache hilft... Da stehst Du sofort als Perverser da.

    Ich fühle mich von sowas genötigt. Die Gruppe, die man damit eigentlich treffen will lacht sich nur krumm und macht eben was anderes.

    Irgendwie behagt mir auch die Vorstellung nicht, dass man erneut beginnt, Kunst zu verbieten, weil deren Schöpfer aus oh ja, sehr verständlichen Gründen in Ungnade gefallen sind. Diese Kiste sollte man nur sehr vorsichtig öffnen.

    Ich glaube nicht, dass die Grausamkeiten rasch vergessen würden, wenn man nicht permanent jede noch so kleine Nahebeziehung plakativ demonstriert. Ganz abgesehen davon, dass meine "Erinnerung" daran ja auch nur Hörensagen ist. Den Opfern wäre weit mehr Ehre erwiesen, wenn wir eine positive Kultur vorleben, in der Diskriminierung nur noch ein verstaubtes Wort aus der Geschichte ist. Jedenfalls mehr als dauernd auf irgendwas altes zu zeigen und "oh, ein Pösewicht" zu rufen.

    Ich bin aber wirklich überzeugt, dass man anfangen sollte die meisten Scherben zusammenzuräumen und auf den Müll zu bringen. Man muss nicht dauernd in die Splitter treten um sich daran zu erinnern dass Großvater mächtig Sch... gebaut hat. Eine Wiedergewinnung von belasteten Gebieten, wie etwa Begriffen wäre ein Anfang. Die Dinge bekommen ihre Bedeutung nicht durch den Namen, sondern durch den Kontext. Vor den Nazis war "Heimat" ein guter und positiv besetzter Begriff. Die haben das pervertiert und heute muss man sich erklären, wenn man ihn benutzt. Ja aber was soll man denn stattdessen sagen? Wie soll man das nennen, wenn man sich in einer Gegend sauwohl fühlt, weil man hier aufgewachsen ist, seine Familie und Freunde da hat, weil einem der Anblick gefällt und man immer wieder dahin zurück will? Das kann so klein wie ein Dorf sein, eine Region, ein Land, oder auch ein Kontinent. Wenn es einmal interstellare Reisen gibt, werden die Raumfahrer "ihre Erde" doch sicher auch als "Heimat" bezeichnen. So etwas wieder in positivem Sinn zu etablieren raubt uns nicht die Erinnerung oder den Schrecken der Vergangenheit. Die Leute assoziieren die Begriffe mit dem Kontext in dem sie verwendet werden. Präsentiere ich dauernd eine lodernde Hölle, dann wird der Begriff immer dämonisiert und im Grunde der Kultur geraubt. So sehe ich das immer wieder. Verborgene Tretminen die einen immer im falschen Moment mit brauner Soße anschütten wollen - das kann man nicht, das darf man nicht, das könnte "belastet" aufgefasst werden.

    Wenn ich mir die Typen ansehe, die bei Euch und wahrscheinlich auch bei uns bald im Parlament sitzen, DA würde ich mal laut "politisch unkorrekt" rufen oder "Verhöhnung der Holocaust Opfer". Das ist doch eine ganz andere Größenordnung als ein Musikstück von dem es bisher keinen gejuckt hat, was der Komponist für ein Spinner war oder nicht.

    Kathmandu wäre schon eine Reise Wert, aber bestimmt nicht wegen so eines blöden Symbols.

    Das hat wohl damit zu tun, dass mir, wie schon an anderer Stelle erzählt scheinbar ein Sensor für das kollektive und assoziierte "wir" fehlt. MEINE Geschichte beginnt mit der Geburt und umfasst die Dinge die ICH in meinem Leben gesagt und getan habe. MEINE Geschichte endet mit meinem Tod. Eine wie auch immer gestaltete Identifizierung mit Gräueltaten, Heldentaten oder sportlichen Leistungen Anderer, sei es in der Vergangenheit oder Gegenwart hat sich bei mir nie entwickelt. ICH bin nicht Papst, ICH habe nicht die Weltmeisterschaft gewonnen und ICH habe mit den politischen Systemen der Vergangenheit oder Gegenwart nichts zu tun. Da gibt es kein "wir". Wieso muss ich also "dazu stehen", was die Generation meiner Großeltern verbockt hat? Das war furchtbar, versuchen wir, es besser zu machen. Ich muss dazu stehen was ICH mache. Das ist Aufgabe genug. Aber ich versuche aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen, auch von Fehlern die andere schon vor mir gemacht haben.

    Ich fühle mich Euch nicht deshalb verbunden, weil ihr zufällig das gleiche Instrument spielt wie ich, sondern weil man mit Euch gut quatschen kann. Ein "wir Saxophonisten müssen zusammenhalten" ist beispielsweise kein Maßstab für mich. Das Zusammenhalten schon, aber das an einer fiktiven und zufälligen Eigenschaft festzumachen wie "spielt das gleiche Instrument", "jubelt für den gleichen Fußballverein", "spricht die gleiche Sprache", "ist innerhalb der gleichen (fiktiven) Grenze geboren", "ist durch die gleiche Straße gewandelt", "hatte auch Vorfahren die gemordet/gelitten haben", den Teil krieg ich nicht hin. Das ist im Grunde nur eine andere Form zu sagen, "wer nicht 'wir' ist, gehört nicht dazu, ist anders zu behandeln". Es dient in erster Linie dazu um sich von anderen abzugrenzen, die eben nicht "wir" sind. In den meisten Fällen sind das doch auch fiktive Personen, die mit meinem Leben überhaupt nichts zu tun haben. Wie sollen denn die zu einem "wir" mit mir werden?

    Entsprechend kann ich auch mit "Wir Deutschen/Österreicher/Nachkommen müssen ..." nichts anfangen.
     
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  9. Gelöschtes Mitglied 5328

    Gelöschtes Mitglied 5328 Guest

    Ich sehe das so....

    Stücke, die Nazis (für Nazis) geschrieben haben, würde ich nie, nie spielen!

    Stücke, die es vorher schon gab und von den Nazis mißbraucht wurden, spiele ich natürlich, alleine schon um diese "Vergewatigung" deutlich zu machen.

    Und ja, ich habe keine Schuld, aber Verantwortung! Alleine deshalb darf dieses Thema m. E. nicht in der Versenkung verschwinden.

    CzG

    Dreas
     
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  10. GelöschtesMitglied4288

    GelöschtesMitglied4288 Guest

    Natürlich gibt es noch welche!
    Und viele unendlich traumatisierte Hinterbliebene.
    Lies mal hier beispielsweise! Auch wenn das schon ein paar Jahre her ist, glaube mir, es ist immer noch aktuell und die Wunden sitzen extrem tief:

    http://www.hagalil.com/archiv/99/03/2nd-gener.htm
     
  11. ToMu

    ToMu Strebt nach Höherem

    12 Töne gibt es bis zur Oktave ( der nächsten) 12 Töne die missbräulich genutzt wurden/werden.
    wieviele Buchstaben hat das Alphabet das missbräuchlich genutzt wurde/wird?

    betrachtet man die Historie von anderen, sogenannten Empire-Staaten gäbe es wirklich viel Diskussionsbedarf.
     
  12. Gerrit

    Gerrit Guest

    Meine Mutter berichtete, sie habe sich sich in den Straßengraben gestürzt, als sie mit dem Fahrrad über Land unterwegs von einem tiefliegenden Jagdflieger unter heftigen Beschuss gebommen wurde. Hätte der Schütze genauer gezielt, könnte ich heute diese Zeilen nicht schreiben.

    Mein Grundschullehrer war als junger Mann an der Ostfront unterwegs. Wehrmachtssoldat, Panzereinheit. Als er Polen durchquerte, so erzählte er uns mit Tränen in den Augen, sei er mit seinem Verband in einiger Entfernung an großen Lagern verbeigezogen. Er habe wie alle anderen auch die Schornsteine rauchen gesehen und den unerträglichen Geruch wahrgenommen. Später geriet er in russische Kriegsgefangenschaft, Sibirien...

    Meine Mutter sprach gelegentlich von ihrem Großonkel: er sei ihr als ein überaus freundlicher und herzlicher Mann erschienen. Leider, so fügte sie hinzu, habe sie’s ich nie getraut, ihn zu seiner Vergangenheit zu befragen: er sei Mitglied der Waffen-SS gewesen und habe in der Reichsstandarte Adolf Hitler seinen Dienst versehen.

    Das alles ist nicht mein Leben, aber es ist ein Teil meiner Geschichte.

    Wie verhält es sich nun mit ihm? Da wir hier grundsätzlich über Musik sprechen sei mir folgender Vergleich erlaubt:

    Ich höre John Coltrane, zunächst „Ascension“, dann „A Love Supreme“. Die erste Aufnahme erschüttert mein Herz, lässt es sich abwenden, die zweite berührt es: es fühlt sich erhoben. Zwei Werke John Coltranes, die unterschiedliche Gefühle, Gedanken und Haltungen in mir hervorrufen, wenn ich mich mit ihnen beschäftige. Ich weiß: das eine Werk dieses Meisters ist ohne das andere nicht denkbar, und wenn ich heute mein Horn blase oder Aufnahmen Michael Breckers oder Kenny Garretts höre, ist mir bewusst, daß ohne die o.g. Arbeiten das, was gerade vor meinem Ohr erklingt gar nicht möglich wäre.

    Wenn wir heute unsere Stimme abgeben, so denken wir, angeregt durch unseren schönen Gedankenaustausch, wohlmöglich daran, daß die Wahlurnen möglicherweise für uns nicht bereit stünden ohne auch die grausamsten Ereignisse der Geschichte, aus denen sich aber unser Grundgesetz erhob. Was für ein Geschenk!
     
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  13. quax

    quax Gehört zum Inventar

    Software spinnt ein wweing rum
     
  14. quax

    quax Gehört zum Inventar

    :) Damit hast Du sehr schön erklärt, was Du im ersten Satz eigentlich negiert hast!
    In welche Splitter bist Du denn da tatsächlich getreten? :-?
    Wir bilden laufend irgendwelche Grüppchen (Familie, Firma, Forum,..) in denen wir die Leute anders behandeln als Außenstehende. So what?
    Und dennoch fühlst Du Dich betroffen?

    Ich glaube ein nicht geringer Teil der Probleme kommt daher, dass Begriffe wie Schuld, Verantwortung (persönliche) und verantwortlicher Umgang fröhlich in einen Topf geworfen werden. Niemand, der ernst genommen werden will, kann Dir oder mir eine Schuld oder Verantwortung für Ereignisse vor siebzig Jahren anlasten. Das wäre nur albern. Wir selbst können aber versuchen, mit dem Wissen darum verantwortlich umzugehen. Ob dabei nun irgendeine Kapelle irgendeinen Marsch spielt ist wohl eher so egal, wie der sprichwörtliche Sack Reis in China. Aber du hast es selber gesagt:
    Damit benutzt man als Referenz für die eigene Geschichte etwas was Jahre vor der Geburt lag. Damit wird man aber auch Teil dieser Geschichte.
    LG quax
     
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  15. Nilu

    Nilu Ist fast schon zuhause hier

    Wie umgehen mit "belasteter" Musik?

    Ja, warum sollte man militärische Märsche noch spielen?
    Wie klingen die eigentlich?
    Woran denkt man da beim Spielen oder Zuhören?
    Was könnte da einem daran gefallen? - frage ich mal in dir Runde.
     
  16. bebob99

    bebob99 Strebt nach Höherem

    Nein, das glaube ich nicht. Ich glaube, es ist eher das Gegenteil der Fall, nämlich, dass es in Wirklichkeit bei uns KEINEN unverkrampften Umgang mit diesem Teil der Geschichte gibt. Das zeigt sich daran, wie schwer es ist, überhaupt darüber zu sprechen, ohne sofort einer von zwei extremen Positionen zugeordnet zu werden. Warum muss das Thema dermaßen polarisieren?

    Wenn ich die Berichte von damals lese, die Bilder und Videos sehe, die Gedenkstätten besuche, krampft sich mein Herz zusammen. Die Vorstellung von solch unsäglichem Leid treibt mir die Tränen in die Augen. Das Bewusstsein, dass auch meine Vorfahren wahrscheinlich daran beteiligt waren macht mich traurig. Aber das gleiche empfinde ich auch, wenn ich die dürftigen Berichte über die Massaker in Ruanda, Srebrenica, Syrien und vielen anderen Gebieten der Erde höre. Nicht Geschichte, sondern Gegenwart. Von den Einen trennt mich die räumliche Distanz, von den Anderen die zeitliche.

    Unverkrampft wäre der Umgang, wenn solche Geschehnisse vergleichbare Reaktionen auslösen würden. Das ist klar NICHT der Fall. Furchtbare Dinge passieren hier und heute, aber wir stehen immer noch versteinert vor den monströsen Erinnerungen der Vergangenheit wie das Kaninchen vor der Schlange.

    Wir wissen, dass unsere Vorfahren einem kollektiven Wahnsinn verfallen waren und dass viele sich auch später davon nicht lösen konnten. Das war nicht nur in Deutschland und Österreich viel, viel weiter verbreitet als man auch heute noch zugeben will. Das "ich kann mich nicht erinnern" und "das hat damals doch keiner gewusst" ist völliger Blödsinn. Natürlich haben sie es gewusst, haben ihre Nachbarn denunziert, ihre Lebensgrundlage zerstört, ihr Eigentum gestohlen. Ja, vermutlich haben die wenigsten persönlich jemandem das Leben genommen - dazu hatten sie ihre Organisationen.

    Aber es fängt schon wieder genau so an. Schon wieder werden Menschen in Lager gesperrt, schon wieder verteufelt man sie mit Bausch und Bogen als Terroristen, Schmarotzer, Untermenschen, die man weg sperren und "entsorgen" soll. Wir bezahlen Despoten, damit sie notleidende Menschen aus unserem Gesichtsfeld halten und machen die Augen fest zu um nicht zu sehen, WIE sie das machen.

    Dass mir in 30 Jahren keiner kommt und sagt "das hat doch keiner gewusst"!

    Ich denke, dass die Rechtswelle schon auch damit zusammen hängt, dass die Menschen ganz konkrete Ängste haben und die politischen Haupt Akteure sich diesen Ängsten eben nicht angemessen und unverkrampft stellen. Viele Menschen sehen keine Perspektive in ihrem Leben. Die Ausbildung wird ausgehöhlt und anstelle von breiter, gesellschaftlicher Bildung wird nur noch kurzfristig monetarisierbares Wissen vermittelt. Schnell billige Arbeitskräfte produzieren. Man sieht sich mit solch reduzierten Fähigkeiten zunehmend in Konkurrenz mit Menschen die noch verzweifelter sind und das noch billiger machen und mit der Abwanderung von Produktionsstätten in Billiglohnländer konfrontiert. Automatisierung lässt jetzt schon und noch mehr in der Zukunft immer mehr Einkunftsmöglichkeiten weg brechen. Auf der anderen Seite bilden sich gigantische Mega Konzerne, die ohne irgendwelche Regeln befolgen zu müssen alles Kapital und mittlerweile auch die politische Macht an sich reißen ohne auch nur irgend etwas an die Gesellschaft, die sie ausbluten lassen zurück zu geben. Die eine Seite verkündet voll Begeisterung, wie gut die Wirtschaft brummt und wie gut es "uns" geht, die andere erklärt den ohnehin schon verängstigten Menschen, dass die noch ärmeren daran Schuld sind. Etwa wie in dem "Witz"
    Nix gegen Banker. Einer meiner besten Freunde ist Banker, aber es verdeutlicht in etwa unsere derzeitige Situation.

    Die Ängste eines zunehmenden Anteils der Bevölkerung werden pauschal als rechts nationalistisch abgekanzelt und sind damit jenseits einer ernsthaften Diskussion. Abgestempelt und ausgegrenzt. Unverkrampfter Umgang mit der Geschichte sieht anders aus. Nur gehen die Ängste damit nicht weg, die zugrundeliegenden Probleme werden weder angesprochen noch gelöst. Klar wählen die eine Gruppe, die ihnen das Blaue vom Himmel verspricht, wenn sie nur endlich diese "Kanacken und Schmarotzer" los werden. Es klingt ja auch so logisch. Immer feste nach unten treten, dann kommt man langsam nach oben.

    Oh ja. Die Schrecken der deutschen (und österreichischen!) Vergangenheit machen die Verbrechen Anderer nicht kleiner. Aber es reicht völlig, mit der Nazi Keule zu schwingen: "Ihr Deutschen habt es gerade nötig, über UNS zu urteilen" und schon zucken alle Verantwortlichen zusammen als hätte sie der Blitz getroffen und jede Diskussion ist bereits im Keim erstickt.

    Da wäre es mal an der Zeit klarzustellen "Wir sind nicht unsere (Ur)Großeltern und selbstverständlich haben wir die Pflicht, Unrecht zu thematisieren, vergangenes wie gegenwärtiges."

    Da hast Du bestimmt Recht. Sprache ist oft unscharf und auch die persönliche Einstellung ist oft schwer genau abzugrenzen. Im Zusammenhang sollte mit der Zeit erkennbar werden, welche Bedeutung gemeint ist.

    Besonders "Verantwortung" verknüpfe ich beispielsweise immer auch mit einem persönlichen Risiko das man da zu tragen hat. Wenn man als "Verantwortungsträger" sich diese beispielsweise gut bezahlen lässt, das Risiko aber andere tragen müssen, sehe ich eine Diskrepanz.
     
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  17. bebob99

    bebob99 Strebt nach Höherem

    Ich mag sie nicht. Das Aufmarschieren, der Kontext, die Musikart. Ich kann aber bei einigen Märschen nachfühlen, warum die Menschen aufspringen, sich an die Brust schlagen und laut mit singen. Sie vermitteln ein "boah, sind wir großartig!" Gefühl - speziell nach ein paar Bier und speziell, wenn "wir es den Bayern damit so richtig rein sagen können" ;)

    Deshalb wurden sie komponiert und es funktioniert immer noch. Selbst dann, wenn man mit dem ganzen Zeug eigentlich gar nichts am Hut hat.

    Ein Beispiel: "Dem Land Tirol die Treue".

    Das rührt tief am Selbstverständnis, verbreitet Nostalgie über verlorene und "bessere" Zeiten. Viel "Heimat", wenig "Blut". Da fühlt man sich gerne fest verwurzelt. Tiroler oder nicht.

    Das ist in Bayern oder "Preußen" wahrscheinlich nicht so der Renner, geht bei uns aber immer. Gerade Märsche mit Südtirol Bezug werden gerne gehört und auch gespielt.
     
  18. Claus

    Claus Mod Emeritus

    Ganz schwieriges Thema.

    Wann ist Musik "belastet"?

    Es scheint schnell ein Konsens hergestellt, dass Musik belastet ist, wenn der Schöpfer ein Mensch ist, den wir wegen seiner Geisteshaltung verabscheuen und die Musik eigens zu dem Zweck geschaffen wurde, für eben diese Geisteshaltung zu werben, sie in irgendeiner Form zu unterstützen.

    Wenn ich das weiß, würde ich das betreffende Musikstück aus Protest auch nicht spielen.

    Aber schwerer tun wir uns offensichtlich, wenn nur eines der o.g. Merkmale erfüllt ist. Also an sich "unschuldige" Musik mißbraucht wurde, um eine bestimmte Gesinnung zu unterstützen oder Musik ohne diesen Zusammenhang von jemandem geschaffen wurde, dessen Charakter wir verabscheuen.

    Im ersten Fall würde ich persönlich für mich differenzieren: eigentlich hätte ich weniger Probleme, die Musik zu spielen, aber ich könnte mir auch Situationen vorstellen, wo ich es für unangebracht halten würde, wenn damit Gefühle von Zuhörern verletzt würden.

    Beim zweiten Fall bin ich mir offen gesagt unsicher, was richtig ist. Teilt Kunst zwangsläufig das Unwerturteil über ihren Schöpfer? Was ist, wenn der Komponist vielleicht kein Nazi, aber möglicherweise sonst ein fieser Typ war, der sich an ein anderes diktatorisches Regime angebiedert, seine eigenen Kinder mißbraucht oder etwa mit harten Drogen gedealt hat?

    Muss ich erst mal drüber nachdenken.
     
  19. GelöschtesMitglied1589

    GelöschtesMitglied1589 Guest

    Musik ist eine Form von Kommunikation, und wenn die Kommunikation durch ideologischen Missbrauch geschädigt ist, ist leider auch das Musikstück geschädigt. Für mich persönlich war es eine schlechte Entscheidung, nach dem 2. Weltkrieg die Melodie des Haydn Quartetts noch einmal für die deutsche Nationalhymne zu bemühen, schwingen doch immer noch die ehemaligen Aussagen "Make Germany Great Again" und "Germany First" mit, die unsägliches Leid und Schuld über uns gebracht haben.
    Auch ich hatte als junger Erwachsener die "Aha-Situation", als ich unvorbereitet auf einer Rückfahrt aus Finnland einen Stopp in Bergen-Belsen machte und erkannte, dass Schuld und Grauen dieser Dimension nicht aus menschlicher Hand Vergebung finden können. Das Gefühl in diesem KZ-Mahnmal kann ich bis heute nicht in Worte fassen.
    Wenn dann ein sattsam bekannter Epigone der jüngeren nationalistischen Bewegung von einem "Mahnmal der Schande" in Berlin spricht, werde ich unglaublich traurig und zornig zugleich und könnte mir nie und nimmer vorstellen, aus seinem Munde ein "Einigkeit und Recht und Freiheit" zu vernehmen und dazu mitzusingen.
    Fazit: ist Musik missbraucht worden und würde für bei öffentlicher Aufführung als Gedenken und Ermutigung für schreckliche Ideologie dienen können, würde ich die Hände davon lassen.
     
  20. Pil

    Pil Strebt nach Höherem

    Meine Meinung dazu:
    Ich finde die Kritik der Zeitung berechtigt. Die Anregung für eine zukünftliche Zensur ist wohl schade, wohl dann doch notwendig.
    Mag sich der Kapellmeister damit rechtfertigen, dass der Marsch nicht verboten sei, entzieht er sich nicht unbedingt einer ethischen Eigenverantwortung.
    Dann werden wohl auch mehr Richtlinien und im einzelnen Verbote ausgesprochen werden müssen.
    Mit Sicherheit hätte ich weder den Titel noch den Komponisten erkannt. Daraus wohl auch nicht den Hintergrund erahnen können.
    Möglicherweise ist auch der Redakteur nicht von selbst daraufgekommen, sondern eher von jemanden informiert worden, dem das wohl eher zu Recht gegen den Strich ging.
    Ich vermute sogar, das der Titel über Jahre aufgeführt wurde ohne dass es jemanden auffiel.
    Im Nachhinein wäre ich dem Ganzen beigewohnt, würde ich mich dann wohl auch veräppelt vorkommen, wenn einer vor meiner Nase bewußt so ein Theater aufführt und die eigentliche Absicht grinsend verschweigt. In dem Falle ist die Stadt München als Veranstalter dann doch gefordert dies in Zukunft vorher zu unterbinden.
    Im einzelnen wird der Einzug der Kapellen live übertragen. Die ganze Welt sieht zu. So ein Szenario schadet dem Ruf.
    Wo ginge die Zensur dann los?
    Wäre dann das Jennerweinlied in dem es sich um einen Wilderer handelt, der in Selbstjutiz vom Jägererschossen wurde eine Aufforderung zu Straftaten?
    Wohl dann doch nicht. Irgendwann kommen wir in Kuba an, dass nur noch politisch korekt oder neutrale Texte zugelassen werden.
    Dann werden wir wohl nur noch "El Quarto de Tula" besingen dürfen. Damit meine ich dann wird es inhaltlich sehr seicht.

    LG
    Pil
     
    Bereckis gefällt das.
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