Wiedereinstieg nach Gesichtslähmung

Hallo liebe Leute!

Kurze Vorgeschichte: Vor 12 Jahren habe ich mir meinen Traum erfüllt und mit dem Altsax spielen angefangen. Ich habe mir den Unterricht mit einem Nebenjob selbst finanziert, bin dann schnell Teil diverser Bands und Big Bands geworden und habe musikalisch mehr erreicht, als ich persönlich je zu träumen gewagt hätte. Eine wunderbare Zeit!
Eines Morgens dann, bin ich mit starken Nackenschmerzen aufgewacht. Nichts dabei gedacht (liegt bestimmt am neuen Bett...), ab zur Uni und plötzlich wurde die rechte Gesichtshälfte taub. Nichts ging mehr. Diagnose: Halbseitige Facialisparese oder zu Deutsch: Gesichtslähmung. Tolle Wurst!

Das ist jetzt zwei Jahre her. Von den unzähligen Arztbesuchen und psychischen Folgen fange ich gar nicht erst an. Ich kann nur sagen: Leute, stresst euch nicht! Diese Gesichtslähmungen entstehen anscheinend heutzutage in 90% der Fälle stressbedingt. Ich hatte zu der Zeit sehr viel Stress und kann heute in stressigen Zeiten auch ganz eindeutig spüren, dass es mit der Lähmung wieder schlechter wird. So ein Frühwarnsystem hätte ich vorher besser gebrauchen können

Seit der ganzen Geschichte geht saxophontechnisch gar nichts mehr. Anfangs habe ich keinen Ton mehr herausbekommen und das ging so über ein Jahr, obwohl rein optisch alles wieder ziemlich normal aussah. Ich dachte es klappt nie mehr. Vor ein paar Wochen (ziemlich genau anderthalb Jahre nach der Lähmung) habe ich es noch einmal versucht und siehe da, ich konnte immerhin etwa eine Viertelstunde spielen! Heureka, als könnte ein Querschnittsgelähmter wieder auf eigenen Beinen stehen!

Ich schreibe das hier, weil ich mir damals genau so einen Foren-, Blog- oder sonstigen Beitrag von Betroffenen im Internet gewünscht hätte.

Jetzt zur eigentlichen Frage: Gibt es hier im Forum jemanden, der ähnliches erlebt hat? Vielleicht sogar jemanden, der wieder spielen kann wie früher? Wie würdet ihr den Wiedereinstieg angehen? Was soll ich mit dem Ansatz machen? Ich habe nur wenig Kontrolle über die Lippenmuskulatur in der Oberlippe rechts und bei Überanstrengung bekomme ich Krämpfe in der Kiefermuskulatur - da sind wohl irgendwelche Nerven falsch zusammengewachsen oder sowas. Die nerven, die Nerven! Wenn ich das Mundstück nicht mittig, sondern weiter rechts in den Mund nehme, dann kann ich länger spielen. Macht es Sinn, das dann so beizubehalten oder ist es vielleicht sogar kontraproduktiv, weil die Muskulatur dann eher einseitig trainiert wird?

Ich bin gespannt auf etwaige Antworten!

Beste Grüße
SC

 

Hallo @StrangerCole
Ich hatte eine solche Gesichtsnervlähmung Anfang der 90iger Jahre, ob wegen Stress oder anderer Ursachen, keine Ahnung.
Jedenfalls ist das sogenannt "konservativ" behandelt worden, d.h. ohne Cortison, nur mit Elektrostimulation der Gesichtsnerven. Nach 3 Monaten sagte man mir, so, besser wird es nicht, obwohl es noch nicht gut war, und ich hätte ja noch Glück, hätte ja auch sein können, dass ich wie Karl Dall aussehe danach.

Letztlich blieb in der Oberlippe ein kleiner Nerv taub, der einfach nicht mehr wollte, und bis heute nicht wirklich will, also kompensiert werden muss.

Saxophonspielen wurde mühsam, ich hatte meinen Ansatz und meinen guten Ton ziemlich verloren, und bekam das auch nicht wieder richtig hin. Seltsamerweise ging das Flötespielen wieder sehr gut, mein Saxdoc meinte damals, das wäre der Tod jedes Flötenspiels. Aus diversen Gründen machte ich dann von ca 2000 bis ca 2005 weitgehend Pause mit dem Saxophonspiel, ging Im lieber Tanzen als im Übungsraum vor mich hin zu üben, hatte auch keine Band als Motivationshelfer.

Schließlich lernte ich einen Trompeter kennen, und in dessen Salsaband wollte ich unbedingt wieder spielen, und so legte ich wieder los. Nach der langen Zeit und den Folgen der Lähmung ging das richtig schlecht. Ich hätte einfach wie ein Anfänger bei Null anfangen sollen, aber nahm mir natürlich mein früheres Setup und legte los, oder besser versuchte es.

Im Endeffekt musste ich meinen gesamten Ansatz komplett umstellen. Dabei haben mir entscheidende Hinweise, die ich in diesem Forum aufgeschnappt habe, und die eigentlich gar nix damit zu tun hatten, unendlich viel geholfen, weswegen ich diesem Forum bis heute zutiefst dankbar bin.

Meinen zu kompensierenden Gesichtsnerv habe ich durch regelmäßiges Üben mit dem Silencer auch auf Trapp bekommen. Soll heißen, ich bemerke sein Fehlen praktisch gar nicht mehr, zumindest nicht, solange ich regelmäßig übe. Zusätzlich hat der Silencer auch großen Anteil daran, dass ich heute anders als früher klinge, aber ansatztechnisch viel variabler geworden bin.

Mein Tipp an dich wäre also: Fange von ganz Vorne an und erarbeite dir das Saxophon Stück für Stück wieder. Da ist die gleiche Geduld gefragt, wie als absoluter Anfänger, und auch die gleiche Frusttoleranz. Dann wird es ganz bestimmt auch wieder werden.

Gruß,
Otfried

 

Ich wünsche dir viel Ausdauer und Geduld. Bitte nicht aufgeben, das Training kann stimulierend sein und die Genesung fördern. Beste Wünsche

 

Hallo StrangerCole

Auch ich wünsche dir Geduld und Erfolg beim Wiedereinstieg.
Ich habe seit 3 Wochen (Ziehung eines Weisheitszahns) eine taube Unterlippe (linke Hälfte, samt Kinn und Zähnen unten links). Im Moment kann ich auch nur ca 5 Minuten spielen, bevor ich mir in die Lippe beiße, was ich allerdings gar nicht richtig bemerke.
Ich denke, dass Otfried sehr wichtige Hinweise gibt, deren Quintessenz ist: GEDULD und Politik der kleinen Schritte.
Ich drücke die Daumen.
Uli

 

Zur Frage des einseitigen Spielens, schau Dir mal Videos des hier im Forum nicht so beliebten Kenny G an...

Meine Frau hatte vor 30 Jahren eine Facialisparese, Gott sei Dank ohne Dauerfolgen, seit dem sehe ich bei vielen Mitmenschen einen leicht schiefen Mund oder eine leicht hängende Lippe. Das gibt es öfter als man so gemeinhin glaubt.

Mit Geduld und ohne Stress findest Du sicher Deinen Weg zum Spiel zurück!

 

Ich habe zum Glück noch nie eine Gesichtslähmung erlitten. Aber ich möchte hier mal anbei das Lob des Silencers unterstützen. Das Teil ist großartig, um die Ansatzmuskulatur und Atmung zu trainieren!

Ich wünsche dir viel Kraft und Freude für deinen Neuanfang!

 

Moin Moin Cole,

ich betreue ein kleines Mädchen, welches eine ähnliche Erkrankung hat wie Du, allerdings von Geburt an.
Bei Ihr arbeite ich viel mit einer elektrischen Zahnbürste zur Stimulation der sensitiven lippenfunktion.
Aber ich denke, dass kennst Du schon wenn du einen guten Ergotherapeuten hast .
Spontan ist mir auch das didgeridoo eingefallen. Das hat nachweislich einen positiven Einfluss auf den Rachenraum. Vielleicht auch auf die Lippen? Wenn es überhaupt funktioniert.
Und dann noch dies
https://www.musikshop-beck.de/de/U-Trainer-Ansatztrainer-U-Trainer-_221820

ich wünsche Dir alles Gute
Und viele Kraft. Und dir auch Ulli !
Selbst hatte ich einen Schlaganfall ( nach einem Eishockeytraining ), kann also nachvollziehen, wie es ist wenn das Leben von jetzt auf gleich ein anderes ist .

Michael

 

Hallo alle miteinander,

super, das ist viel mehr Rückmeldung, als ich mir erhofft hatte! Vielen Dank dafür!!
Mit der Geduld und Ausdauer hapert es noch, aber das wird auch noch. Der Weg ist bekanntlich das Ziel und durch die ganze Geschichte ist der Spruch für mich aktueller den je

@xcielo: Danke für die wirklich wertvollen Infos! Kurioserweise kann ich seit der Lähmung mittlerweile besser pfeifen als vorher. Vielleicht ist das ein Zeichen als/mit Pfeife(n) weiterzumachen

Ich habe tatsächlich letztens die ersten Erfolge mit dem meinem Sax beigelegten Mundstück (4er Bahnöffnung oder so) und einem 1,5er Gonzalez-Blatt gehabt, aber ist ja egal. Letztlich geht's ja nicht darum, wer die längste Bahnöffnung oder das dickste Blatt hat Ich glaube einen Silencer habe ich sogar noch irgendwo rumliegen. Da muss ich mal kramen!

@tango61: Wie genau funktioniert denn das mit der elektrischen Zahnbürste? Davon höre ich nämlich zum ersten Mal! Und wie genau funktioniert der Ansatztrainer? Das sieht mir auf den ersten Blick ja in etwa so aus wie eine Wäscheklammer.

Beste Grüße
SC

 

Hey SC
Habe gerade noch mal das Internetz bemüht und bin dabei auf Akupunktur gestossen, vllt auch eine Idee.
Wegen der Zahnbürste , bei meiner kleinen Patientin sollten wir mir der trockenen E-Zahnbürste einfach immer sanft über die Lippen streichen, stets von innen nach außen,
Oben und unten.
Wie gesagt bei der Patientin und ihrem Krankheitsbild, also kein Universalrezept für alle Lippenbeschwerden.

alles gute