Wo liegt da der Genuss?

Dieses Thema im Forum "Improvisation - Harmonielehre" wurde erstellt von nachbarschreck, 27.April.2019.

  1. Jacqueline

    Jacqueline Strebt nach Höherem

    Unterschiedlich komplexe Musik für unterschiedliche Ansprüche.
    So ist für jeden was dabei.
    Höre ich mir sowas (Brecker) an thront ein Fragezeichen über meinem Kopf, da ich es nicht verstehe. Ich höre die Musik dann einfach nicht.
    Es gibt ja noch andere Saxophonisten.
    Mal schauen wie das in ein paar Jahren aussieht.
     
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  2. LINUS

    LINUS Schaut nur mal vorbei

    wieso, trifft die Sache in meinen Augen ziemlich klar...
     
  3. Zappalein R.I.P.

    Zappalein R.I.P. Guest

    zurück zum thema und

    ...oder beides geht auch!!

    am freitag hatte ich gelegenheit auf einer offenen bühne mit ca. 15 musiker*innen in den unterschiedlichsten besetzungen zu improvisieren und zu musizieren. alle wurden in einen hut geworfen und besetzungen zugelost. vom solo, duo, trio, 4-5-6-7-tet, bis zum grand final, wo alle auf der bühne standen, war alles dabei. das klassische 4tet, das klassische sax,b,dr trio, ein reines gebläse as,ts,tb trio, ein b,git,p sound war dabei, wie ich es im leben noch nie gehört habe....

    ...freejazz, bluesiges, einfache 4tel vamps oder vertracktes, alles passte zu allem. es waren keinerlei barrieren zu spüren. und nur lachende gesichter. ...das war genuss!!!

    3 wochen vorher konnte ich/wir (helm newfarmer / achmett schachbrett) unserem sax/dr duo, welches schon seit ewigen zeiten besteht und die letzten 10 jahre ruhte, wieder leben einhauchen. es war einfach unglaublich, wie nach nur 30 sek. das alte feeling wieder da war...

    ...auch das war genuss!!!

    lg und eine gute woche

    helmut
     
  4. Claus

    Claus Mod Emeritus

    Vermutlich die erste.

    Völlig offen. Der Vortrag wird ja nicht dadurch inhaltlich besser, dass er auf chinesisch gehalten oder mit Fachausdrücken gespickt wird.

    M.E. hinkt der Vergleich auch. Der Vortrag auf chinesisch ist für mich völlig ohne Zugang, das würde ich für die Musik anders sehen. Musik wirkt auf mich - so oder so - und zwar auch ohne dass ich in der Lage bin, alle Konstruktionsprinzipien nachzuvollziehen.

    Was nicht ausschließt, dass sich die Wirkung verändert, wenn man die Konstruktionsprinzipien besser kennt. Aber es gibt keinen Automatismus, dass es dann besser gefällt.
     
    Zuletzt bearbeitet: 29.April.2019
  5. saxhornet

    saxhornet Experte

    der Vergleich hinkt da nicht, sondern bringt das Dilemma auf den Punkt. Chinesisch ist auch nur eine Sprache. Das Formulieren von Lauten mit dem Mund, könnte man auch allein auf sich wirken lassen ohne Inhalt oder? Macht man aber nicht. Es, geht aber nur sehr kurz bevor es meistens nervt oder man sich anfängt zu langweilen. Das ist mit Musik häufig nicht anders. Du reduzierst Musik auf die emotionale Wirkung aber auch die verändert sich wenn du die Melodien hörst und verstehst. Das ist als wenn du plötzlich Chinesisch verstehst und all die Poesie, den Wortwitz und den Inhalt der Rede verstehst und nicht mehr nur Laute aus dem Mund auf dich emotional wirken lässt. Inhalt und auch emotionale Wirkung verändern sich für den Zuhörer und somit auch die Bewertung der Rede.

    Nein, aber was man nicht versteht, kann man auch oft weniger gut beurteilen und wird einem oft weniger gut gefallen, als etwas zu dem man Zugang findet. Trotzdem kann man auch mal emotional berührt sein von etwas das man nicht versteht, aber es wird seltener sein. Und je mehr man versteht, desto mehr ändert sich die Betrachtungsweise von diesen Dingen.
     
  6. Thomas

    Thomas Strebt nach Höherem

    für mein Empfinden hinkt der Vergleich halt ein wenig. Laß es einen Abend über kosmologische Modelle oder sonstwas sein, was eigentlich viel mehr Leute als die Fachleute interessiert. Die Fachleute werden an dem Abend
    unheimlich viele Anregungen finden und den Abend interessant und aufschlussreich und spannend finden. Der Laie wird Bahnhof verstehen und hat nix davon soweit so gut, aber da wird auch die Ratio angesprochen.
    Lass die Fachleute an dem Abend zum Abschluss ein wenig Praxis schnuppern und in ein supertolles Fernrohr glotzen: Ob sie einigermaßen verstehen was sie sehen oder nicht: Alle haben die gleichen Chancen von dem Anblick begeistert
    zu sein und sich über das Wunder zu freuen und sich bewegen zu lassen. Das spricht nicht den Kopf an sondern, Herz, Seele, Gefühle, nenn es wie Du willst. Und so empfinde ich es doch eigentlich auch bei Musik.
    Die Profis werden "verstehen" was abgeht auf der Bühne, der Anfänger nicht, deswegen kann man doch trotzdem begeistert sein. Vor meinem geistigen Auge sehe ich gerade das alte böse Klischee eines Jazzpublikums, die da sitzen, im Rolli, Jackett
    Beine überkreuzt , hochkonzentriert und mit furchtbar intellektuellem Blick ein wenig mit dem Kopf mitwackeln .... die haben vielleicht verstanden... aber vielleicht nicht genug empfunden dabei obwohl sie hinterher genau begründen können warum die Leute supertoll gespielt haben.

    Ich war mal eingeladen zu einem Konzert im Kloster Eberbach mit einem Rundfunkorchester und einem tollen Dirigenten . Es gab Mahler (das Grad der Improvisation hielt sich in engen Grenzen :) ). Ich habe mir keine grösseren Gedanken gemacht über Aufbau und Harmonien und
    Spielkunst der Musiker nachgedacht. Es hat mich nur entrückt. hinterher daheim sollte ich noch nachkommen zu einem Gartenfest mit Bier und Pavillon... hat mich einer angesprochen: Du bist nicht hier, oder, irgendwo noch abwesend :) (ja ok, ich gestehe ich liebe Mahler und Bruckner und co und kenne den Kram schon recht gut und lange )
    LG
    Thomas
     
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  7. Bereckis

    Bereckis Gehört zum Inventar

    Danke!
     
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  8. saxhornet

    saxhornet Experte

    Der grösste Fehler ist zu glauben, dass das Fachwissen über etwas oder das Verstehen von etwas nicht auch starken Einfluss auf die emotionale Wahrnehmung und den eigenen Geschmack haben kann.
    Egal wie emotional vorgetragen, das gesprochene Wort berührt mich mehr in einer Sprache, die ich auch verstehe. Eine Melodie, der ich in punkto Geschwindigkeit oder Komplexität nicht folgen kann, berührt mich weniger als eine die ich verstehe und nachvollziehen kann und als Melodie erkennen kann. Das Ohr entwickelt sich aber weiter bei entsprechender Übung und somit auch das Verständnis und die Wahrnehmung. Deswegen bleibt Musik spannend, weil man immer wieder neues entdecken kann, was man vorher alles nicht wahrgenommen hat auch bei Musik, die man schon so oft gehört hat.
     
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  9. nachbarschreck

    nachbarschreck Schaut öfter mal vorbei

    der Stummfilm übertrug Emotionen ganz ohne Worte.
     
  10. Roland

    Roland Strebt nach Höherem

    Seltsame Frage. Wo ist da der Genuss, wenn einer oder mehrere 100% nach Noten eine fertige Komposition spielen? Kann man so pauschal auch nicht sagen.

    Kann passieren. Die einen haben einen direkteren Zugang und wissen, was und wie da passiert, die anderen nicht.

    Erlebnis vor 20 Jahren: Ich hörte auf der Arbeit ein Trio mit McCoy Tyner. Kollege wollte wissen, was ich da höre.

    Er: Ui, was für ein Chaos, da weiß einer wohl nicht, was der spielt.
    Ich: Irrtum: Der wusste *genau* was er spielt und es gibt Leute die hören das.
    Er: Kann ich mir nicht vorstellen ...

    So unterschiedlich sind die Leute ...

    Wenn Du unimprovisierte (= komponierte) Musik hörst, ist das dann eine Lehrstunde für Komposition, Stimmführung, Orchestration und Co.?

    Wenn ja, hörst Du überhaupt gerne Musik? Oder kannst Du sie auch genießen?
    Wenn nein, wieso ist das bei Improvisation anders?

    Grüße
    Roland
     
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  11. ppue

    ppue Experte

    Ich erinnere mich an die ersten Stunden Musikunterricht auf dem Gymnasium. Wir sollten einzelne Instrumente heraushören. Das gelang uns, einschließlich meiner Wenigkeit, nur sehr bedingt. Für mich war das damals ein wunderbarer Gesamtklang.

    Heute kann ich mir den Zustand gar nicht mehr vorstellen, merke aber, dass ich die Rockmusik meiner Jugend heute völlig anders wahr nehme. Früher hörte ich Musik in erster Linie vom Tonbandgerät und die billigen Shamrockbänder taten das ihrige dazu, das der Klang sehr verwaschen aus den billigen Boxen klang. Das war Emotion pur.
    Höre ich die gleiche Musik heute, so höre ich jedes Instrument einzeln, höre die Akkorde, die Funktionen, merke genau, wie Spannung erzeugt oder abgebaut wird. Ich höre analytisch.
    Es ist ein bisschen, als hätte ich durch mein Wissen und geschultes Gehör meine Seele verkauft.

    Irgendwo zwischen diesen beiden Extremen des Hörens befindet sich ein jeder hier und es ist müßig, das eine dem anderen vorzuziehen.

    Was allerdings auch stimmt, ist, dass sich für mich auf der anderen Seite neue musikalische Welten aufgetan haben, die ich früher nicht durchdringen konnte.
     
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  12. saxhornet

    saxhornet Experte

    Ernsthaft? Stell Dir einfach mal ein Gedicht vor, daß Du extrem toll findest und daß Dich berührt. Jetzt stell Dir vor, wie es im Tonfilm und im Stummfilm vorgetragen wird, wie gefällt es Dir besser?
    Und der Stummfilm konnte in punkto Übertragung von Emotionen mit dem Tonfilm nie mithalten, Darsteller mussten damals im Stummfilm extrem übertreiben, um die gewünschte Emotion halbwegs rüberzubringen und Texte wurden eingeblendet um den Leuten die Handlung und was gerade empfunden wurde zu vermitteln. Wenn Du meinst im Vergleich zu Musik wäre der Stummfilm ein idealer Vergleich, würde ich Luftgitarre als Instrument vorschlagen.
     
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  13. Regor

    Regor Ist fast schon zuhause hier

    Im Lichtspieltheater spielte dann ein Pianist live zu den Stummfilmen - für die Dramaturgie oder so.
    Ich glaube, die konnten noch richtig improvisieren....:D

    Zu Deiner Frage betreffend Impro-Genuss:
    Live wird für mich die Impro zum Genuss, wenn ich mitbekomme wie die Musiker sich austauschen/ergänzen/kommunizieren etc. Da passiert was. Aus Konserve kann ich das nicht so gut spüren.
     
    Rick und saxhornet gefällt das.
  14. nachbarschreck

    nachbarschreck Schaut öfter mal vorbei

    Das ist wie man auf vielen Veranstaltungen sehen kann ein riesen Spass (Genuss) :):woot::woot::woot::woot:
     
  15. saxhornet

    saxhornet Experte

    JA, genau, sehen kann.
     
  16. Roland

    Roland Strebt nach Höherem

    Das ist nicht weiter verwunderlich. Du bist mit unserer hiesigen Musik über Jahrzehnte sozialisiert worden. Unsere Prinzipien der hiesigen Musik sind nicht in Deiner DNA. Man muss nicht wissen, was Dur und Moll explizit meinst, aber wenn ich "Alle meine Entchen" oder "Hänchen klein" mit einer kleinen Terz singe oder spiele, hört fast jeder sofort, dass 'irgend etwas nicht stimmt'.

    Ob Du das Wissen explizit oder implizit hast, Du hast es und wendest an, stellst Abweichungen fest. Das hat Vor- und Nachteile. Je mehr man mit unserer ('westlichen') Musik sozialisiert ist, desto schwerer fällt es vielen Leuten, Abweichungen zu ertragen, mögen, schätzen, was auch immer. Wer 30 Jahre mit Mozart sozialisiert wurde, wird bei Bartok schreien weglaufen und Tibetanische Tempelmusik nicht hören wollen.

    Mithin:
    Stell Dir vor, Du wärest 30 Jahre in China aufgewachsen. Dann hast Du einen intuitiven Zugang zur Sprache, ohne die Regeln explizit zu kennen. Geht mir bei Deutsch auch so. Meine Arbeitskollegin stellt mir eine Frage (Ist 'verteilen' ein trennbares Verb?) Und ich muss erst einmal kurz nachdenken. Wenn ich aber einfach spreche oder schreibe (Ich habe gestern ... verteilt), dann mache ich es intuitiv richtig. So ist das auch mit Dur.

    Grüße
    Roland
     
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  17. Florentin

    Florentin Strebt nach Höherem

    Das Beispiel mit dem Vortrag auf Chinesisch finde ich gut.

    Wenn ich bei einer Veranstaltung einen Vortrag halte, muss ich mich über die Zuhörerschaft informieren. Wie fachkundig, welche Sprache und welches Sprachniveau? Wenn nicht alle Chinesisch verstehen und es auch keinen Dolmetscher gibt, dann wäre ein Vortrag auf Chinesisch ein Totalversagen.

    Beim Improvisieren ist das ganz ähnlich. In einem früheren Thread bin ich mal ziemlich gedisst worden, weil ich die Frage gestellt hatte: Für wen spielen die eigentlich? Vielleicht etwa hauptsächlich für sich selbst und ihr Ego (und eine Handvoll Experten)?

    Die vielgeschmähten Helene F. und Kenny G. und André R. machen Musik für einen ganz bestimmten Zuhörerkreis. Und das machen sie extrem erfolgreich. Ich bin nicht in dieser Zielgruppe, darum bin ich selber schuld, wenn ich mir das anhöre.
     
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  18. bluefrog

    bluefrog Strebt nach Höherem

    Das ist ein wichtiger Gesichtspunkt. Man braucht die Regeln keineswegs explizit zu beherrschen, um eine Sprache oder Musik zu verstehen.

    Manchmal habe ich hier den Eindruck, es würden spezielle Harmonielehre- und andere Theorie-Kenntnisse vorausgesetzt, um komplexere Musik geniesen zu können. Meiner Erfahrung nach ist das keineswegs notwendig. Wie ich oben schon schrieb, kann es einen spontanen Zugang zu Neuem geben, wobei eine gewisse Vertrautheit mit ähnlicher Musik sicher hilfreich ist. Man muss allerdings bereit sein, sich auf Ungewohntes einzulassen.
     
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  19. nachbarschreck

    nachbarschreck Schaut öfter mal vorbei

    Diese Frage hat sich mir natürlich auch gestellt, nachdem jetzt so einiges über den eigenen Genuss beim hören von anderen geschrieben wurde. Man könnte sich schon fragen, was die eigene Improvisation eigentlich anderen
    an Genuss bringt. Musiker, die für Geld spielen sollten das schon berücksichtigen finde ich. Bei kommerzieller Musik spielt man ja nicht für sich selbst.

    Ich denke es wird sich immer auf gut glück jemand finden dem die eigene Improvisation etwas bringt. Aber genau sagen könnten es die Musiker vermutlich nicht.
     
  20. GelöschtesMitglied11524

    GelöschtesMitglied11524 Guest

    "Don't play late Coltrane licks on a wedding gig"

    Bob Mintzer (Kapitel "What they didn't teach me in music school")
     
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