Saxophonunterricht ohne Harmonielehre?

Dieses Thema im Forum "Saxophon spielen" wurde erstellt von hanssax, 18.Oktober.2015.

  1. JazzPlayer

    JazzPlayer Ist fast schon zuhause hier

    @Dreas:
    Weißt du, wenn jeder alles sagen und als gültig beanspruchen darf, solange er nur "das ist meine Meinung" davor schreibt, kann man sich Diskussionen eigentlich komplett sparen, weil sie dann nirgendwo hin führen, außer dass jeder seine eigene Meinung einmal verschriftlicht hat.

    Es ist ja nicht so, dass man hier jemandem unter Androhung von Strafe verbieten will, ein Instrument in die Hand zu nehmen, wenn nicht dazu ein Mindestmaß an Theorie absolviert wird. Das wäre ja ein bisschen lächerlich. Und von mir aus kann auch im Sinne feinster Waldorf-"Pädagogik" von mir aus jeder machen, was er will. Bei manchen Dinge ist sogar auch zwingend nötig, dass jeder für sich den besten Weg findet.
    Nur wenn man konkret die Frage stellt, ob sich Improvisation erlernen lässt, wenn man komplett auf Harmonielehre verzichtet, muss die Antwort lauten: Nein, außer man will einen sehr, sehr umständlichen Weg gehen, an dessen Ende mehr oder weniger zufällig gemachte Erfahrung steht oder wenn man schon mit damit zufrieden ist, die Dinge sehr unkoordiniert und beliebig anzugehen. Für ein bisschen Spielen mag das reichen, aber schon zielgerichtetes Üben bestimmter Sachen ist gar nicht möglich, wenn man nicht weiß, was man tut oder wo man hin möchte. Klare Frage, klare Antwort!
    Wer einfach nur vor sich hin spielen möchte, kann das gerne tun. So wurde das auch mehrfach betont. Das ist dann aber etwas deutlich anderes. und Bedarf keiner Diskussion, weil freestyle sowieso 'ne individuelle Geschichte ist.
     
  2. chrisdos

    chrisdos Strebt nach Höherem

    @JazzPlayer:

    Du musst jetzt ganz stark sein. Deine Meinung ist nur eine.......eine von vielen......teils sehr unterschiedlichen. Und sie wird nicht wichtiger oder wahrer, wenn Du sie hier noch 100 mal postest. Ok?
     
    deraltemann, Jazzica, Rick und 2 anderen gefällt das.
  3. GelöschtesMitglied1589

    GelöschtesMitglied1589 Guest

    Leute, Leute, sind denn hier an Halloween die Geister schon vor Eintritt der Dunkelheit unterwegs?

    Ich fasse mal die Diskussion der letzten 24 Stunden zusammen: wer beim Improvisieren ohne Nachweis von Kenntnissen der Harmonielehre, nachgewiesen durch amtlichem Stempel der Oberen Jazzbehörde, erwischt wird, dem stülpt die Jazzpolizei ein Kondom über das Mundstück und gut is'. Alternativ muss der Harmonielehre-Sünder zur Strafe in die Waldorf-Schule und eine einen halbverminderten Septakkord tanzen.

    Ich halte es mit dem Alten Fritz, der ja bekanntlich sagte, dass in seinem Lande jeder nach seiner Façon selig werden solle und seinem Philosophenfreund Voltaire, der es noch weiter trieb mit der Meinungs- und Glaubensfreiheit:

    „Mein Herr, ich teile Ihre Meinung nicht, aber ich würde mein Leben dafür einsetzen, daß Sie sie äußern dürfen.“

    Irgendwie erinnert mich die Diskussion an den klassischen Vergleich zwischen Kreidler Florett (keine Kenntnisse der Harmonielehre) und Mercedes S-Klasse (luxuriöse Kenntnisse der Harmonielehre) von Dietmar Wischmeyer:

     
  4. giuseppe

    giuseppe Strebt nach Höherem

    um Akkorde zu tanzen, tanzt man da einfach Buchstaben und zahlen? Oder gibt es noch andere Methoden Akkordsymbole korrekt zu eurhythmisieren?
     
  5. Mugger

    Mugger Guest

    Moin,

    eigentlich war das das Ausgangsposting.
    Von Improvisation stand dann erst weiter unten was.
    Auf diese erste Frage waren zumindestens meine Antworten zu verstehen.

    Und auch wenn ich durch mein eigenes Posting wieder an die forumsdynamischen Beispiele mit den Äpfeln und mit den Bananen erinnert werde:
    Es scheint mir, als sollte auch hier - wie beim saxophontechnischen Teil - die ersten 3 Bände des 5-bändigen Werkes zur Sicherheit übersprungen werden.

    Im Klartext:
    Improvisation bitte möglichst bald (falls der Wunsch überhaupt da ist), auch und viel ohne Theorie. Aber gleichzeitig elementare Musikkunde, die - wie mir bekannt ist - manchen hier fehlt.
    Sollte mit der Entwicklung der saxophontechnischen Fähigkeiten weitergehende Beschäftigung mit der Materie gewollt sein, Begleitung durch Theorie ja bitte.
    Der Wunsch, einen Maj7#11 von einem 7#11 unterscheiden zu können entsteht dann schon von selbst.
    Aber zur Sicherheit mal nicht selbst überfordern, ja?

    Den Fortgeschritteneren hier empfehle ich wieder mal die Übungssammlung meines Lehrers Bill Plake, für mich funzt dieser Approach ganz gut:

    "Jazz" Harmonic Minor


    Cheers, Guenne
     
  6. Rick

    Rick Experte

    Nun, wenn man von Jazz-Improvisation des intellektuellen Niveaus "Bebop & beyond" ausgeht, magst Du ja vielleicht Recht haben, aber das ist doch nur eine sehr begrenzte Nische, die gemessen an dem, was die meisten Leute hören, schön finden und selbst spielen wollen, recht klein ist.

    Mir macht Neobop ja auch Spaß, ich finde diese Musik faszinierend und freue mich, dass es ein paar Fans gibt, die so etwas gerne von mir hören möchten, allerdings könnte ich weder von denen noch von diesbezüglich orientiertem Unterricht auch nur ansatzweise leben.

    Habe jetzt seit einem Jahr einen Schüler, der mich spontan auf einem Auftritt angesprochen hatte: "Bring' mir bei, so zu spielen wie du!"
    Zuerst dachte ich, er meinte Modern Jazz, und ging mit ihm entsprechend in die Vollen, paukte Theorie-Grundlagen und analysierte Standards, doch von Stunde zu Stunde sah ich mehr "Rauchwölkchen aus seinen Ohren kommen".
    Irgendwann fragte ich ihn ganz direkt, was er denn konkret spielen wolle. Heraus kam: Blues Brothers, Soul, Pop.
    Das "so spielen können wie ich" hat sich damals auf ein Solo über "Mercy, Mercy, Mercy" bezogen, das ich recht bluesig gestaltet hatte.
    Daraufhin schaltete ich sofort ein paar Gänge zurück, wir machen jetzt mehr Praxis, schulen sein Gehör, ich setze ihm eingängige Phrasen vor, die er nachspielt, wir behandeln stärker Tongebung und typische Tricks (alternate Fingering, Bending, Vibrato...).
    Die Theorie ist abgehakt, er ist nicht mehr überfordert, alle sind glücklich! :yiep:

    Improvisation ist nicht gleich Improvisation.
    Die meisten Leute sind mit einfachsten Mitteln zufrieden zu stellen und finden einen alterierten Akkord schlicht misstönend, nehmen abgefahrene Outside-Licks im Up-Tempo bloß als "schräges Genudel" wahr - das muss man als Jazzmusiker akzeptieren, auch wenn es einem schwer fällt. ;)


    Schöne Grüße,
    Rick
     
    Zuletzt bearbeitet: 31.Oktober.2015
  7. JazzPlayer

    JazzPlayer Ist fast schon zuhause hier

    Ich habe auch lange Zeit die Bluestonleiter für das Allheilmittel schlechthin gehalten und mich immer daran gehalten. Mein damaliger Klavierlehrer, ein sehr geduldiger Mensch, hat das auch lange Zeit mitgemacht. Als ich dann aber in einer Jazz-Combo angefangen habe und mir ein gleichaltriger Saxophonist dezent gesteckt hat, dass man ja wohl nicht immer Bluestonleiter spielen kann/muss/sollte, habe ich das als Anlass genommen mehr in Richtung ion. System zu gehen. Mein Klavierlehrer hat mir dann mal erzählt, dass er selbst mit seinem damaligen Lehrer ein ähnliches Erlebnis hatte, bei dem die Formulierung aber etwas deutlicher war.
    Davon ausgehend, dass der Threadstarter im Gegensatz zu deinem Schüler auch Jazz meinte, was ja durchaus durchklingt, dann sind wir uns doch im Prinzip einig. Für den Weg dahin hattest du auch entsprechende Theorie usw. vorgesehen. Vielleicht kommt dein Schüler ja noch auf den Geschmack, wenn er sich erstmal allgemein besser zurechtfindet und irgendwann den reinen Bluessound nicht mehr auf Dauer hören kann. Dann wird er auch der Theorie für Jazz-Improvisation gegenüber aufgeschlossener sein.
    Im Übrigen braucht es nicht nur für "bebop & beyond" ordentliches Grundlagenwissen, da spielt Technik eine noch wichtigere Rolle. Auch vermeintlich einfache Stücke erschließen sich erst richtig, wenn man Hintergründe kennt.
    Als mal jemand auf einer Anfängersession meinte, man könnte doch mal Giant steps spielen, das sähe ja so einfach aus, habe ich dankend abgelehnt. Für mich definitiv (noch) zu schwierig.
     
  8. Rick

    Rick Experte

    Eben, jedem das Seine. Es geht ja nicht um ein Theorie-VERBOT, sondern um die Frage, ob Harmonielehre PRINZIPIELL unverzichtbar sei.
    Falls jemand weitergehendes Interesse zeigt, werde ich ihm da nicht im Weg stehen, ganz im Gegenteil. Doch um jeden Preis muss ich ihn nicht mit etwas quälen, das er nicht will und erst mal auch nicht braucht.

    Aber diesen Kompromiss hatten wir schon vor etlichen Tagen und Seiten erreicht. ;)


    Wie ich hier schon vor Längerem schrieb, gibt es nun mal unterschiedliche Typen:
    Die einen (zu denen ich selbst ebenfalls gehöre!) wollen den Dingen auf den Grund gehen, interessieren sich für Hintergründe, für das "Warum" von allem.
    Die anderen brauchen das alles nicht, machen einfach, können einem auch nichts erklären, weil sie nicht in dieser analytischen "Erklär-Welt" leben.

    Keiner ist besser, keiner ist schlechter, beide können auf ihre Weise tolle Ergebnisse erreichen; keiner sollte sich über den anderen stellen und seine Weltsicht für die allein richtige halten.

    "Giant Steps" beruht auf schlichten Kadenzen und Tonart-Rückungen (klingend spielt sich alles zwischen B-Dur, G-Dur und Eb-Dur ab), mehr passiert da harmonisch nicht, es ist eigentlich nur sehr schnell.
    Dafür braucht man kein gewaltiges theoretisches Wissen, man muss sich mit dem Stück einfach nur beschäftigen und den Ablauf der verschiedenen Tonarten reinbekommen.
    Warum also nicht mal auf einer Session im mittleren Tempo jammen?
    Wer nichts wagt, der nichts gewinnt. :cool:


    Schöne Grüße,
    Rick
     
    Zuletzt bearbeitet: 31.Oktober.2015
  9. JazzPlayer

    JazzPlayer Ist fast schon zuhause hier

    Ich habe in den letzten Tagen darüber nachgedacht, meinen musikalischen Werdegang zum Hobby-Jazzpianisten (abzüglich der rein für Pianisten relevanten Teile) aufzuschreiben. Das könnte interessant sein für Leute, die an einer bestimmte Stelle hängen und neue Ansätze zum Üben oder Entdecken von Musik finden. In diesem Thread werd ich wohl nicht mehr glücklich.
    Wäre das eine willkommene Maßnahme und wenn ja, in welchem Subforum am besten platziert?
     
  10. ppue

    ppue Mod Experte

    Ich denke

    Diskussion allgemein
    Eigene Themen


    Ich glaube, es klafft meist ein sehr großer Wissensunterschied zwischen den Lehrern und den Schülern. Ich finde es recht schwierig, ohne Worte und Begriffe, die man noch gar nicht kennt oder die noch gar nicht mit Inhalt besetzt sind, z.B. Intervallnamen, Tonika, Leitton, vermindert etc., einem Anfänger mit Theorie zu kommen.

    Da sagt man ihm, wir spielen nun eine C-Dur-Tonleiter und erklärt: Die C-Dur-Tonleiter hat ihre Halbtonschritte zwischen dem 3. und 4. sowie dem 7. und 8. Ton.

    Das ist schon mal ein merkwürdig Ding und in nicht wenigen Harmonielehren steht genau diese Durtonleiter auf der ersten Seite. Klar ist die grundlegend, denn nur an ihr kann ich später mal große, kleine und andere Intervalle ablesen. Die Intervallnamen kommen aus der Leiter.

    Jetzt fragt mich der Schüler: Warum sind denn da Halbschritte in der Leiter? Und ich stehe auf dem Schlauch. Nicht, weil ich es nicht weiß, sondern weil ich ihm erst mal klar machen muss, was eine Oktave, was eine Quinte ist, was das Besondere an der Quinte ist und dass eine Tonleiter aus einem Stapel von Quinten entstanden ist und und und. Ja, und da ist der Schüler schon lange raus.

    Wie gesagt, es geht immer noch um die Durleiter. Nichts Komplexes. Aber um zu erklären, warum wir die Leiter und genau die gebrauchen, braucht der Schüler schon einen gewissen Umgang mit ihr und vor allem mit den Intervallen. Die wiederum sind schwer zu lernen, weil man die Durleiter noch gar nicht hat erklären können.

    Und nun die oberlehrerhafte Frage in die Runde: Warum sind denn die Halbtonschritte da? Warum benutzen wir Dur und nicht Lydisch? Zufall? Wäre als Erwachsener meine erste Frage im Musikunterricht.
     
  11. Rick

    Rick Experte

    Hallo Peter!

    Klar - sonst wär's ja schlimm!

    Wie ich immer sage, wenn meine Schüler wieder am Verzweifeln sind: Wenn du das alles schon wüsstest, dann müsstest du ja nicht mehr kommen und mir dafür Geld geben, dass ich dir dabei helfe, das zu lernen. ;)

    Sie werden als "Leittöne" empfunden.

    In der ionischen Durtonleiter haben wir zwei gleicht Tetrachorde. Zu der Zeit, als sich das durchgesetzt hat, liebte man die Harmonie in der Kunst.

    Solche Fragen kenne ich natürlich, finde sie berechtigt.
    Aber häufig lautet die Antwort einfach: Musik ist eine Kunstform, die sich entwickelt hat, hier bei uns eben so und anderswo völlig unterschiedlich.
    Die meisten Grundsätze unserer europäischen Musik beruhen nicht auf Naturgesetzen, sondern entsprechen eher Spielregeln wie bei Skat oder Poker. Vieles könnte auch ganz anders gehandhabt werden.

    Jetzt habe ich einen kleinen Elfjährigen, der einige Wochen lang wegen Herpes ohne Sax kam (um das Geld nicht zu verschwenden - hier gibt es viele Schwaben), da haben wir uns etwas mit solchen grundlegenden Fragen auseinandergesetzt und sind erst nach fünf solcher Stunden überhaupt bei den Intervallnamen angekommen. Ist auch mal wieder schön, diese Dinge sehr langsam und vorwiegend übers Gehör anzugehen!
    Aber der kann einen auch Sachen fragen... :-D


    Schönen Gruß,
    Rick
     
  12. JazzPlayer

    JazzPlayer Ist fast schon zuhause hier

    Wobei die Frage nach Lydisch sehr berechtigt ist, wenn man sich die Obertonreihe anguckt. Mein Klavierlehrer hat mir das mehr sehr eindrucksvoll vorgeführt.
     
  13. Rick

    Rick Experte

    Selbstverständlich - und tatsächlich WAR lydisch auch in der Vergangenheit eine sehr wichtige Skala.
    Wie gesagt wurde die ionische Durtonleiter erst später wegen ihrer Tetrachord-Symmetrie bevorzugt - und auch erst damit konnte man die Dominanten-Regel (= Dur7 führt zu Tonika) einführen, bzw. sie ergab sich aus den kontrapunktischen Leitton-Zielton-Gepflogenheiten.

    Niemals vergessen: Erst kamen die Musiker, die herumexperimentiert haben, dann kamen die Wissenschaftler, die aus der Analyse ihre "Gesetze" ableiteten.
     
  14. giuseppe

    giuseppe Strebt nach Höherem

    Deine Memoiren, sozusagen? :D
     
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  15. JazzPlayer

    JazzPlayer Ist fast schon zuhause hier

    Mein Vermächtnis!
    Die Frage wäre, ob man vom Klavier her kommend einen anderen Zugang zu Harmonien und der Improvisation darüber hat und ob davon dann vielleicht Bläser profitieren können. Hauptsächlich wäre das aber einfach nur eine Erzählung mit verschiedenen Kapiteln, die einen möglichen Weg zum Jazz beschreiben und für den ein oder anderen Ansätze zur Lösung bestimmter Probleme bieten könnten. Etüden, usw. wären wahrscheinlich auch enthalten.
     
  16. chrisdos

    chrisdos Strebt nach Höherem

    Hmmm......warum hören "wir" Volksmusik und nicht Jazz.....? :)

    Also ich habe irgendwann festgestellt, dass ich oft lydisch spiele. Ich habe das nie analysiert, mir ist aber aufgefallen, dass ich nach Gehör ein b weniger spiele als in den Noten vorgezeichnet. Ist sicher keine Regel und es hängt wohl vom Charakter des Stückes ab. Bisher habe ich auch keinen Anlass für Umerziehungsmaßnahmen gesehen...:D es mag aber ein Grund sein für mein Desinteresse an praktizierter Harmonielehre....neben der Tatsache, dass ich die Akkordtöne immer als die am wenigsten gut klingenden empfunden habe.:oops:

    Btw: die lydische Tonleiter hat jeweils einen Leitton zur Quinte und zur Oktave.
     
    Rick gefällt das.
  17. ppue

    ppue Mod Experte

    Der Grund, warum sich der ionische Modus als Grundlage für unsere Durtonleiter durchgesetzt hat, ist kein Zufall.

    Die Kirchentonleitern wurden einstimmig gesungen. Es war also nicht von Belang, welche Intervalle entstehen, wenn wir Töne aus der Leiter gleichzeitig spielen.
    Die Durtonleiter hat sich mit der Mehrstimmigkeit durchgesetzt. Aber warum gerade sie?

    Alle Modi der Kirchentonarten sind mit den Verhältnissen 1:2:3 konstruiert. 1:2 ergibt die Oktave, die wir unterteilen. 2:3 ergibt die Quinte, mittels derer wir die Oktave aufteilen. Alle Töne dieser Leitern sind quintverwandt. Oktave und Quinte sind die ersten beiden Intervalle in den Obertönen.

    Stapelt man Quinten stur vom Grundton C aus, so erhält man

    C G D A E H F#, das Material für eine lydische Leiter.

    Die ist fein zu singen, hat aber Nachteile in der Mehrstimmigkeit. Außer C und F# haben alle Töne zwei Quintverwandte. Dass das tonale Zentrum keine zweite Quintverwandtschaft hat, also zu einer Seite einen dissonanten Tritonus, ist harmonisch nicht von Vorteil. Quintverwandtschaften sind deshalb so wichtig, weil zwei Quinttöne eine Hierarchie bilden, ein Spannungsverhältnis, das wir harmonisch ausnutzen können.

    Um dem Zustand Abhilfe zu verschaffen, nehme ich das F# oben weg und hänge eine Quinte unten, unter das C, dran. Das lässt unsere Durtonleiter entstehen. Die harmonischen Vorteile:

    Das tonale Zentrum hat zwei Quintverwandtschaften.
    Die Dreiklänge, die auf dem tonalen Zentrum (Tonika) und seinen beiden Quintverwandtschaften Sub- und Dominante) entstehen, sind alle in Dur! Logischer Weise ist der ionische Modus der einzige, der diese Qualität besitzt.
    Die Leittöne, die vorher auf den 5. und 8. Ton führten, führen nun zum 4. und 8. Ton. Immerhin führen sie auch hier zu wichtigen Stufen.
    Vom Grundton aus sind alle Intervalle der Leiter groß oder rein. Das ergibt eine strenge (harte) nach oben orientierte Leiter, quasi die aufrechteste aller Möglichkeiten. Entsprechend sind alle Intervalle von oben nach unten rein oder klein.

    All diese Aspekte (außer den Leittönen) spielten keine Rolle, als die Musik noch einstimmig war.

    Wie durchgängig ideal die Dur-Leiter in harmonischer Hinsicht ist, kann man daran merken, wie schwer wir uns mit dem Moll tun. Dessen Dominante hat keinen Leitton zur Tonika. Sie steht auch in Moll. Kann man mit spielen, ist aber bald sehr traurig. Deshalb erhöht man den siebten Ton flugs und Klatsch, hat man einen Hiatus, den man mit der Erhöhung des 6. Tones wieder ausmerzt, um festzustellen, dass die Leiter jetzt schon fast 'ne Durleiter ist. Also spielt man sie bergab wieder natürlich.
    Was für ein Gemache!
     
  18. Rick

    Rick Experte

    Hallo @ppue,

    danke für die weitere Ergänzung der Gründe - aber ich bleibe dabei, die Symmetrie (zwei gleiche Tetrachorde) spielte ebenfalls eine Rolle (hast Du ja mit den Leittönen zur 4. und 8. Stufe schon angedeutet).
    Nur der Vollständigkeit halber. ;)

    Kollegialen Gruß,
    Rick
     
  19. ppue

    ppue Mod Experte

    Verstehe ich nicht ganz @Rick. Was haben die für eine harmonische Bedeutung? Symmetrisch finde ich das nicht, denn der oberste Ton vom oberen Tetrapack ist harmonisch der unterste vom unteren und zwischen beiden besteht ein Ganztonschritt.
     
  20. Rick

    Rick Experte

    Es geht um die "harte Orientierung nach oben", die Du erwähnt hast, @ppue. Einmal bewegen wir uns vom Grundton weg zur vierten Stufe, dann von der fünften wieder zur Oktave, das ist praktisch eine Zweiteilung des Tonraumes.
    Die achte Stufe ist keine Wiederholung der ersten, sondern der Endpunkt: 2 x 4 = 8.

    Diese Betrachtungsweise von Tonleitern stammt aus dem antiken Griechenland und wurde im mittelalterlichen Europa zum Bauplan der sog. "Kirchentonleitern" verwendet.
    http://de.wikipedia.org/wiki/Tetrachord

    Als die ionische Tonleiter erst einmal eingeführt war, konnte man DARAUS dann alle anderen Spielregeln entwickeln, die die Grundlage unserer Harmonielehre bilden.

    Schönen Gruß,
    Rick
     
    Zuletzt bearbeitet: 1.November.2015
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