Wo liegt da der Genuss?

Dieses Thema im Forum "Improvisation - Harmonielehre" wurde erstellt von nachbarschreck, 27.April.2019.

  1. Rick

    Rick Experte

    Dass Herr Parker auch nur ein RELATIV begrenztes Sortiment an typischen Licks hatte, die er immer wieder einsetzte, und SEINEN Stil, den er nicht groß veränderte, seit er ihn gefunden hatte, ist längst musikwissenschaftliches Allgemeinwissen, soweit mir bekannt ist. Dizzy Gillespie war da meiner Ansicht nach etwas kreativer, aber er lebte und spielte ja auch viel länger.
    Nichtsdestotrotz ist das nicht als Abwertung der künstlerischen Fähigkeiten und Leistungen von Parker gemeint, nur als sachliche Feststellung.

    Ja, aber auch Komponisten verwenden oft ihre "Licks" mehrfach, und das ist nicht verwerflich, denn bekanntlich freut sich der Hörer über das Wiedererkennen von eingängigen Melodien.
    Und bis in die Swing-Zeit hatte die Improvisation noch nicht DEN hohen intellektuellen Stellenwert unter den Musikern wie seit dem Modern Jazz - von Ben Webster ist überliefert, dass er ganz stolz erklärt hat, er habe "das Solo von Ellingtons "Cotton Tail" erfunden" - seiner Feature-Nummer bei Ellington, das er tatsächlich öfter praktisch unverändert wiederholte.
    Das lag aber auch daran, dass Jazz zu dieser Zeit noch nicht so sehr als Kunst, sondern als kommerzielle Pop-Musik angesehen war, und die Zuhörer wie gesagt ihren Wiedererkennungs-Effekt haben wollten.
    Ein paar Jahrzehnte später sah es dann ganz anders aus, da haben Musikkritiker wie Fans den künstlerischen Wert der Improvisation gewürdigt und die Wiederholung eines gelungenen Solos galt plötzlich als verpönt.

    Letztlich geht es aber selbst in der Kunst immer auch um Angebot und Nachfrage: nur ein finanziell gut abgesicherter Künstler kann es sich leisten, die Erwartungen des Publikums zu ignorieren. Wird Spontanität und Kreativität gewürdigt, muss man dies bieten, wird eher Eingängigkeit und Wiedererkennbarkeit geschätzt, muss dies eben bedient werden.
     
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  2. Gelöschtes Mitglied 7743

    Gelöschtes Mitglied 7743 Guest

    Ich schätze an einem Vortrag/einer Darbietung die Verständlichkeit und der "Witz", mit denen der Vortragende "sein" Thema seinem Publikum vermittelt. Als ein leuchtendes Bespiel m.E. Dexter Gordon zu nenen, der mit dem "Wave"-Thema und den diversen Zitaten sehr kreativ umgeht:



    Gruß,
    BCJ
     
  3. Nilu

    Nilu Ist fast schon zuhause hier

    Mir gefällt es, wenn ernsthafte und erwachsene Jazzer sich so leidenschaftlich in den Samba hineinspielen, tanzen, lächeln und wie ein Seehund quietschen - vor lauter Dynamik und Spielfreude.
    Wenn, selten genug, Dave Holland mal die Mundwinkel zum Lächeln noch oben bewegt, glaubt man, es mache sogar ihm Spaß .
    Die Interaktion zwischen den Musikern ist vom Feinsten.
    Alle ziehen an einem Strang, puschen sich gegenseitig und bremsen sie sich ebenso auch gegenseitig wieder auf Puls 80 herunter.
     
    Zuletzt bearbeitet: 4.Mai.2019
  4. Silver

    Silver Strebt nach Höherem

    Du hast schon die Smileys hinter meiner etwas spöttischen Bemerkung gesehen, ja?

    Da bin ich rundheraus gegensätzlicher Meinung. Wenn es vorwiegend um die Erwartungen eines Publikums geht, ist es nicht mehr Kunst sondern ein handwerklich hergestelltes Produkt. Das unterliegt zweifelsfrei dem Markt.

    Vincent Van Gogh lag seinem Bruder Zeit seines kurzen Lebens auf der Tasche, ignorierte sämtliche Erwartungen, starb arm und irre und ich bin heute sehr dankbar, dass ich seine Kunst genießen darf, die zu seinen Lebzeiten kaum jemand sehen wollte.
    Als Gegenbeispiel aus dem Bereich Musik - die kommerziell angelegten Werke von z.B. Mozart (der Arm starb, weil er alles verjubelt hatte) sind vorhersehbar und erfüllen Erwartungen des Publikums.

    Schwierig jetzt eine Linie zu ziehen zwischen Kunst und Handwerk. Wo es aber eindeutig um die Erwartungen des Publikums geht, ist es für mich eher Handwerk. Ich meine mich zu erinnern, dass einer der in den 50er/60er Jahren populären Spaßmacher eigentlich ein ganz brotloser Jazzmusiker war. Bill Ramsey??? Müsste ich recherchieren.

    Aber ich schweife ab von der Ursprungsfrage nach „Genuss“.

    LJS
     
  5. ppue

    ppue Experte

    Nein, das schweift nicht all zu sehr ab, denn den Bedarf des Publikums zu erfüllen, würde ich durchaus mit "Genuss" in Verbindung bringen. Ich bin deiner Meinung, dass die so dargebotene Musik näher am Kunsthandwerk als am künstlerisch wertvollen und ambitionierten Werk ist.

    Die Grenze dazwischen ist nicht klar definiert und schwankt. Wir Künstler und auch wir Konsumenten sind im übrigen die, die diese Grenze ständig neu definieren.
     
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  6. GelöschtesMitglied11524

    GelöschtesMitglied11524 Guest

     
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  7. Silver

    Silver Strebt nach Höherem

    Jau - Bill Ramsey!

    Als Jazzsänger wollte ihn keiner so recht hören (wohl auch, weil die Crooner-Stellen schon besetzt waren), da hat er dann sowas gemacht:



    Und die Mimi mit dem Krimi und die Mausefalle Pigalle usw. usw. Blanker Kommerz.
    Wie im von @Ton Scott verlinkten Clip hatte er ganz andere Sachen drauf, die kommerziell halt nicht einschlugen.

    Danke,
    LJS
     
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  8. Rick

    Rick Experte

    Klar, aber man muss die Erwartungen des Publikums ja nicht BEDINGUNGSLOS erfüllen, man sollte sie allerdings durchaus kennen - dann kann man mit ihnen auch spielen.

    Ein amerikanischer Jazzmusiker hat mir mal gesagt, dass es die typische europäische Sichtweise sei, sich in erster Linie als Künstler zu sehen, in den USA hätte man diesen Luxus leider nicht (zumindest in der Vergangenheit).

    Ein weiterer Aspekt ist nun mal, die Erwartungen WELCHES Publikums man erfüllen möchte. Ich habe schon erlebt, wie Free-Jazz-Fans zornig einen Club verlassen haben, weil dort tatsächlich GLENN MILLER gespielt wurde - was für eine Frechheit! :D
    Und ein moderner Maler erfüllt auch mit abstrakten Klecksereien im Endeffekt nur die Erwartungen eines bestimmten Publikums, das das Gegenständliche als zu banal abtut. :cool:
     
    Zuletzt bearbeitet: 5.Mai.2019
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  9. gaga

    gaga Gehört zum Inventar

    Und da vertut man sich manchmal - im Positiven wie im Negativen. Wir hatten gestern abend mit unserer Combo einen Gig bei einem Mediziner-"Symposium" und hatten uns auf ein weichgespültes American-Songbook-Programm für seminargestresste Leute eingestellt.

    Beim Aufbau sahen wir dann zu unserer Überraschung, wie eine Teilnehmerin versuchte, einer Gruppe Lindy-Hop-Schritte beizubringen. Der Abend wurde dann zum wilden Tanzabend mit Up-Tempo-Bebop-Nummern ganz nach unserem Geschmack.

    Manchmal passt es eben auch völlig unerwartet.
     
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  10. Paul2002

    Paul2002 Strebt nach Höherem

    Also ich höre mir eine Improvisation und eine Komposition mit gleichen Ohren an. Und es macht beides Spaß.
     
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  11. Paul2002

    Paul2002 Strebt nach Höherem


    Ich stimme dir zwar überall zu, möchte aber anmerken, dass Parkers Wiederholungen wohl auch seiner Sucht geschuldet waren, deretwegen er später kaum noch üben konnte. Gerade seine frühen Werke schätze ich deshalb besonders, weil sie für mich am lebendigsten und experimentierfreudigsten klingen, obwohl sie größtenteils harmonisch gleich oder weniger komplex sind als z.B. Donna Lee.
     
  12. ppue

    ppue Experte

    Coltrane wiederholt sich genau so wie auch Lester Young. Das nennt man auch Stil. Natürlich haben die Bausteine. Wer hat das nicht. Unser bedeutenster Baustein ist die Durtonleiter.
    Das Revolutionäre am Bebob war, dass sie den Jazz aus der Unterhaltungsecke heraus beförderten und damit den Grundstein für den Jazz als ambitionierte Kunstmusik legten.
    Die schnulzige Swingära war vorbei, es gab Krieg, die Musikergewerkschaft boykottierte die Musikindustrie (weshalb wir keine Aufnahmen aus der hitzigen Zeit haben) und die Jungs spielten völlig neue Töne in einem Wahnsinnstempo ohne Rücksicht auf irgend ein Publikum.
     
    Zuletzt bearbeitet: 15.September.2019
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  13. Claus

    Claus Mod Emeritus

    Wieso „war“? Bebob ist doch noch unter uns.

    Oder meintest Du Bebop? :whistling:
     
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  14. djings

    djings Strebt nach Höherem

    @peterwespi
    Motiv verarbeiten: Danke! Diesen Begriff habe ich gesucht. Am interessantesten ist für mich, wenn jemand das Motiv durch die Improvisation scheinen lässt.
     
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