Wie lernt man am besten die Jazz Charakteristik beim spielen?

Dieses Thema im Forum "Saxophon spielen" wurde erstellt von saxbasti, 7.Januar.2020.

  1. saxhornet

    saxhornet Experte

    Ich verbaue mir da gar nichts, ich habe dank der Vorarbeit von anderen und dem Auseinandersetzen mit den bereits erforschten Möglichkeiten (gefällt mir besser als Regeln und beschreibt Theorie besser) nicht nur Zeit das optimale Rad zu überdenken und das schwebende Fahrzeug zu erfinden, sondern kann eventuell auch ein Transportmittel wie Teleportation erfinden, da ich ja nicht erst das Rad erfinden muss und eine Menge Zeit gespart habe.........
    Und trotz Theorie musst Du ausprobieren und experimentieren und hören, denn sonst kannst Du das alles gar nicht anwenden und nutzen.
    Ich halte auch den Begriff Regeln für Unsinn, sondern eher Beschreibungen und Erklärung der Zusammenhänge und Möglichkeiten.
    Theorie lässt Dich verstehen warum es in die Hose geht.....
     
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  2. saxbasti

    saxbasti Kann einfach nicht wegbleiben

    So Leute vielen Dank für eure rege Teilnahme an meinem Thema ich denke so wie ich das sehen arbeite ich erstmal mein Buch Die Jazzmethode für Saxophon John o Neill durch und dann sehen wir weiter. Habe ja jetzt noch einige Tipps von euch die ich später verwenden kann.

    Gruß Basti
     
  3. Rick

    Rick Experte

    Das stimmt durchaus - aber MUSS ich denn unbedingt Neues erschaffen?
    Als ein Musiker, der in seinen 20ern durchaus viele Regeln gebrochen, seinen eigenen Stil entwickelt hat und unbändig daran interessiert war, Neues zu machen, habe ich mitbekommen, dass das leider auch einsam und arm machen kann. Ich habe damals viel Originelles gemacht, das wurde anerkannt (wenn auch nie von den einflussreichen Persönlichkeiten, die einem dann zum "Durchbruch" verhelfen können), aber wurde ich dafür geliebt, bekam ich dadurch ein finanzielles Auskommen?
    Ich höre mir manche meiner Sachen aus meiner extrem kreativen Zeit auch heute noch gerne an, schlage mir dabei quasi selbst auf die Schultern, aber damit konnte ich nie einen Blumentopf gewinnen.

    Und wenn ich ehrlich bin, wollte ich als Teenager unbedingt Jazzmusiker werden, weil Musik eben auch, vielleicht sogar vorwiegend, KOMMUNIKATION ist.

    So, jetzt kommen die Regeln ins Spiel: Sie sind die Grammatik der musikalischen Sprache, Licks sind sozusagen die Floskeln und Redewendungen, an denen man erkennt, woher jemand kommt, welchen "Slang" er spricht. Das ist ganz wesentlich für die musikalische Kommunikation: Jemand spielt ein bestimmtes Lick, das ich vielleicht wiedererkenne, dann lächele ich, weil ich so an die anderen Musiker denke, die es ebenfalls verwendet haben, und an die Gefühle erinnert werde, die ich beim früheren "Erst-Hören" hatte. Und WIEDERERKENNUNGSWERT ist ganz wesentlich in der Musik.
    Ohne Wiedererkennungswert spricht der andere sozusagen chinesisch, ich kann ihm nicht folgen.

    Dazu eine kleine Anekdote meiner Mutter: Im Haus ihrer Tante fand eine Lesung von "Le petit prince" im französischen Original statt. Alle lauschten fasziniert, besonders eine andere Tante, die beseelt zu meiner Mutter sagte: "Ach, ist das schön!" Darauf meine Mutter verwundert: "Ach, du sprichst französisch, das wusste ich ja gar nicht!"
    Und die Tante: "Nein, aber es klingt so wunderbar!" :lol:

    So erging es mir als extrem kreativem Musiker: Alle fanden es irgendwie schon gut, aber sie verstanden es nicht, weil ihnen die Möglichkeiten zum "Andocken" fehlten, es war einfach teilweise zu anders, zu ungewöhnlich, FREMD.
    Dann habe ich mich seit meinen 30ern darum gekümmert, mehr in allgemein verständlichen Sprachen zu reden, mich weniger um meine Originalität zu kümmern, sondern darum, in gewissem Maße Licks und Floskeln zu verwenden. Das kann man durchaus auch HANDWERK nennen.
    Natürlich hatte ich das schon früher gemacht, aber nie so intensiv.

    Das hatte auch damit zu tun, dass ich nicht mehr ausschließlich als anerkanntes Mitglied der Rhein-Neckar-Musikszene aktiv war, sondern in eine andere Gegend zog und mich um eine kleine Familie kümmern musste.
    Kommerziell zu sein war nie mein Ding, ich kann mich einfach dem Massengeschmack nicht so anbiedern wie ein erfolgreicher Schlagerproduzent, das liegt mir nicht, aber ich konnte in anderen Jazz-Szenen Fuß fassen, wo es eben nicht hieß: "Ach, das ist doch der Rick, der ist gut, den engagieren wir", sondern man erst mal reserviert-misstrauisch auf mich reagierte: "Wer ist das, was kann der überhaupt?"

    Also befasste ich mich ernsthafter mit der Sprache des Jazz, den allgemein anerkannten Regeln, den "Slangs" der verschiedenen Stile, damit ich mein Tätigkeitsfeld erweitern konnte: Gestern Bebop, heute Bossa Nova, morgen Dixieland, übermorgen Free Jazz, dann wieder Funk und Soul.
    Natürlich hört man immer "den Rick" raus, ich mache das selbstverständlich auf meine Weise, will und kann nicht aus meiner Haut, aber wenigstens so authentisch, dass mich Musiker und Publikum unterschiedlicher Stile und Szenen akzeptieren.

    Wenn ich will und die Zeit habe, kann ich wieder originell und "einzigartig" sein, aber es macht einfach auch Spaß und bringt mehr Befriedigung, wenn man mit Musikern und Publikum kommunizieren kann in einer Sprache, die die anderen verstehen.
    Dazu gehören "Spielregeln" und "Redewendungen", sprich: Theorie und Licks.
     
    Zuletzt bearbeitet: 14.Januar.2020
  4. Claus

    Claus Mod Emeritus

    Das erinnert an einen Durchschnittsschwimmer, der sich zum Atlantik aufmacht, weil er fürchtet, dass ihm der Bodensee zu klein sein könnte...
     
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  5. JES

    JES Gehört zum Inventar

    @Rick
    Danke für die Erklärungen und ich kann deinen Punkt nachvollziehen. Das setzt aber voraus, dass du situationspassende Licks hast, die dann genau das rüberbringen, was du sagen willst. Das finde ich dann auch okay, du hörst den anderen zu (elementar für mich, machen aber die wenigsten wirklich) und legst dir eine passende Antwort zurecht. Das Es wenig Sinn macht auf eine französische Frage mit spanisch zu antworten ist mir klar.
    Mein Punkt war mehr: ich nehme meine skale für den entsprechenden stile, Bastelei mir mehr oder weniger kreativen paar Licks, und diese kommen dann immer und immer wieder zu Einsatz. Das mag ja, wenn man sich unsicher in der musikalischen Kommunikation noch akzeptabel sein, irgendwann muss es aber weiter gehen. Sonst wird es wie hier... Schon wieder die 3 Themen, die wir hier schon soooo oft durchgekaut haben.
    Mein verstorbener Vater hatte ein lieblingsstueck, violinkonzert d dur. Ein klassisches Stück, von dem ich jetzt erwartet hätte, es ist von ausnotiert und alle Aufnahmen klingen fast gleich. Denkste. Ich habe so 5 bis 7 verschiedene Aufnahmen mit unterschiedlichen solisten, und jede ist anders. Bis hin zu Variationen in den solostellen der Violine. Das hatte ich nicht erwartet und ist total spannend. Aber du musst dich jetzt auf das Stück einlassen, es wird von einer hintergrundbegleitung plötzlich zu dem Mittelpunkt. Aus hören wird bewusstes zuhören. Und dann höre ich auch, dass so der ein oder andere eben keine geraden Achtel geigt oder den takt nicht auf der 1 betont, und damit eigentlich Konventionen in der Klassik bricht. Nur das macht es spannend zuzuhören (Nein, ich bin eigentlich kein klassikhörer)
    Aber mal noch extremer: Wenn ich das viele, was ich die Tage über die Geschichte des Jazz gelesen habe, dann folgt auf den swing der bebop. Die klingen für mich jetzt nicht so ähnlich, dass ich von artverwandscaft reden würde. Wie erklären wir aber diesen Schritt ohne das brechen althergebrachter Konventionen? Lt Literatur entsteht soetwas durch einige wenige Musiker, ist also keine schleichende Entwicklung.
    Sicher sind viele mit ihren Experimenten ertrunken, weil am Geschmack vorbei oder der Zeit voraus.
     
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  6. saxbasti

    saxbasti Kann einfach nicht wegbleiben

    @JES @Rick
    Interessante Ansätze, so habe ich das noch gar nicht gesehen. Das stimmt wohl es hat schon viele gute Musiker gegeben die etwas versucht haben, dieses aber wieder dran gegeben haben weil es nicht den Zahn der Zeit traf. So ist das eben Geschmäcker sind so unterschiedlich wie die Jahreszeiten. Aber das ist auch gut so, sonst würde es Langweilig wie ich finde. Das ist in der Hochzeitsfotografie auch so, was ich jedes Mal feststellen darf beim Kunden der mich kontaktiert.

    Gruß Basti
     
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  7. JES

    JES Gehört zum Inventar

    Du hast scheinbar noch wenig in reglementierten umfeldern gearbeitet.
    In meinem Umfeld, und ich komme aus der Produktentwicklung Maschinenbau, war es so, dass
    1. Intern ein Kochrezept erstellt wurde wie genau ein bestimmtes Produkt zu entwickeln und zu berechnen ist und
    2. Unsere Kunden streng auf die genaue Einhaltung von Normen bestanden haben. Für dich nicht aus der Materie kommend, Normen sind Richtlinien, die dir das Leben erleichtern sollen und wiedergeben, was sich in der Vergangenheit bewährt hat. Es sind keine Gesetze oder Verordnungen, die bindend sind. Aber
    Die Frage, ob es auch anders geht und die Aufgaben und Anforderungen erfüllt, stellst du irgendwann nicht mehr, weil das endet in irrationale Widerstand intern und extern. Du denkst über schweben oder teletransport nicht mehr nach. Kreativität ist tot, solange du es nicht schaffst diese Korsett aufzubrechen. Musik und Konstruktion sind aber kreative Tätigkeiten, da muss es Freiräume geben. In den Grenzen der Physik, ja, aber nicht soweit, dass ich mich nicht mehr verwirklichen kann.
     
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  8. saxhornet

    saxhornet Experte

    Ich bin Berufsmusiker. Auch da habe ich klar reglementierte Umfelder. Vorgegeben durch die Band oder den Musikstil oder den Auftrag, den ich bekomme. Und ich habe Dir lediglich versucht in Analogien etwas zu erklären und nicht einen Einblick in Industrieprozesse zu geben.
    Musik ist nicht zu vergleichen mit Maschinenbau, auch wenn Du da genauso durch Vorgaben und Reglementierungen die Kreativität stark einschränken kannst. Aber Du musst halt wie überall unterscheiden zwischen Auftragsarbeit und freier Entfaltung bei deinen eigenen Sachen. Wenn es eine Auftragsarbeit ist, gibt es in allen Bereichen halt Vorgaben an die man sich hält. Aber nochmal, ich wollte Dir nur zum Verständnis mit Analogien zeigen warum bestimmte Denkweisen bei Musik nicht helfen. Oft ist es mit Analogien leichter verständlich, besonders wenn man musikalisch auf unterschiedlichem Level unterwegs ist und falsche Vorstellungen vorhanden sind.
     
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  9. Jacqueline

    Jacqueline Strebt nach Höherem

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  10. saxhornet

    saxhornet Experte

    Ich weiss nicht wie es Rick macht aber ich antworte mal für mich, es geht nicht darum Licks vorzubereiten und die dann rauszuhauen als Antwort. Es ist eher wie Grammatik oder Floskeln oder Umgangssprache oder ein Dialekt in einer bestimmten Sprache. Sie sind Teil der Sprache, teil deines Repertoires. Du erfindest ja nicht eine neue Sprache mit den vorhandenen Buchstaben, sondern nutzt die Regeln einer Sprache um Dich trotzdem kreative auszudrücken, ohne Antworten in der Sprache vorher auswendig gelernt zu haben. Du hast gelernt Dich zu bedanken, weil es Dir so beigebracht wurde und es Teil gesellschaftlicher Konventionen ist es zu tun (oder auch nicht), trotzdem entscheidest Du dich, bei wem Du Dich bedankst, wofür und mit welchen Worten. Du hast einen bestimmten Satzbau eine bestimmte Grammatik gelernt, gemäss der Sprache und ihren Konventionen und trotzdem kannst Du Dich kreativ ausdrücken und haust nicht auswendig gelernte Sprüche raus, nach der Variante: wenn xy blablabla sagt, muss ich mit blubblubblub antworten. Und genauso ist es in der Musik und den unterschiedlichen Stilen, da gibt es unterschiedliche Konventionen und typische musikalische Figuren, die Teil der musikalischen Sprache des Stils sind und Du kannst Dich entscheiden, wie nah Du Dich an diesen Konventionen lang bewegen willst.
    In der Sprache wäre das in etwa so, ob Du Dich entscheidest, der Grammatik und dem Satzbau zu folgen oder einen eigenen zu wählen (siehe Yoda). Dafür musst Du aber die Konventionen kennen, um sie zu bedienen oder sie zu variieren oder sie komplett zu umgehen. Nur ist klar, daß im normalen Gespräch mit deinem Steuerberater vielleicht Dadaismus von deiner Seite dann nicht zum gewünschten Ziel führt. Und beim Gedichtsvortrag von Werken Goethes alle paar Sätze "Digger" einzubauen wird den Vortrag auch nicht für alle Zuhörer zum Hörgenuss machen. Und auch bei Musik geht es ums verinnerlichen von Konventionen, die Du wie eine Sprache, einen Dialekt anwenden kannst, ohne daß Du auswendiggelernte "Sätze" oder Licks sagst/spielst. Aber selbst wenn Du in den Konventionen bleibst, hast Du viel Platz noch für eigene Kreativität, genauso wie Du Dir mit einer Sprache selber Gedichte ausdenken kannst, ohne Dir eine eigene Sprache ausdenken zu müssen.

    Was Du hier beschreibst hat aber mit Improvisation nichts zu tun. Du entwickelst wie ein Dichter manchmal deinen eigenen Sprachstil bei dem bestimmte Floskeln immer wieder zu finden sind aber das ist Teil deiner Sprache geworden dann und nicht ein Lick was Du einfach bewusst immer runter spielst. Und was Skalen angeht, oft hast Du ja nicht die eine Skala (schon erst recht nicht für eine ganzes Stück, ausser Du bist im Pop unterwegs), sondern man hat viele Skalen zur Verfügung für einen Akkord oder muss/kann mit dem Akkordwechsel die Skala wechseln. So viele Licks wie Du dann parat haben müsstest würde überhaupt keinen Sinn machen.
    Nehmen wir den Dominant Septakkord (Durdreiklang mit kleiner Septieme), hier mal ein paar Skalen, die bei diesem üblich sind:
    Mixolydisch, Alteriert, Ganztonskala, HM5, Mixolydisch #11 (gleich lydisch b7), Halbton Ganzton Skala, Mixolydisch b9, Bluesskala, "Durbluesskala", Mixolydisch b9 #11, etc. etc.
    Jede dieser Skalen hat einen eigenen Sound und führt zu anderen Ergebnissen bei den Melodien, die man sich ausdenkt. Manche dieser Skalen passen in bestimmten harmonischen Sitationen eventuell besser und manche weniger gut, die Frage ist aber immer was will ich da gerade klanglich und melodisch machen. Wenn ich die Skalen aber nicht kenne, ihren Klang nicht verinnerlicht habe, mit ihnen nicht geübt habe Melodien zu bilden, dann kann ich sie auch nicht kreativ nutzen. Und manchmal entscheidet man erst beim Spielen welche man dann beim Dominantseptakkord nutzen will oder wechselt zwischen den Skalen während des Akkords, je nachdem was Dir melodisch gerade durch den Kopf geht (die Skala ist nur der Tuschkasten mit Farben, der Dir zur Verfügung steht). Das lässt sich nicht alles mit Licks erfassen und wiedergeben aber man kann lernen wie diese Skalen funktionieren und wie man mit ihnen Melodien baut, denn auch das muss man üben, sonst klappt das nicht.

    Das was Du als Konventionen bezeichnest sind vielleicht gar keine Konventionen. In der Klassik wird gerne bei den Interpretationen viel verändert was Tempi und Dynamik angeht und auch in der klassischen Musik gibt es genug Spielraum für eigene Interpretationen aber natürlich wieder in einem bestimmten Rahmen, der es ermöglicht das Stück auch wiederzuerkennen.

    Meistens sind es schleichende Entwicklungen. Schon beim Swing gibt es sehr unterschiedliche Stücke und auch beim BeBop gibt es genug Bezug auf den Swing, weil teilweise auch die Harmonien von Swingtiteln benutzt wurden und man lediglich ein neues Thema drüber schrieb oder Harmonien veränderte, erweiterte. Du hast bei solchen Entwicklungen selten harte Brüche. Schon im Jazz vor dem Swing gab es Titel, die in hohen Tempi gespielt wurden. Und was sich in der Szene entwickelt nimmt die Allgemeinheit erst meist dann wahr, wenn eine breitere Masse Zugang bekommt. Oft fangen die Veränderungen aber schon in kleineren Kreisen an, was Musiker dann so für sich, auf Sessions und miteinander ausprobieren. Wenn die Masse dann darauf aufmerksam wird, ist der Entwicklingsprozess meist schon eher weit fortgeschritten.
     
    Zuletzt bearbeitet: 14.Januar.2020
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  11. ppue

    ppue Mod Experte

    Und die Entwicklung der Musik hat durchaus eine Eigendynamik.

    Hätte Monk in den 40ern nicht die Ganztonleiter über die Dominante gespielt, hätte es ein anderer nicht viel später getan. Klassische Komponisten und die Entdecker des Bebop bastelten zu der Zeit an ganz ähnlichen Baustellen, einfach, um größere Spannungen aufzubauen. War es früher die kleine Septime, die für Aufregung sorgte, so war es derzeit spannender, mit flatted fith hier und dem Tritonus dort zu experimentieren.
    Auch parallel liefen die musikalische Entwicklung bei dem Umgang mit der Chromatik, in der sich alle 12 Töne quasi emanzipiert hatten (Zwölftonmusik, Bebop), dann die Emanzipation der Geräusche (musique concretes, Collagen, free jazz) sowie das Eindringen in den Bereich der Mikrointervalle (Vierteltonmusik, Blues).

    Was ich sagen will: Diese Entwicklungen liegen auf der Hand, werden weniger erfunden als dass sie entdeckt werden. Man kann sich solchen Entwicklungen natürlich verschreiben.

    Der Avantgarde, die das tut, mache ich einen Vorwurf. Nehmen wir den Deutschen Free Jazz, eine durchaus passable und international bekannte Größe unter den Jazzstilen, ah, pardon, man nennt ihn eher Freie Musik, was wohl seine Offenheit nach allen Seiten zeigen soll. Ich finde nicht, dass die Freie Musik besonders frei ist, ja, frei von Harmonien, geraden Tempi und wohlklingender Melodik ist sie. Was sie für mich unfrei macht, ist das Beharren auf diesen Freiheiten.
    Ganz anders als in der Niederländischen Szene, stand es in Deutschland in den 70ger Jahren unter kollektiver Strafe, solch feine Melodeien anzustimmen. Breuker, Bennink, Mengelberg und ihre Kollegen vom Instant Composers Pool hatten solche Vorgaben nicht, benutzten und verarbeiteten durchaus die traditionellen musikalischen Techniken und verbanden sie in freier Improvisation.

    Der gleiche Fehler bei den klassischen Komponisten: Viertelton- und vor allem 12-Ton-Musik kommen mit den eigenen Gesetzen daher und schaffen den Anschluss an die Tradition nicht, schaffen keine Verbindung von alter und neuer Welt. Für mich sind beide vorerst und auf längere Zeit gescheitert.

    Großes Aber: Sie werden wieder kommen, denn der Weg der Musik ist fest geschrieben: Wir brauchen immer wieder neue Spannungsträger und die findet man in fortschreitender Folge ganz einfach, wenn wir die Obtertonreihe fortschreiten. Da sind plötzlich all die dissonanten, spannungsreichen Kandidaten, die nur darauf warten, in unsere musikalische Tradition eingebaut zu werden. Größtes Hindernis dabei ist die 'Klaviatur' der Instrumente, auf der wir spielen.
     
    Zuletzt bearbeitet: 14.Januar.2020
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  12. monaco

    monaco Ist fast schon zuhause hier

    An sich ist das Wort "Jazz" ja wiederum umstritten, da es von einigen Musikern als abwertend betrachtet wird (wie das berüchtigte N-Wort, das ich z.B. noch mehrmals in der hochgelobten Wiederauflage von Arrigo Polilo's Enzyklopädie aus 2003 lesen musste).

    Von daher finde ich den Hinweis auf den Begriff "Freie Musik" sehr gut. Aber das ist eine ganz andere Diskussion...
     
  13. ppue

    ppue Mod Experte

    Ich mag nicht, wenn die öffentliche Moral mir vorschreibt, welche Worte ich nicht benutzen darf.

    Political correctness ist oft Ausdruck eines schlechten Gewissens. Gehörten die Moren und Neger zur gut betuchten Oberschicht, dann dürfte ein jeder sie so nennen. Das Umbenennen von Begriffen soll frühere Taten verschleiern und sagen: Schaut her, wie gut wir mit den Sachen jetzt umgehen.
     
  14. monaco

    monaco Ist fast schon zuhause hier

    Die Diskussion über "political (in)correctness" wollte ich gar nicht führen. Das Beispiel vom Free Jazz zeigt einfach, dass beim Wort "Jazz" nicht nur Wortherkunft, sondern insbesondere auch Wortbedeutung zweifelhaft sein können. In dem Sinne, dass es inflationär für alles verwendet wird, was nicht anderweitig eingeordnet werden kann. Da finde ich die teils bereits dargestellten Strömungen (Swing, Bebop, etc.) hilfreicher.
     
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  15. saxhornet

    saxhornet Experte

    Bei Freejazz ist das aber aus der Entstehungsgeschichte wohl zu verstehen, lustiger finde ich da Begriffe wie Acid Jazz, wo weder wirklich Acid, noch Jazz oft drin ist. War damals aber eine gute Marketingidee.
     
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  16. gaga

    gaga Gehört zum Inventar

    "Jazz Dance" ist auch so eine bekloppte Wortschöpfung. Womack & Womack in Dauerschleife mit Synchronhopsen.
     
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  17. Juju

    Juju Strebt nach Höherem

    Haha, bei dem Acid wäre ich mir teilweise nicht so sicher :D. Ich kenne jetzt die Entstehungsgeschichte von Acid Jazz nicht so gut, habe aber das Gefühl, dass ich hier recht nah an der Quelle sitze, also Brand New Heavies, Incognito, US3, Jamiroquai zählen doch dazu, oder? Die haben zumindest eines was jazzmäßig zählt, und das sind hochkarätige Jazzmusiker, die in den Bands spielten. Graham Harvey, der langjährige MD von Incognito, ist ein Jazz heavyweight am Piano, die Bläsersätze waren stets ein who is who der Londoner Jazzszene. Man denke nur an Gerard Presencer's Solo über Cantaloop. Es war immer viel Raum für Improvisation, die Akkordfolgen sind oft recht tricky und gehen weit über das übliche Poprepertoire hinaus.
    LG Juju
     
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  18. scenarnick

    scenarnick Admin

    Jein

    Der Begriff Jazz Dance ist sehr alt und bezieht sich auf die originalen Tanzstile zu originaler Musik, die wir heute dem New Orleans und ähnlichen Jazz Stilrichtungen zuordnen. Er umfasst auch den Stepptanz, denn daraus ist eigentlich eine ganze Menge entstanden. Wer sich damit mal befassen will, dem sei Marshall Stearns' Buch "Jazz Dance: The Story of American Vernacular" empfohlen. Ein sehr dicker Wälzer, zum Teil wörtlich transkribiert von den originalen Afro-Amerikanischen Tänzern aus den 1900er Jahren und damit für den nicht-Muttersprachler ne Herausforderung. Aber ein wunderbarer Abriss über die Entwicklung der verschiedenen Tanz-Stile, auch damit verbunden Musikstile und der Vaudeville "Circuits" und den Lebensbedingungen der damaligen Künstler.

    Klar, das was heute unter dem Begriff Jazz Dance läuft (und gerade in den 80ern lief) kann man nur mit sehr viel "Wohlwollen" als eine Weiterentwicklung davon sehen. Das gilt natürlich auch für die Musik ;)
     
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  19. RomBl

    RomBl Guest

    Und jetzt erzähl mir noch, dass "Dixieland" nichts mit den Klohäuschen zu tun hat .... :D:D:D
     
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  20. GelöschtesMitglied11524

    GelöschtesMitglied11524 Guest

    Ich spiel so gerne Dixieland, da sind so viele Licks ident.

    Sorry....
     
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